Ein altes Wirtshaus im Stuwerviertel hat wieder offen, ist schöner denn je – und wird ganz hinreißend bekocht.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Das Wohlmutstüberl im Stuwerviertel war ein vom Grind hervorragend konserviertes Eckwirtshaus mit wunderschöner Schank und Kühlung, in das man sich besser nur mit kochfester Kleidung wagte. Vergangenen Winter sperrte es zu, die Hausbesitzer waren sich aber einig, dass es ein Wirtshaus bleiben sollte.

Und das, obwohl sie im Haus wohnen: geht zwar manchmal mit Küchenduft im Stiegenhaus einher, den Qualitätsgewinn, den ein engagiert geführtes Lokal für die ganze Gegend bedeutet, kann man aber kaum überschätzen. Was freilich nicht heißt, dass so etwas unseren sonst so alerten Immobilienentwicklern auch bewusst wäre, die wohnen aber auch nicht in ihren "Objekten".

Echter Kraftort

Mit dem Ende des ersten Lockdowns bekamen fünf junge Leute mit österreichisch-italienisch-dänischem Hintergrund den Zuschlag, darunter der Olympiamedaillengewinner im Segeln, Thomas Zajac, und, als einziger Vollprofi, Manuel Bartolacci. Der Mann stammt aus den Marken, ist aber jobgastronomisch im Brickmakers und im Charlie P’s sozialisiert worden.

Der Grind wurde in Eigenregie abgetragen, die wunderschöne Patina der Lamperie freigelegt, die massiven Eichentische abgeschliffen, die Bänke und Stühle renoviert. Wenn am frühen Abend die Sonne durch die Fenster scheint, ist das ein echter Kraftort.

Aber nicht nur dann. Über einen gemeinsamen Bekannten hörte Zajac, dass gerade eine fantastische Köchin aus London in die Stadt gekommen sei – Brexit sei Dank. Aleksandra Szwarc hat schon während ihres Literatur- und Kunstgeschichtestudiums in Warschau eine Bäckerei und eine Fresskolumne in einer Stadtzeitung gehabt und beschloss nach ihrem Abschluss, dass sie in Wahrheit eh Köchin sein wolle.

Schrieb also dem Moro in London, das sie nur wegen des längst zur Ikone gewordenen Kochbuchs kannte. Nach drei Jahren war sie Sous-Chef und schupfte die Küche dieses legendären marokkanisch-hispanischen Restaurants

Die Hütte ist seit 1998 unverändert grandios bekocht mit holzbefeuertem Ofen und Grill (damals schon!), mit großen, mutig konkurrierenden Aromen, wahrer Hingabe gerade auch fürs Gemüse und einer Philosophie, die Geschmack und Großzügigkeit von Anfang an höher stellte als kunstvolles Plating oder businessplankonforme Tellerbehübschung.

Im Brösl war die Küche vergangene Woche noch nicht ganz hochgefahren, für die Diagnose, dass man hier beglückend gut essen kann, hat es aber locker gereicht. Labneh mit in Chilibutter seidig zart geschmortem Lauch und großen, gerösteten Walnüssen ist eine fantastische Vorspeise, mit köstlichem Spiel zwischen der Säure des Joghurts und der Süße der Zwiebel, mit bissl Schärfe, nussiger Butter und gemein guten Röstnoten unterfüttert.

Labneh mit zart geschmortem Lauch.
Foto: Severin Corti

Im Paradeis

Fleischtomaten werden mit Liebstöckel und mit Knofl und Sardellen gerösteten Bröseln angemacht, nicht etwa nur des Namens wegen, sondern weil es zum Hinknien gut ist. Rauchforelle bekommt ofengebackene rote Rübe und ordentlich bissigen Rahmkren zur Seite, ultraklassisch, in dieser Ausführung aber glatt eine Neuentdeckung.

Risotto aus Dinkel mit Kürbis, frischen Haselnüssen und selbstgemachtem Ziegenkäse bekommt dank Estragon (oh ja!) berückende Anisnoten verpasst, ein Löffel pures Glück nach dem anderen.

So geht es dahin, lauter kleine Teller mit nur scheinbar bescheidenen Delikatessen der ganz seltenen Art. Große, mit Hauptspeisen, gibt es eh auch, einstweilen stehen aber immer nur zwei davon auf der Karte.

Extrem knuspriger Schweinebauch mit Apfel-Radicchiosalat und Erdäpfeln in Salzkruste.
Foto: Severin Corti

Das Brösl scheint ob der Qualität seiner Küche noch mindestens so überrascht wie die Gäste, zu erkennen etwa an der sklerotischen Weinkarte. Dem Vernehmen nach ist aber schon Hilfe im Anmarsch. Ach ja: reservieren! Aber so was von. (Severin Corti, RONDO Exklusiv, 2.10.2020)

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