Eine Maske tragen? Auf Kreuzfahrten verzichten? "Nein, danke!", sagen viele Best Ager zu sozialer und ökologischer Verantwortung.

Foto: Dajana Linda Krüger

Vom Sonnendeck eines Kreuzfahrtschiffs aus sieht man die Welt verschwommen. Alles wirkt klein und putzig – und zieht wie eine Filmkulisse an einem vorüber. Im Sommer auf Mykonos, im Winter in der Karibik: Das ist unser Lifestyle. Wir haben schließlich das nötige Kleingeld.

Wen kümmert es, dass Kreuzfahrtschiffe die schlimmsten Umweltsünder sind. Ein bisschen Luxus wird man sich wohl noch gönnen dürfen! Das ist doch bloß Neid! Idyllische Städtchen müssen eben damit leben, dass neugierige Schiffbewohner wie Heuschrecken über sie herfallen. Unser Motto lautet: Nach uns die Sintflut!.

Wann hat das begonnen, dass sich alte Leute wie Teenager aufführen? Dass sie auf Teufel komm raus etwas erleben wollen? Dass sie auf Kosten ihrer Kinder und Enkel diesen Planeten zerstören, ohne auch nur eine Spur von schlechtem Gewissen zu haben?

Berufsjugendlicher

Als Senioren bezeichnete man früher Menschen, denen klar war, dass die beste Zeit bereits hinter ihnen liegt. Sie kleideten sich oft schon ab Mitte 40 wie alte Leute und verhielten sich auch so. Sie blickten nostalgisch auf ihre Jugend zurück. Aber es war klar, dass die wilden Jahre vorbei waren, die Zukunft gehörte den jungen Leuten (über deren Exzesse man sich natürlich furchtbar aufregte, auch das war Teil des Alterns).

Heutzutage treiben die sogenannten Best Ager, auch Generation 50 plus, Golden Ager oder Master Consumer weltweit ihr Unwesen. Kein Wunder, dass diese Begriffe aus den Marketing-Agenturen kommen, die Menschen ab 50 als zahlungskräftige Konsumenten umwerben.

Best Ager sind daueraufgekratzt wie Teenies, kaufen gern und viel ein, hängen ständig am Handy (schließlich sagt ihnen kein Erziehungsberechtigter, wie schädlich das ist!), verschicken auf Whatsapp ungefragt halblustige Memes an alle Familienmitglieder und verhalten sich, als ob sie ewig jung bleiben wollten. Früher war Berufsjugendlicher noch ein Schimpfwort, inzwischen ist es selbstverständlich, dass niemand ein alter Sack sein möchte. Alt und jung sind mittlerweile relative Begriffe. Jeder verwendet sie, wie es ihm gerade in den Kram passt.

Best-Ager-Agenda

50 ist das neue 30, 70 das neue 50: Man hat zwar hin und wieder eine Midlife-Crisis, ist aber topfit und neugierig darauf, was das Leben zu bieten hat. Man verdient deutlich mehr als seine Kinder und Enkelkinder, die man gern unterstützt, wenn von der einen oder anderen Luxusreise ein wenig in der Portokassa übrig bleibt. 80 Prozent aller Kreuzfahrten werden von Best Agern gebucht.

Sogar ihre Pension liegt höher als das aktive Netto-Einkommen der nachfolgenden Generationen, die mit dem Wort Wirtschaftskrise groß geworden sind. Zukunftsängste kennen sie nur bedingt. Sparen steht nicht auf der Agenda der Best Ager, die noch an Konsum glauben wie an das Amen im Gebet.

Verzicht? Lieber ohne uns! Sie lassen es krachen, sind ständig unter Strom und am Sprung. Irgendwie ist das beeindruckend, irgendwie aber auch anstrengend. Wie Schüler schaffen sie es nicht, still zu sitzen. Sie könnten ja etwas versäumen. "Fomo" ist ihr Normalzustand: "Fear of missing out" ist nämlich kein Phänomen, das sich auf Junge beschränkt. Die Alten haben überhaupt keine Zeit. Sie drängen und drängeln, als ob sie ein Privileg darauf hätten, überall sofort bedient zu werden. Kurz gesagt: Sie nerven!

Steigende Lebenserwartung

Dank moderner Medizin ist die Lebenserwartung deutlich gestiegen, es wäre absurd, wenn man sich mit 50, 60 oder 70 alt fühlen würde. In Österreich werden Männer durchschnittlich 79, und Frauen leben sogar fünf Jahre länger. Die heutigen Best Ager sind Kinder des Wirtschaftswunders, sie sind aufgewachsen in einer Epoche, in der es noch so etwas wie Zukunftsglauben gab.

Man stieg auf in der Firma, hatte Perspektiven, glaubte an ein stetes, gerechtes Wachstum, daran, dass es jeder schaffen kann. Sie haben etwas erreicht im Leben, haben vielleicht auch hart dafür gearbeitet. Jetzt wollen sie wieder unbeschwert wie Teenager leben.

Im Best Ager-Report von 2019 wurden 1525 Menschen im Alter von 50 bis 79 Jahren befragt. Die meisten fühlen sich im Schnitt um zehn Jahre jünger. Alt ist man ihrer Meinung nach bestenfalls ab 75. Und diese Zahl verschiebt sich wahrscheinlich ständig nach hinten. Überhaupt gilt: Alt sind immer nur die anderen.

Am Puls der Zeit

Beenager ist ein Begriff, der sich auf Menschen fortgeschrittenen Alters bezieht, die sich wie Teenager kleiden und verhalten. Er setzt sich aus Best Ager und Teenager zusammen und beschreibt wohlsituierte Plus-Fünfziger, die modisch am Puls der Zeit bleiben, die knallige Hoodies und Converse tragen, die das Geld haben, jeden Modetrend, wie ausgefallen er auch sein mag, mitzumachen.

Natürlich posten sie ihre Abenteuer auch ausgiebig auf Instagram – und mittlerweile auch auf Tiktok, zum Leidwesen der 14-Jährigen, die auch mal gern eine App hätten, auf der sie nicht von ihren Eltern belästigt werden. Aber nein, Best Ager müssen ständig beweisen, wie lustig sie sein können.

Natürlich wollen sie dafür Applaus bekommen. Sie sind jung gebliebene Hipster. Blöd nur, wenn sie die Fehler der Jungen wiederholen, die viel zu viel einkaufen und damit die Umwelt massiv belasten. Sie zwingen die Jungen ja förmlich dazu, sich alt zu verhalten und spießig zu werden – um sich abzugrenzen, aber auch, um zu zeigen, dass sie diese Verantwortungslosigkeit nicht teilen möchten.

Statistiken besagen, dass 2050 allein in Deutschland rund 32 Millionen Menschen über 55 Jahre alt sein werden. Es gibt schon jetzt Best-Ager-Models und Best-Ager-Influencerinnen. Man kann das durchaus positiv sehen, dass endlich auch verstärkt bei Frauen das Alter nicht mehr als Handicap gesehen wird (obwohl Hollywood-Schauspielerinnen noch immer von unfassbarem Sexismus und Altersdiskriminierung in ihrer Branche erzählen).

Trotzdem merkt man, dass sich die Gesellschaft gerade im Umbruch befindet: Ältere Frauen sind so begehrt wie nie zuvor. Was nicht nur die Porno-Industrie mit dem Label MILF (Mom I’d Like to Fuck) bestens bedient. Auf dem Jahresrückblick von Pornhub lag die Kategorie MILF an vierter Stelle der meistgesuchten Pornos (auf Platz sieben übrigens: Stiefmutter!)

Weiße, alte Kleinkinder

Eine pragmatische Erklärung für die neue, starke Rolle der nicht mehr ganz jungen Frau: Durch #MeToo und Neo-Feminismus gewinnen Frauen an Macht. Und was ist sexier als Macht? Eben! Der weiße alte Mann ist längst nicht mehr so unangefochten König, wie er es früher einmal gewesen ist.

Er ist mäßig begehrt, steht er doch für alles, was schiefläuft in unserer patriarchal geprägten Welt: für Gewalt, Unterdrückung, Misogynie, Kolonialismus, ungerechte Bezahlung von Frauen – oder einfach nur unfassbare Bequemlichkeit. Hand aufs Herz, wer hat sich im Supermarkt oder in öffentlichen Verkehrsmitteln nicht schon über ihn geärgert, weil er es einfach nicht schafft, seine Maske über die Nase zu ziehen, falls er überhaupt eine trägt?

Täglich sieht man sie, die typischen älteren Paare: Sie trägt ohne Probleme brav ihre Maske, er verweigert es trotzig wie ein Kleinkind. Das beschneidet schließlich seine Freiheit, die ihm sein höchstes Gut ist. Dass andere darunter leiden, wie seine Frau, die sich für ihn geniert, ist ihm natürlich egal.

Ironie in der Pandemie

Die Corona-Pandemie hat absurde Dinge als Tageslicht gebracht. Tragen wir die Masken nicht gerade, um die Alten zu schützen? Diese halten sich ohnehin für unverwundbar und haben für die Jungen, die sich ihrer Meinung nach wie "Schneeflocken" benehmen, bloß ein zynisches Lachen übrig. Weisheit sieht anders aus. Sie sind die Generation Ego.

Unter der schwedischen Umweltaktivistin Greta Thunberg hat sich weltweit eine Jugendbewegung gebildet, die mit Schulstreiks für das Klima kämpft. "Weil ihr Erwachsenen euch nicht für meine Zukunft interessiert, werde ich eure Regeln nicht beachten", sagt Thunberg.

Das ist ein Schlag ins Gesicht der Alten, deren Flugbilanz verheerend ist. Letztendlich aber lässt sie das kalt. Auf einer Kreuzfahrt bekommt man eben wenig mit vom realen Leben – selbst wenn man gerade schnurstracks auf eine Katastrophe zusteuert. (Karin Cerny, 30.8.2021)

Der Text erschien ursprünglich im RONDO Exklusiv, 2020