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Wien – Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt hat das Verkehrsministerium eine Novelle des Eisenbahngesetzes auf den Weg gebracht. Entsprechend dünn sind die Reaktionen in der am Donnerstag endenden parlamentarischen Begutachtung. Dennoch sind nicht alle Stellungnahmen zu vernachlässigen. Der Verbraucherschutzverein VSV beispielsweise urgiert dringend Nachschärfungen an, die Novelle sei in technischer Hinsicht quasi ein Freibrief für die Haus- und Hoflieferanten der Staatsbahn ÖBB.

Konkret stößt sich VSV-Obmann Peter Kolba an den im Paragraf 9b formulierten Qualitätsanforderungen für Produkte in Schienenfahrzeugen und Eisenbahninfrastruktur. Das Ministerium verringere damit ohne Not die Anforderungen an die Produktqualität und gefährde somit die Sicherheit der Passagiere, der Bahnbediensteten sowie von jedem, "der mit der Sicherheit der Eisenbahn in Bezug kommt", heißt es in der VSV-Stellungnahme.

Stand der Technik?

Geht die mit Neuerungen gemäß EU-Eisenbahnpaket begründete Änderung durch, können künftig Bahnausrüstungskonzerne Material nach den "allgemein anerkannten Regeln der Technik" in Züge einbauen – anstatt gemäß dem in der Normung höher eingestuften "Stand der Technik". Der Gesetzgeber verzichte damit ohne Not auf den Einbau modernster Materialien und Gerätschaften.

Hintergrund dieses auf den ersten Blick semantischen Problems ist die technologische Praxis. Technische Normen entstehen in der Regel nicht per staatliche Verordnung, sondern durch wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Anwendung in der industriellen Praxis. Entsprechend rechtlich unverbindlich sind die Normen von Normungsorganisationen wie Cen, Cenelec und Etsi.

De-facto-Norm

Allerdings bildet sich meist der sogenannte "Stand der Technik" heraus und wird zu einer De-facto-Norm ("best available techniques"), also erprobten Weiterentwicklungen in Praxis- oder Labortests.

Begnüge sich der Gesetzgeber nun mit dem Nachweis des Standes der Technik auf Basis der Einhaltung der "anerkannten Regeln der Technik", sei dies gemeingefährlich, warnt Kolba, weil damit eine Norm zur rechtlich verbindlichen nationalen Vorschrift würde – während sich verändernde, höhere technische Standards nicht zur Anwendung kommen müssten. Das sei zwanzig Jahre nach der Brandkatastrophe in der Gletscherbahn Kaprun ein verheerendes Zeichen und wohl verfassungswidrig. Die Bahnausrüster sehen diese Gefahr naturgemäß nicht. Das Lastenheft der ÖBB sei umfangreich und auf modernste Technik abgestellt. (ung, 1.10.2020)