Die Marquise de Merteuil (Corinna Mühle, re.) dirigiert mit zombiehafter Miene die Liebesverbindungen ihres Umfelds. Auch Madame de Volanges (Christian Taubenheim) Tochter ist eines der Opfer.

Herwig Prammer

Die höfische Fadesse im Frankreich des 18. Jahrhunderts muss enorm gewesen sein. Was gab es schon zu tun, als die Reifröcke der allerneuesten Mode in gigantische Koffer zu packen und sich damit auf den Landsitz kutschieren zu lassen, wo man sich dann ein paar Wochen lang über die in der Stadt Zurückgelassenen das Maul zerriss? Nicht viel.

Kein Wunder also, dass diese immer dick gepuderte Gesellschaft alsbald geliefert war. Mit Hinblick auf die 1789 folgende Revolution und den politischen Umsturz erscheinen derlei Beschäftigungen als die letzten Zuckungen einer sich an den Rand des kaum mehr erträglichen Ennui manövriert habenden Schicht. Marquise de Merteuil beispielsweise hat sich die Fernsteuerung ihrer "Freunde" in Liebesdingen zum Hobby erkoren.

Nachzulesen ist das im weltberühmten Briefroman von Choderlos de Laclos, Gefährliche Liebschaften. Zumindest die Verfilmung des Stoffes mit John Malkovich, Michelle Pfeiffer und Glenn Close von 1988 ist noch vielen bekannt. Das Sittengemälde des Ancien Régime taugt aber auch als Theaterstück, siehe Heiner Müllers Neudichtung Quartett. Das Linzer Landestheater hat für seine Neuproduktion auf eine Bearbeitung durch Christopher Hampton zurückgegriffen; in puristischer Pracht hatte sie auf der Bühne des Schauspielhauses soeben Premiere.

Ein Zombie spricht

Die Handlung ist einem Briefroman entsprechend reduziert. Regisseurin Susanne Lietzow gelingt es, die gestochen scharfe, giftig zugespitzte, artifizielle Sprache zum Hauptakteur zu machen, ohne eintönig zu werden. Sie arrangiert die Rednerinnen auf großer Leinwand und auf der Bühne so, dass ihre zuweilen schriftlichen Wortgefechte richtig zünden.

Wendet sich die intrigante Merteuil (Corinna Mühle) gleich zu Beginn in einem säuerlich-geifernden Brief an ihren Vicomte de Valmont (Alexander Julian Meile), um ihn für ihre Verführungspläne zu gewinnen, so blickt sie dabei hochgeschnürt und zombiehaft aus der Leinwand, während Videoprojektionen mit Vanitasbildern das Weiß ihrer Augen durchscheinen.

Valmont weilt da gerade bei seiner Tante Madame de Rosemonde (Klaus Müller-Beck) auf dem Land, die in einem Gebirge aus Kleid bühnenmittig die Sitten bewacht. Diese gigantisch großen, aus wunderschönen Seidenstoffen aufwendig genähten Reifröcke (Kostüme: Marie-Luise Lichtenthal) sind schon der halbe Spaß. Sie fungieren als attraktives Bewegungsgefängnis, aus dem es für den Körper umso verlockender ist, unsittlich auszubrechen.

Merteuil gebietet ihrem Valmont, die fromme Madame de Tourvel (Theresa Palfi) sowie die junge Klosterschülerin Cécile (Lorena Emmi Mayer) zu verführen. Eine Wette um des Beherrschens willen. Die heuchlerisch aufpolierten Anbahnungsdialoge Valmonts blitzen wie Stahl. Und für die Subtextverarbeitung kippen die Protagonisten ins Singen: Gilbert Handler hat dafür Liedgut herzzerreißend umgetont, von Je t’aime bis I Want to Break Free.
(Margarete Affenzeller, 30.9.2020)