Wien – Sie waren Helden des Alltags. Tausende Mitarbeiter des Handels hielten während des Lockdowns die Versorgung der Österreicher aufrecht. Anfangs noch laut beklatscht, sahen sie sich zusehends dem Frust der Konsumenten über rigide Verhaltensregeln im Zuge der Pandemie ausgesetzt. Wer die Kunden daran erinnerte, riskierte es, angeschnauzt zu werden.

Handelsmitarbeiter stehen in Zeiten von Corona an der Virenfront. Arbeitgeber und Arbeitnehmer ringen um höhere Löhne, Maskenpausen und Erschwerniszulagen.
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Die Jobs an der Virenfront wurden über den Sommer nicht leichter. Quer durch alle Branchen blieben in Österreich viele Geschäfte aus Kostengründen personell unterbesetzt. Die einen wurden mit Arbeit überladen, obwohl sie daheim Kinder zu hüten hatten. Die anderen bangten um den Erhalt ihrer Stellen. Der September brachte die Maskenpflicht zurück. Wann wieder Normalität in den Alltag einkehrt, ist offen. An eine rasche Erholung glaubt keiner.

Kein Corona-Tausender, keine Maskenpausen

"Viele arbeiten unter schwierigsten Bedingungen. Es gab für sie weder den Corona-Tausender noch ein Entgegenkommen bei Maskenpausen. Sie warten nun darauf, dass ihre Leistung endlich honoriert wird", sagt Anita Palkovich. Die Gewerkschafterin verhandelt ab 21. Oktober mit den Arbeitgebern die neuen Gehälter des Handels. 420.000 Angestellte, überwiegend Frauen, sind davon betroffen. Es ist der größte Flächen-Kollektivvertrag Österreichs.

Die Metaller legten die Latte hoch – was das Tempo des Lohnabschlusses betrifft: Noch nie einigten sich die Sozialpartner schneller. Die Inflation von 1,45 Prozent wird abgegolten. Wer es sich finanziell leisten kann, zahlt seinen Leuten eine freiwillige Prämie von 150 Euro aus.

Ruf nach Prämien

Auch im Handel ertönte über den Sommer hinweg immer wieder der Ruf nach Einmalzahlungen, die Krisengewinner, abhängig von ihrem wirtschaftlichen Erfolg, leisten sollten. Spar, Rewe und Hofer ließen ihren Leuten im März Boni in Form von Gutschriften für den eigenen Konzern zukommen. Die Drogeriekette DM will Mitte Oktober Einkaufsgutscheine im Wert von 400 Euro an die Belegschaft ausgeben. Die Gewerkschafter sehen darin wichtige Signale, getan sei es damit aber nicht.

Palkovich erzählt von boomenden Pharmaumsätzen. Auch Sport- und Möbelhändler hätten verlorenes Geschäft wettgemacht. Und sie erinnert daran, dass das Einstiegsgehalt im Handel derzeit brutto nur 1714 Euro beträgt – wobei ein großer Teil der Beschäftigten Teilzeit arbeitet. "Höhere Gehälter fließen sofort zurück in den Konsum."

Schwere Krisen

Die große Hürde bei der Lohnrunde: Noch nie war die Kluft innerhalb der Branche tiefer. Corona hat weite Teile des Handels in den Grundfesten erschüttert. Vor allem Modehändler und Geschäfte in großen Innenstädten liegen flach am Boden. Touristen fehlen. Österreichern, die infolge von Kurzarbeit weniger verdienen, um den Job bangen oder ihn längst verloren haben, verging die Lust aufs Shoppen. Und nach sieben Monaten Einkauf auf Distanz haben viele gelernt, auf Onlinehändler umzusatteln. Es ist ein Kaufverhalten, das sie so rasch nicht mehr ablegen werden und von dem primär Riesen wie Amazon profitieren.

"Explosiver Cocktail"

Laufen die staatlichen Hilfen aus, droht der Branche eine Pleitewelle. Es sei ein "explosiver Cocktail", der sich seit dem Ausbruch der Krise zusammengebraut hat, sagt Handelsverbandspräsident Stephan Mayer-Heinisch. Er nennt die bevorstehenden Gehaltsverhandlungen die nunmehr größte Bewährungsprobe der Sozialpartner. "Sie werden daran gemessen, wie viele Betriebe überleben werden." Er hüte sich, Ratschläge zu erteilen, appelliere aber ans Augenmaß. "Es braucht diesmal Mut, festgefahrene Wege zu verlassen."

Eine Aufsplittung des Kollektivvertrags, um dem stark inhomogenen Handel besser gerecht zu werden, hält Rainer Trefelik für falsch. Um den Spagat zu bewältigen, brauche es kreative Lösungen, sagt der Chefverhandler der Arbeitgeber. Der Handelsobmann gibt zu bedenken, dass durchschnittliche Werte heuer nichts aussagten. Selbst im Lebensmittelhandel meldeten viele Betriebe Kurzarbeit an. "Nirgends wuchsen Bäume in den Himmel."

"Nach vorne blicken"

Die Entscheidung, die Verhandler treffen müssen: Wo ziehen sie die Grenze, wenn es ums Retten von Händlern geht? Ist es fair, Betrieben entgegenzukommen, die vom Staat nur noch künstlich am Leben erhalten werden, und dafür hunderttausende Mitarbeiter anderer Konzerne leer ausgehen zu lassen? "Wir müssen nach vorne blicken", sagt Palkovich. "Es darf den Lohnverhandlern nicht die Bürde aufgelastet werden, alle retten zu müssen." (Verena Kainrath, 1.10.2020)