Frage: Was macht den Bericht der "New York Times" brisant?

Antwort: Donald Trump und seine Steuermoral waren schon oft Gegenstand öffentlicher Debatten. Bisher hatte der Präsident so gut wie keine Steuerunterlagen offengelegt, lediglich ältere Erklärungen aus den 1990er-Jahren waren bekannt. Sie zeigten, dass der Präsident in vielen Jahren so gut wie keine Einkommenssteuer bezahlt hat. Nun hat die "New York Times" erstmals Steuererklärungen Trumps aus den Jahren 2000 bis 2017 ausgewertet. Sie zeigen nicht nur, mit welchen Tricks er als Unternehmer Steuerschulden verschwinden lassen konnte, sondern auch, wie er die gleichen Tricks auch noch als Präsident genutzt hat.

Frage: Trump hat also wenig Steuern bezahlt?

Antwort: Er hat nicht nur wenig bezahlt, sondern laut "New York Times" in vielen Jahren so gut wie gar keine. In elf der 18 Jahre, für die die Informationen vorliegen, zahlte Trump genau null Dollar an die US-Steuerbehörde IRS. In anderen Jahren war es ein verschwindend niedriger Betrag – trotz seines Millioneneinkommens. 2016, im Jahr, als er die Präsidentschaft gewann, zahlte er gerade einmal 750 Dollar an Einkommenssteuer. 2017, im ersten Jahr im Amt, waren es ebenfalls nur 750 Dollar.

Frage: Wie ging das? Steckt Betrug dahinter?

Antwort: Während Trump und die Steuerbehörde IRS einen heiklen Rechtsstreit in einem Seitenarm der Causa austragen, ist ein großer Teil dieser Steueroptimierung in dem erwähnten Zeitraum legal abgelaufen. Als Unternehmer und Medienmogul hat Trump zwei Standbeine. Da sind einmal die Einnahmen aus seiner erfolgreichen TV-Reality-Show "The Apprentice" (zu Deutsch etwa: der Lehrling), die ihm mehr als 400 Millionen Dollar an Einnahmen eingebracht hat. Daneben haben sich viele der Immobilieninvestments Trumps als lukrativ erwiesen, etwa der Trump Tower in New York. Damit verdiente er bis 2017 mehr als 170 Millionen Dollar. Trump hat dieses Geld in zahlreiche Golfklubs und ein Hotel investiert – und diese Unternehmungen schreiben horrende Verluste, über 600 Millionen.

Frage: Und diese Verluste hat er mit Gewinnen gegengerechnet?

Antwort: So ist es. Als Trump mit seiner TV-Show anfing, gehörten ihm zwei Golfklubs, zwei weitere ließ er renovieren. Inzwischen hat er 15 plus ein Luxushotel in Washington. Allein sein teuerstes Golfressort, das National Doral bei Miami, das er 2012 erworben hatte, häufte seither Verluste in Höhe von 120 Millionen Dollar an. Diese Angaben bezweifelt IRS nicht, obwohl manche laut "NYT" durchaus fragwürdig sind: So haben sich seine Ausgaben für Administration in einem anderen Golfklub – in Bedminster, New Jersey – von 2016 auf 2017 verfünffacht.

Der US-Präsident ist als Showmaster äußerst erfolgreich. Seine Golfklubs laufen schlecht – zumindest gibt er das so in Steuererklärungen an.

Frage: Und welche anderen Tricks hat der Präsident eingesetzt, um seine Steuerschuld zu minimieren?

Antwort: Trump hat mehr als 20 Millionen Dollar an Beraterhonoraren bezahlt, zum Teil an seine eigene Familie, etwa seine Tochter Ivanka Trump, so die "New York Times". Ein weitere Strategie: Trump und seine Anwälte nutzen Schlupflöcher in Gesetzen aus. Trumps Kreditgeber haben ihm Darlehen in Höhe von fast 300 Millionen Dollar erlassen, zeigen Dokumente. Oft, weil Geschäfte nicht so gut gingen wie gedacht. Erlassene Darlehen sind eigentlich Einkommen und gehören versteuert. Doch eine Sonderregel erlaubte Trump hier, Steuernachzahlungen für fünf Jahre hinauszuschieben – und dann über fünf Jahre abzuzahlen. Sein umstrittenster Trick brachte ihn aber in juristische Schwierigkeiten.

Frage: Wie kam das?

Antwort: Im Jahr 2009 machte Trump von der Steuerbehörde eine Rückzahlung geltend: Er verlangte die vom ihm bezahlten Steuern der Jahre 2005 bis 2008 retour und erhielt das Geld auch, 73 Millionen. Trump hatte bei der IRS plötzlich 700 Millionen Dollar an bisher nicht von ihm deklarierten Verlusten geltend gemacht. Der Hintergrund war ein Gesetz, erlassen von den Demokraten in der Amtszeit von Präsident Barack Obama: Bis dahin konnten Unternehmen Verluste aus zwei früheren Jahren mit aktuellen Gewinnen bei ihrer Steuererklärung gegenrechnen. 2009 aber, als Maßnahmen gegen die Finanzkrise, wurde der Zeitraum auf fünf Jahr erweitert. Woher kamen die 700 Millionen an Verlusten? Wohl aus Trumps Beteiligung an einem Casino in Atlantic City. Das US-Gesetz erlaubt es, alle Verluste aus einem Investment geltend zu machen, sofern der Investor das Geschäft abstößt und nachweislich keinen Cent Gewinn damit gemacht hat. Das hat Trump 2009 getan, er hat die Casino-Gesellschaft verlassen. Aber: Das Atlantic-City-Casino ging Pleite, und an der Tochtergesellschaft hielt Trump eine fünfprozentige Beteiligung. Die IRS sieht deshalb das Gesetz verletzt – Trump erhielt demnach sehr wohl etwas von seinem Investment – und will die 73 Millionen plus Zinsen zurück. Darüber tobt ein bisher nicht entschiedener Rechtsstreit.

Trump Golfressort in Schottland.

Frage: Ist Trump ein Einzelfall, oder zahlen reiche Amerikaner gar keine Steuern?

Antwort: Wohlhabende US-Amerikaner können ihre Steuerlast durch eine Reihe von legalen Tricks senken, aber so aggressiv wie Trump machen das nur wenige. Laut dem Washingtoner Tax Policy Center, einem liberalen Thinktank, zahlten die wohlhabendsten 0,1 bis ein Prozent der US-Amerikaner zuletzt im Schnitt 26 Prozent an Einkommenssteuer. In die Gruppe ein Prozent fallen Menschen mit einem Jahreseinkommen von mehr als 700.000 Dollar. Zum Vergleich: Die Durchschnittssteuerquote liegt in den USA bei etwas mehr als zehn Prozent. Wohlhabende Bürger zahlen weniger, noch in den 1970er-Jahren zahlten Topverdiener 40 bis 60 Prozent an Steuern.

Frage: Okay, die Steuern sind für Reiche gesunken, aber sie zahlen trotzdem viel mehr.

Antwort: In absoluten Zahlen natürlich. In relativen aber nicht. Das ist zumindest das Ergebnis, wenn man sich alle Steuern und Abgaben in den USA ansieht. Einkommenssteuererklärungen, die Arbeitnehmer bei der Bundessteuerbehörde IRS abgeben, decken nur einen kleinen Teil des Feldes ab. Hinzu kommen noch diverse Abgaben in Bundesstaaten und die Umsatzsteuer. Die Ökonomen Emmanuel Saez und Gabriel Zucman haben all das analysiert und ihre Ergebnisse im vergangenen Jahr in einem spannenden Buch ("The Triumph of Injustice") verarbeitet. Kernthese der Autoren: In den USA bezahlen heute Lehrer und klassische Arbeiter im Schnitt höhere Steuern auf ihr Einkommen als eine kleine Gruppe von 400 Multimilliardären, zu der etwa Facebook-Chef Mark Zuckerberg und Amazon-Gründer Jeff Bezos gehören.

Frage: Wie kommt das?

Antwort: Sieht man sich alle Abgaben und Steuern an, verfügen die USA über eine Flat Tax: Ob klassische Arbeitnehmer, zu denen 50 Prozent der Amerikaner gehören, oder die Mittelschicht und die gehobene Mittelschicht, die Steuerbelastung liegt zusammengenommen immer irgendwo zwischen 25 und 30 Prozent. Lediglich die kleine Topgruppe der Wohlhabendsten, die 0,01 Prozent der Gesellschaft, zahlt weniger als 20 Prozent an Steuern auf ihr Einkommen. Das hat mehrere Gründe. Nur ein Beispiel: Ein großer Teil der Einkommen von Kapitaleigentümern bleibt unversteuert. Wenn Facebooks Aktienwert steigt, profitiert Mark Zuckerberg, dem ein Fünftel des Unternehmens gehört. Doch solange Facebook keine Dividenden zahlt, bleibt dieser Profit unversteuert. Dank komplexer Offshore-Konstruktionen zahlt Facebook auch sonst kaum Steuern. Zucman und sein Co-Autor argumentieren daher, das US-System sei kaputt, weil es keinen Ausgleich schaffe.

Frage: Zurück zu Trump: Wie rechtfertigt er sich?

Antwort: Trumps Anwälte erklärten der "New York Times", der Artikel basiere auf Fake-News. Eigene Dokumente, um das zu untermauern, veröffentlichten sie allerdings nicht. In vergangenen TV-Debatten beim Rennen um die Präsidentschaft, als die Demokratin Hillary Clinton Trump vorhielt, keine Steuern in den 90er-Jahren bezahlt zu haben, lautete sein Konter: "Das macht mich klug." (András Szigetvari, 28.9.2020)