Public Enemy 2020: Flavor Flav (links), Gast-DJ Premier und Mastermind Chuck D.

Foto: Eitan Miskevich

Neben vielen anderen Verdiensten wird Chuck D für immer eine Ehre gebühren: Der New Yorker Rapper prägte einst in den 1980er-Jahren den Begriff von Hip-Hop als "black man’s CNN". Er selbst wurde damals mit Public Enemy zu dessen wichtigstem Sprachrohr. Vor allem die ersten Alben prägten Hip-Hop als politisches Sprachrohr und als Waffe gegen die Marginalisierung der afroamerikanischen Bevölkerung in den USA. Yo! Bum Rush the Show von 1987 mit dem programmatischen Track Public Enemy No. 1, vor allem aber die Nachfolger It Takes a Nation of Millions to Hold Us Back (1988), Fear of a Black Planet (1990) oder Apocalypse 91 ... The Enemy Strikes Black zählen bis heute zu den wichtigsten Statements des Genres.

Kirche der letzten Tage

Wuchtige, brutale Beats und krude Samples aus der (schwarzen) Musikgeschichte, wildes Gescratche, Blockbusterbässe und Alarmsirenen prägten die Musik. Darüber praktizierte Agitator Chuck D seine von jedem Selbstzweifel befreite Vortragskunst. Hier wurde den Menschen nicht die frohe Botschaft von sozialer Utopie, friedlichem, gerechtem Zusammenleben in Freude und mit Eierkuchen gepredigt. In einer Mischung aus gerechtem Zorn, Polittirade und Sozialreportage predigte Chuck D im Verein mit Partner Flavor Flav in einer Kirche der letzten Tage. Bevor man sagen kann, wie etwas werden soll, muss man den Leuten erst einmal sagen, wie es ist. Und siehe: Es ist nicht gut!

Channel ZERO

Dem weißen Publikum machten Public Enemy mit dem militärischen Auftreten einer auf die Bühne mitgebrachten Leibgarde und Verweisen auf die Black-Panther-Bewegung Angst. Überhaupt sollte uns Weißbroten nachdrücklich klargemacht werden, dass es sich bei uns weltweit gesehen um eine Minderheit mit durch nichts gerechtfertigtem Mehrheitsanspruch handelt. Dies könne man bei entsprechendem Revolutionswillen jederzeit ändern.

Wie bei jeder letztlich industriell verwerteten Revolte im Pop relativierte sich diese damals unter den US-Präsidenten Ronald Reagan und Bush dem Ersten in Stellung gebrachte Konfrontation über die Jahre. Public Enemy machten unbeirrt weiter. Militanz und Relevanz wollten sich einer nachrückenden Hörerschaft aber bald nicht mehr so richtig erschließen. Bald regierten als bestaunte Schreckgespenste die Gangster sowie das Lob auf den Turbokapitalismus die immer schon speziell von weißen Mittelstandskids finanziell befeuerte Szene. Public Enemy drohten zu einer Fußnote der Geschichte zu werden.

Channel ZERO

Das neue Album von Public Enemy heißt nun What You Gonna Do When the Grid Goes Down und handelt wie gewohnt davon, dass alles einmal nicht gut ausgehen wird.

Flavor Flav ist nach ewigem Hin und Her und einer zünftigen Anzahl von Skandalen zwischen würdelosen TV-Reality-Shows und Drogen wieder einmal an Bord. In jüngster Zeit arrangierte man sich (ohne Flavor Flav) mit dem kleineren Übel. Public Enemy machten bei Wahlkampfveranstaltungen für den demokratischen Präsidentschaftsmitbewerber Bernie Sanders Stimmung gegen Trump. Der wird im neuen Stück State of the Union unter anderem als "White House Killer" und "Nazi Gestapo" bezeichnet: "Vote this joke out!"

Wenn es so weitergeht mit dessen Land-unter-Politik, wird dann wohl bald einmal der Strom ausfallen und das Land ins Chaos stürzen. Das ist der Ausgangspunkt für dieses neue Album. Mit dem Strom gehen zwar von Chuck D eher gar nicht so geschätzte Informationskanäle wie Twitter und so weiter unter. Die Polizeigewalt aber wird sich verschärfen, bloß, dass das alles nicht mehr gefilmt und online gestellt werden kann. Wir befinden uns dann nachrichtentechnisch auf dem Stand der 1980er-Jahre.

Neues mit alten Werten

Das alles klingt ein wenig nach der Forderung alter Leute, dass sich schon etwas ändern soll, aber bitte nur, wenn alles gleich bleibt – und damit auch "der Feind". Als ewig zornige Power-Rentner beschwören Chuck D (60) und Flavor Flav (61) aktuell mit altehrwürdigen Gästen wie Ice-T, Run-DMC, zwei Beastie Boys oder Nas dann auch Zeitgenossenschaft mit alten Werten. Wir hören Klassiker im neuen Gewand: Public Enemy No. 1 sowie Fight the Power: Remix 2020. Da Chuck D sich immer wieder gegen die Benachteiligung von Frauen ausspricht: Bei all der großen Zahl an mitwirkenden Gästen finden sich nur zwei Rapperinnen auf diesem durchwachsenen Album zwischen Alt – und ein klein wenig Neu. (Christian Schachinger, 29.9.2020)