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Der Druck auf EY, langjähriger Wirtschaftsprüfer von Wirecard, steigt. Es könnte sein, dass die Prüfer mehr wussten, als bisher bekannt war.

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Seitdem der Wirecard-Bilanzskandal aufgeflogen ist, befindet sich Jan Marsalek auf der Flucht. Im Juli wurde berichtet, dass sich der Vizechef des pleitegegangenen Zahlungsdienstleisters am 18. Juni nach Minsk abgesetzt haben soll, aktuell soll er sich in Russland befinden. Recherchen von "SZ" und "Kurier" zeichnen nun aber einen anderen Fluchtplan nach.

Angebliches Treffen mit Ex-BVT-Mitarbeiter

Demnach soll sich Marsalek am 18. Juni noch in München aufgehalten haben. Laut "SZ" soll er sich dabei unter anderem mit einem ehemaligen Abteilungsleiter des österreichischen Inlandsgeheimdienstes, des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorbekämpfung (BVT), getroffen haben. Die Anwältin des Ex-BVT-Mitarbeiters wollte dem "Kurier" das Treffen weder bestätigen noch dementieren. Sie sagte jedoch: "Mein Mandant hat mit den Malversationen rund um Wirecard nichts zu tun. Er hat nie für Wirecard gearbeitet. Es ist nicht auszuschließen, dass mein Mandant von der Staatsanwaltschaft München als Zeuge befragt wird (Anm.: Derzeit gibt es keine Ladung). Ein Interview mit Medien vor dieser Aussage erscheint nicht opportun."

Abreise aus Bad Vöslau

Laut Berichten ging es für Marsalek erst einen Tag später, am 19. Juni, nach Minsk. Abflugort sei demnach der kleine Flughafen Vöslau-Kottingbrunn nahe Wien gewesen. Der Ex-Wirecard-Manager soll dabei in einem Privatjet einer Innsbrucker Charterfirma mitgeflogen sein. Der "Kurier" zitiert dabei einen Insider: "Die behördlichen Grenzkontrollen wurden in Bad Vöslau durchgeführt, gegen Marsalek ist damals noch kein Haftbefehl vorgelegen". Die 8000 Euro Flugkosten soll er bar gezahlt haben. Um 23 Uhr Ortszeit sei er in Weißrussland angekommen.

Prüfer wurde gewarnt

Auch in einer anderen Angelegenheit wurde die Aufarbeitung des Falls Wirecard um eine Facette reicher. Der langjährige Wirtschaftsprüfer EY soll nämlich 2016 bereits gewarnt worden sein, dass leitende Angestellte bei Wirecard möglicherweise Betrug begangen haben und versucht hatten, einen Wirtschaftsprüfer zu bestechen.

Das Pikante daran: Die Warnung kam von einem EY-Mitarbeiter, wie die Financial Times berichtet. Vier Jahre bevor der Zahlungsabwickler zusammenbrach, hatte sich die Verdachtslage also bereits aus den eigenen Reihen ergeben. Geschehen ist offensichtlich nichts.

Das wird den Druck auf EY jetzt nochmals erhöhen. Der Wirtschaftsprüfer hatte Wirecard mehr als ein Jahrzehnt durchgehend geprüft und bis inklusive 2018 die Bilanz uneingeschränkt testiert.

Ermittlungen laufen

In Deutschland wird bereits durch das Aufsichtsgremium Apas gegen EY ermittelt. Auch Klagen von Investoren gegen den Wirtschaftsprüfer wurden bereits eingebracht. Die Frage, ob EY in der Causa Fehler begangen hat, ist wichtig zu klären. Davon wird abhängen, ob EY in die Haftung zu nehmen ist. Investoren und Anleger haben Milliarden Euro mit ihrem Wirecard-Investment verloren. Jedes Geld, das zusammengetragen werden kann, würde in die Masse fließen, die an die geschädigten Anleger verteilt wird. Eine Haftung von EY würde den Topf für die geschädigten Investoren also erhöhen.

Ebenfalls pikant: Im vergangenen Monat wandte sich Carmine Di Sibio, globaler Vorsitzender und CEO von EY, an die Kunden. In einem Brief teilte der in Italien geborene EY-Chef mit, dass er es bedaure, dass der Betrug nicht früher aufgedeckt wurde. Er soll laut FT in dem Brief auch behauptet haben, dass EY letztendlich "erfolgreich darin war, den Betrug aufzudecken".

Die Prüfer von EY haben aber erst am 18. Juni Wirecard das Testat für die Bilanz 2019 verweigert. Zu diesem Zeitpunkt war bereits bekannt, dass die KPMG im Zuge ihrer von Wirecard beauftragten Sonderprüfung dem Unternehmen ein schlechtes Zeugnis ausstellt – denn für bestimmte Umsatzerlöse gab es keine Nachweise, Einzahlungen auf Treuhandkonten konnten nicht nachgewiesen werden. Konzernchef Markus Braun sah damals – im April 2020 – den in Medien erhobenen Vorwurf der Bilanzfälschung dennoch als widerlegt an.

Ambitionierte Pläne

Wie nun auch bekannt wurde, hatte sich Wirecard um eine Banklizenz im Iran bemüht. Laut Zeit habe ein Vertrauter des flüchtigen Ex-Wirecard-Vorstands Marsalek einen Termin mit einem Diplomaten der Islamischen Republik vereinbart, um über eine Banklizenz zu verhandeln. Auch auf den Komoren und in Jamaika bekundete Wirecard Interesse an einer Bank. Singapur hat derweil angeordnet, dass Wirecard seine Geschäfte auf dem Inselstaat einstellen muss. (Bettina Pfluger, red, 30.9.2020)