Michael Ritsch gewann für die SPÖ die Bürgermeisterstichwahl in Bregenz.

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Michael Ritsch (SPÖ) und Martin Staudinger (SPÖ) sind die Überraschungssieger der Bürgermeister-Direktwahl. Im zweiten Wahlgang am vergangenen Sonntag löste Ritsch in Bregenz Markus Linhart (VP) ab, der 22 Jahre regierte. 51,7 Prozent wählten den Herausforderer. SPÖ-Landesvorsitzender Martin Staudinger übernimmt das traditionell schwarze Hard, eine Nachbargemeinde von Bregenz, mit einer stattlichen Zweidrittelmehrheit in der Stichwahl von Interimsbürgermeisterin Eva Mair (VP).

In Lochau, der dritten Seegemeinde, übernimmt erstmals in der Geschichte der Vorarlberger Grünen einer ihrer Kandidaten das Bürgermeisteramt. Frank Matt löst VP-Bürgermeister Michael Simma ab.

Gemeinsam ist den neuen Bürgermeistern, dass sie keine Mehrheit in der Gemeindevertretung haben: Das Team Ritsch in Bregenz schaffte nur 29,6 Prozent, die Volkspartei blieb mit 39,4 Prozent stärkste Fraktion in der Stadtvertretung. "Mitanand für Hard", wie Martin Staudinger seine Liste nannte, hat nur 28 Prozent oder zehn von 33 Mandaten, die Volkspartei hat einen Sitz mehr. Mit den Grünen hätte er eine stattliche Mehrheit von 18 Mandaten. Obwohl Staudinger ein bekennender Rot-Grüner ist, will er sich (noch) nicht auf eine Partnerschaft festlegen.

SPÖ-Siege ohne SPÖ-Listen

Gemeinsam ist den beiden SPÖ-Politikern nicht nur, dass sie sich um Mehrheiten bemühen müssen, sondern auch, dass sie ohne die SPÖ im Listennamen angetreten waren. "Wir haben damit Offenheit gezeigt", sagt Staudinger.

Nur die Hälfte seines Teams bestehe aus Parteimitgliedern. Er wolle ein Bürgermeister für alle sein, hatte der Bregenzer Michael Ritsch in bunten Lettern plakatiert. Das Versprechen will er nun umsetzen.

Sich im Wahlkampf von der Partei zu trennen sei auf Gemeindeebene eine durchaus erfolgreiche Strategie, aber nicht auf Landes- oder Bundesebene übertragbar, sagt Politologe Peter Filzmaier zum STANDARD. Nun käme es aber darauf an, dass diese Strategie von den Bürgermeistern auch fünf Jahre durchgehalten werde. "Das wird der Elchtest für ihre Glaubwürdigkeit." Staudinger will nächstes Jahr als Parteivorsitzender zurücktreten, aber Landtagsabgeordneter bleiben. Ritsch verabschiedet sich ganz aus der Landespolitik. "Damit wäre ein erster Schritt getan", kommentiert Filzmaier.

Keine fixe Koalition

Ritsch will sich, so sein Versprechen, in Bregenz um Zusammenarbeit bemühen. Elf von 36 Mandaten hat das Team Ritsch, die Volkspartei 15. Keine fixe Koalition wolle er eingehen, sagte er vor und nach der Wahl. Es gelte in der Stadtvertretung Mehrheiten zu Sachthemen zu finden, "den Dialog zu allen suchen", sagt Ritsch. Wird er auch müssen, denn eine Mehrheit gegen die Volkspartei schafft er nur mit Grünen, FPÖ und Neos.

Ritsch will das freie Spiel der Kräfte. So möchte er sich auch nicht auf einen Vizebürgermeister oder eine Vizebürgermeisterin festlegen. "Die Stadtvertretung soll die Person wählen." Die noch amtierende Vizebürgermeisterin Sandra Schoch (Grüne) hatte vor der Wahl eine indirekte Wahlempfehlung für VP-Bürgermeister Linhart abgegeben, indem sie sich für klare Mehrheiten aussprach und vor "faulen Kompromissen" durch wechselnde Mehrheiten warnte.

Grüner Stadtchef

Da wusste sie noch nicht, dass in der Nachbargemeinde Lochau Grünen-Kandidat Frank Matt das Rennen gegen VP-Bürgermeister Michael Simma machen wird. Matt wurde mit 54,5 Prozent gewählt, seine Partei mit 37 Prozent, stimmenstärkste Fraktion ist mit sieben Prozentpunkten oder zwei Sitzen mehr die Volkspartei. Die Grünen haben mit Matt ihren ersten Bürgermeister in Vorarlberg, der sich aber Mehrheiten suchen muss.

Nicht ganz einfach wird es auch für den neuen Lecher Bürgermeister Stefan Jochum. Denn die Liste des abgewählten Langzeitbürgermeisters Ludwig Muxel (VP) ist mit 42 Prozent stärkste Fraktion in der Lecher Gemeindestube. Mit wechselnden Mehrheiten müssen sich auch die FPÖ-Bürgermeister von Hohenems und Nenzing arrangieren. Auch in allen fünf Vorarlberger Städten, auch in der Großgemeinde Lustenau, fehlen klare Mehrheiten.

Alle haben Verantwortung

"Willkommen in der Wirklichkeit, Vorarlberg", sagt dazu Peter Filzmaier. Keine Mehrheit zu haben sei nicht an sich das Problem, sagt der Politologe, "sondern der Umgang damit". Bürgermeister könnten nicht mehr automatisch auf Fraktionsdisziplin vertrauen, der Gemeinderat winke nicht mehr alles durch, was der Bürgermeister will. Filzmaier: "Alle haben nun die Verantwortung, sich die nächsten fünf Jahre nicht in eine Blockaderolle zu begeben."

Die konstituierenden Sitzungen der neuen Gemeinde- und Stadtvertretungen müssen in den nächsten vier Wochen stattfinden. Jene in Bregenz ist für den 8. Oktober geplant. Wegen der Abstandsregeln im Festspielhaus – Ritschs Sieg ist also nicht das einzige Novum. (Jutta Berger, 28.9.2020)