Wolfgang Fischer (58) war jahrelang beim ORF tätig, bevor er 2012 zum Geschäftsführer der Stadthalle Wien wurde.

Foto: Heribert Corn

Wolfgang Fischer ist jetzt ein Empty-Nester. So nennt man auf Neudeutsch Eltern, deren Kinder ausgeflogen sind. Das Baby des Stadthallen-Chefs ist das Publikum, das sich seit März nicht mehr blicken lassen konnte. Einsam schreitet Fischer durch die Gänge und weiß zu jeder Ecke des denkmalgeschützten Roland-Rainer-Baus, der sich im Besitz der Wien Holding befindet, eine Anekdote zu erzählen. 2026 sollte die neue Wien-Holding-Arena in St. Marx spätestens fertiggestellt sein, die Stadthalle wird dann ein neues Nutzungskonzept bekommen, an dem Fischer noch gerne mitarbeiten würde, bevor er sich "wie ein echter Wiener in die Pensn" verabschiedet.

STANDARD: Herr Fischer, jetzt haben wir Corona, davor hatten Hallen wie diese mit massiven Sicherheitsvorkehrungen, nicht zuletzt wegen terroristischer Attentate, zu kämpfen. Ist das Konzept "Arena" eigentlich noch zukunftsfähig?

Fischer: Es war bis Corona zweifellos ein zukunftsträchtiges Modell, das immer größer wurde. Das hängt damit zusammen, dass der Revenue-Stream der meisten "mittelalterlichen" Künstler, also U2, Sting, Elton John, Paul McCartney und so weiter, aus dem Liveauftritt kommt. Die 0,03 Cent pro Klick summieren sich bei einer Billie Eilish, bei einem Ed Sheeran sehr ansehnlich, aber bei Acts, die ein Publikum in meinem Alter ansprechen, nicht. Damit wurden die Arenen, Stadien und Shows größer und megalomanischer. So eine Tournee, die ein Jahr lang geprobt wird, verschlingt fünf Millionen, noch bevor das erste Konzert gespielt wurde.

Herbert Boeckls Gobelin "Die Welt und der Mensch" in der VIP-Lounge.
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Wird sich das nun ändern?

Fischer: Wir entwöhnen das Publikum vom Live-Entertainment. Du kriegst das alles sofort im Netz. Vielleicht werden die Leute ihre "Corona-Partys" einfach zu Hause machen und dort tanzen, schmusen, schwitzen und singen – also alles tun, was ein Live-Erlebnis ausmacht. Es ist für niemand absehbar, ob und wie schnell Menschen nach der Pandemie wieder zu uns zurückkommen werden. Wie lange werden die Barrieren auch in den Köpfen der Künstler weiterbestehen, selbst wenn sie wieder einreisen könnten? Nach dem Bataclan-Attentat wurden ganze Europatourneen abgesagt.

STANDARD: Brauchen die Leute denn das Live-Erlebnis?

Fischer: Selbst wenn wir den musikalischen Bereich außen vor lassen: Da gibt es diese ganzen Gamer-Geschichten, die für meine Generation komplett unverständlich sind, wo zwei Typen in Hoodies auf einer Bühne gegeneinander Ego-Shooter spielen. So weit, so merkwürdig. Aber dazu kommen dann 10.000 Menschen, wegen der Emotionen, die sie dort mit ihren Freunden teilen. Sie kommen wegen dieses Gemeinschaftserlebnisses.

STANDARD: Wie sähe das Szenario aus, wenn sich die Menschen wirklich von Live entwöhnen würden?

Fischer: Das wäre dann eine kulturlose Wüstenlandschaft, zumindest was die Populärkultur betrifft. Ich war jetzt in der Wiener Staatsoper bei Madame Butterfly und der Regimentstocher. Da sehe ich, dass das Angebot angenommen wird. Dieser Teil des Live-Entertainments, also die sogenannte Hochkultur, hat dank der "Sturheit" der Damen Helga Rabl-Stadler oder Johanna Mikl-Leitner mit Grafenegg die Möglichkeiten wieder geöffnet. Wir in unserem Bereich haben die noch länger nicht, wir können nicht liefern.

STANDARD: Warum nicht?

Fischer: Weil die Künstler und Crews nicht reisen können, wollen oder dürfen und weil sich eine Show mit einer Auslastung von zehn Prozent, wenn wir an 16.000 Tickets in der größten Variante der Wiener Stadthalle denken, schlicht und ergreifend nicht rechnet.

Foto: Heribert Corn

STANDARD: Die 300 Millionen, die es nun von der Regierung für die Veranstalter gibt, bringen Ihnen also als Location nichts. Was kann dieses Jahr überhaupt noch stattfinden?

Fischer: Dieses Jahr wird noch das Erste Bank Open stattfinden, das sich für Sponsoren rechnen wird, allein wegen der Fernsehübertragung und der internationalen Zuschauerzahlen. Der Veranstalterschutzschirm ist sicher eine vernünftige Initiative, genauso wie die Mehrwertsteuerreduktion auf fünf Prozent, die hilft aber nur bei Veranstaltungen, die auch stattfinden. Wenn statt 1.500 dann nur noch 1.000 Leute wo reingehen, geht sich das vielleicht ganz knapp aus. Aber wir haben ja ein anderes Problem: keine Acts, keinen Content.

STANDARD: Wann würde es für die Stadthalle kritisch werden?

Fischer: Wir konnten, seit ich hier 2012 Geschäftsführer wurde, bis 2019 die Rücklagen von null auf 16,3 Millionen aufbauen. Wir hätten freilich andere Ideen gehabt, als sie jetzt so zu verbraten. Aber dank der starken Eigentümer Wien-Holding und Stadt Wien geht es schon noch.

So sieht man die Halle D selten.
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STANDARD: Was hatten Sie sich für die Wiener Stadthalle vorgestellt, als Sie hier 2012 angetreten sind?

Fischer: In meinem damaligen Bewerbungskonzept steht als Vision für 2020, dass das Stadthallenviertel ein belebtes, hippes, modernes Viertel ist, das im architektonischen Dreieck Bahnhof, Bibliothek, Stadthalle mit viel Grün weiter belebt und bespielt wird. Ich glaube nach wie vor, dass das eine gute Idee ist, auch wenn wir das mit 2020, wie man sieht, wenn man da über den Platz geht, nicht geschafft haben. Als die Halle 1958 gebaut wurde, war sie nicht darauf ausgelegt, dass hier 20 Sattelschlepper à 40 Tonnen kommen, um Equipment aufzubauen. Wir haben eine Rampe, da sitzt aufgrund der Steigung Elton Johns Limousine auf – daran konnte Roland Rainer, als er diese geniale Halle geplant hat, halt nicht denken. Die Piazza vor der Wiener Stadthalle, entsprechend einer Piazza zu bespielen geht nicht, weil da die Lkws stehen. Im Rahmen einer Neuausrichtung ist das vielleicht möglich.

STANDARD: Die ÖVP hat ja im Sommer vorgeschlagen, eine Markthalle aus der Wiener Stadthalle zu machen. Was ist daraus geworden?

Fischer: Das müssen Sie die ÖVP fragen. Eine Halle, die diese Geschichte atmet, wo von Abba bis Zappa – um das jetzt plump zu sagen –, vom Dalai Lama bis zu Kardinal König und von Anna Netrebko bis Leonard Bernstein alle aufgetreten sind, ist keine Markthalle. Diese Ideen kommen aber, wie ich weiß, auch für Stadtrat Peter Hanke nicht infrage. Hier soll es auch weiterhin kulturelle Nutzung geben, aber bis dahin spielen wir hier noch volles Rohr, wenn das wieder möglich ist.

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STANDARD: Werden Sie dann eigentlich Chef der WH-Arena in St. Marx?

Fischer: Ich werde nächstes Jahr 60! Ich geh mit 65 wie jeder echte Wiener in die "Pensn". Aber ganz im Ernst: Wie immer sich das dort weiterentwickelt: Das ist ein klasses Ding, das ein junges, frisches Team machen muss. Ich freue mich, wenn ich bis zu diesem Moment die Wiener Stadthalle weiter führen und bei ihrer Neuausrichtung mitdenken darf. (Amira Ben Saoud, 1.10.2020)