Oft hört man Fragen wie "Was hat Archäologie eigentlich mit der heutigen Zeit zu tun?" oder "Wozu erforscht ihr das?". Bei oberflächlicher Betrachtung kann man sich diese Fragen durchaus stellen, beantworten lassen sie sich vielleicht am besten mit einem Zitat des Philosophen George Santayana: "Wer aus der Geschichte nichts lernt, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen."

Doch in welchen Lebensbereichen können wir Parallelen zur Vergangenheit ziehen? Bei einigen Themen können wir sogar auf tagesaktuelles Geschehen bestens Bezug nehmen. So geschehen beispielsweise Ende August bei der "Archäologie am Berg", der jährlichen Öffentlichkeitsveranstaltung der Hallstatt-Forschung und der Salzwelten Hallstatt, die dieses Jahr unter dem Motto "Ressourcen, Krisen und Nachhaltigkeit durch die Jahrtausende" unter Einhaltung strenger Sicherheitsmaßnahmen trotz anhaltender Corona-Krise stattfand.

Diese Sicherheitsmaßnahmen bestanden vor allem darin, die aufgebauten Stationen nicht, wie sonst üblich, nahe der Alten Schmiede, der archäologischen Außenstelle des Naturhistorischen Museums Wien, aufzubauen, um große Menschenansammlungen zu vermeiden. Erstmals waren die unterschiedlichen Forschungsrichtungen mit ihrer jeweiligen Vertretung über das ganze Hochtal verteilt, was bei den Besuchenden aber durchaus anzukommen schien. Natürlich waren auch alle Beteiligten mit Desinfektionsmitteln bewaffnet und mit entsprechendem Mund-Nasen-Schutz ausgestattet. Denn wie immer wurde die Veranstaltung natürlich nicht durch die Archäologie allein bestritten, wurde sie doch unter anderem dazu ins Leben gerufen, die weit vernetzte und interdisziplinäre Forschung an der Kulturlandschaft Hallstatts sichtbar zu machen.

In diesem besonderen Jahr waren die Stationen der "Archäologie am Berg" über das gesamte Hochtal Hallstatts verteilt.
Foto: C. Fasching - NHM Wien
Unter Einhaltung strenger Sicherheitsbestimmungen konnten trotz allem an die 2.000 Besucherinnen und Besucher empfangen werden.
Foto: C. Fasching - NHM Wien

Starke Vernetzung

So wurde den Besucherinnen und Besuchern beispielsweise anhand der Textilforschung verdeutlicht, wie zeit-, arbeits- und ressourcenintensiv die Produktion von Kleidungsstücken in der Urgeschichte war und immer noch ist, wobei dieser Aufwand heutzutage den wenigsten Menschen bewusst ist. Mit einem kleinen Spinnkurs, einer Spindel und Schafwolle zum Mitnehmen konnten hier auch Kinder einen Teil dieser händischen Produktionskette kennenlernen.

Am Stand der Holzforschung der Universität für Bodenkultur wurde nicht nur die dendrochronologische Datierungsmethode erläutert, sondern auch, gemeinsam mit der Pollenforschung und der Sedimentologie der Universität Innsbruck, die Nachweise für eine nachhaltige Waldwirtschaft der Hallstätter Bergleute vorgestellt. Für Arbeitsgeräte, wie beispielsweise Fülltröge und Kübel, ist ein bestimmtes Holz einer Stocküberwallung notwendig, welches ein Baum über Jahrzehnte hinweg bildet, wenn er gefällt, aber von den umliegenden Bäumen weiterversorgt wird. Solche Spezialanfertigungen benötigen eine generationenübergreifende Planung in der Forstwirtschaft. Als Hands-on-Vermittlung wurde hier auch gezeigt, wie viel Energie in einem Kilo Holz steckt, wie viel Salz man damit in einer Sudpfanne sieden kann und wie viel das umgerechnet in Handyladungen ergibt.

Vor allem eine prähistorische Gesellschaft die in einer Umwelt, wie dem Hochtal von Hallstatt lebt und arbeitet, Salz abbaut und damit Handel treibt, ist mit unserer heutigen Gesellschaft vielleicht besser zu vergleichen, als man auf den ersten Blick denken mag. Immerhin ist etwas, dass gerade in Zeiten wie der aktuell grassierenden Pandemie global bemängelt wird, das mittlerweile vorherrschende "Just-in-time-Management", die starke Vernetzung geografisch oft weit entfernter Wirtschaftspartner und der damit verbundene, logistische Aufwand und die entsprechend engen Zeitfenster. Sprich: wenn nur ein Glied in der Kette aus Produzentinnen und Produzenten, Transportierenden oder Endverarbeiterinnen und Endverarbeiter ausfällt oder sich verspätet, kann das ganze System ins Wanken geraten.

Den Arbeits- und Ressourcenaufwand der Textilproduktion in der Urgeschichte konnten Klein und Groß selbst erfahren.
Foto: C. Fasching - NHM Wien
Welche Info man aus Sedimentablagerungen in Seen und Mooren ziehen kann, erklärt die Sedimentologie und Palynologie.
Foto: C. Fasching - NHM Wien

Nicht anders erging es den Hallstättern der Bronze- und Eisenzeit. Durch die geografische Lage war eine Selbstversorgung mit Lebensmitteln durch Landwirtschaft nicht möglich. Auch viele, für einen Bergbau dieser Größe in beträchtlichen Mengen notwendigen, Betriebsmittel, wie Bronze und gewisse Holzarten, die in dieser Landschaft einfach nicht vorkommen, mussten von außen angeliefert werden. Im Gegenzug konnten die Hallstätter Bergleute das abgebaute Salz ebenso verhandeln, wie vor Ort verarbeitete Produkte. Denn die Speckproduktion dürfte neben dem Salzbergbau ein wichtiges Standbein gewesen sein, wie uns Befunde von Surbecken und die Knochenauswertungen der Archäozoologie verraten.

Krisenresistente Hallstätter

Daraus ergibt sich hier – umso mehr durch den Mangel an modernen Kommunikationsmöglichkeiten – eine streng getaktete Produktions- und Transportkette, die über weite Strecken funktionieren musste und verlässliche Partnerinnen und Partner erforderte, aber scheinbar gut ineinandergriff und funktionierte. Hätte diese logistische Abfolge grobe Fehler aufgewiesen, müssten an den Skeletten, die wir in den obertägigen Ausgrabungen glücklicherweise zumindest für die eisenzeitliche Besiedelung des Hochtals untersuchen können, massive Mangelerscheinungen sichtbar sein. Die anthropologischen Untersuchungen zeigen allerdings zwar chronische Krankheiten wie Stirn- und Nebenhöhlenentzündungen, aber keine Mangelernährung.

Die Krisenresistenz der Hallstätter Bergleute zeigt sich auch darin, dass die angelegten Abbaukammern zwar immer wieder durch Oberflächenbewegungen verschüttet, der Bergbau jedoch trotzdem stets wieder aufgefahren und weiter betrieben wurde. Offensichtlich war das Netzwerk um Hallstatt also stabil genug, solche einschneidenden Rückschläge abzufedern und auch nach diesen Unterbrechungen den Betrieb wieder aufzunehmen und weiterzuführen.

Besucherinnen und Besucher konnten ausprobieren, wie viel Energie ein Kilo Holz zum Salzsieden liefert.
Foto: C. Fasching - NHM Wien
Nicht nur die vielen verschiedenen Forschungsdisziplinen, vor allem auch engagierte Einzelpersonen sorgen für die Vielfalt der Hallstatt-Forschung und deren Ergebnisse.
Foto: C. Fasching - NHM Wien

Je mehr also über urgeschichtliche Gesellschaften bekannt wird, desto eindeutiger werden die Parallelen als auch die Unterschiede zu unserer modernen Lebensform. Hallstatt ist einerseits durch seine 7.000-jährige Kulturgeschichte, andererseits durch seine einzigartige Funderhaltung und das dadurch entsprechend breite Spektrum an Alltagsgegenständen prädestiniert für diese Vergleiche. Doch all dies wäre nicht möglich, wenn nicht die unzähligen Disziplinen, Forschungseinrichtungen und nicht zuletzt engagierte und motivierte Einzelpersonen die Hallstatt-Forschung zu einem ganz besonderen Gesamtwerk machen würden und immer neue Aspekte entdecken würden, die es zu erforschen gilt. An dieser Stelle ein ganz großes Dankeschön für diese Zusammenarbeit! (Fiona Poppenwimmer, Hans Reschreiter, 1.10.2020)