Nico Hofmann ist Chef der deutschen Ufa.

Foto: Ufa GmbH

STANDARD: Sie warnen vor unzureichenden Hilfen für die TV- und Filmbranche, gleichzeitig erlebt Deutschland einen in der Geschichte bisher einzigartigen Serienboom. Wie geht das zusammen?

Hofmann: Der Serienboom hat schon vor einigen Jahren begonnen. Wir führen seit Wochen mit der Politik eine Diskussion über einen Ausfallfonds. In Österreich, Schweden und Großbritannien ist man schon viel weiter als in Deutschland. Wir reden ja nicht über einen kleinen, unbedeutenden Markt. Da geht es um Milliarden und um viele Mitarbeiter und Selbstständige, die davon abhängig sind. Ich wundere mich, wie lange die Diskussion schon läuft, im Moment auf Länderebene. Nach den letzten Gesprächen habe ich jetzt doch Hoffnung, dass hier eine Energie entsteht. Wenn der Ausfallfonds nicht kommt, haben wir ein Problem.

STANDARD: Haben Sie Angst vor einem zweiten Lockdown?

Hofmann: Das sehe ich ähnlich wie die Fußballer. Es gibt jede Woche eine neue Justierung. Wir haben Vereine, in denen gar nichts passiert, und dann gibt es Vereine mit Covid-Infektionen. Bei uns könnte man Fälle genau lokalisieren. Die strengen Maßnahmen am Set werden eingehalten und überwacht.

STANDARD: Der Anteil des klassischen linearen Fernsehens am Bewegtbildkonsum der 14- bis 29-Jährigen hat sich in Österreich innerhalb der letzten vier Jahre halbiert. In Deutschland dürfte es sich ähnlich verhalten. Wie reagieren Sie als Produzent auf diese Zahlen?

Hofmann: Mich beunruhigt das nicht. Der Trend macht nicht bei den Jungen halt, weil die Älteren auch durch die Pandemie auf Streamingportale umgestiegen sind – inklusive meiner eigenen fast 90-jährigen Mutter. Die Streamingportale bewegen sich in die Mitte der Bevölkerung. Für mich als Produzent ist einzig und allein entscheidend, wie lange Zuschauer Bewegtbild schauen, und das hat sich in letzter Zeit vervielfacht. Für mich macht es keinen Unterschied, ob eine Serie wie "Charité" im linearen Fernsehen läuft oder in der Mediathek, das Gesamtergebnis zählt. Die Nutzungszahlen bei den Mediatheken gehen in die Höhe. "Unsere wunderbaren Jahre" hatte im Fernsehen im Schnitt 6,1 Millionen Zuschauer, in der Mediathek gab es 10,5 Millionen Abrufe. Das ist die riesige Chance für die Öffentlich-Rechtlichen, auch in Österreich: die Mediatheken auszubauen und für beide Sehergruppen bereitzustellen.

Die von Ufa produzierte Serie "Charité" war im Fernsehen ein voller Erfolg. Demnächst kommt die dritte Staffel mit Uwe Ochsenknecht in einer der Hauptrollen.
Foto: ARD/Stanislav Honzik

STANDARD: Das lineare Fernsehen stirbt also nicht?

Hofmann: Das wird seit 15 Jahren behauptet – ich glaube nicht, dass es passiert. Streaming wird zunehmen, der Konkurrenzdruck wird härter. Die Sender bauen ihre Mediatheken aus, um mitzuhalten. Die Gesamtnutzung im linearen Fernsehen erreicht immer noch gigantische Zahlen. Wenn Sie in Deutschland alle Programme zusammenrechnen, kommen Sie im Schnitt jeden Abend auf 20 bis 40 Millionen Zuschauer.

STANDARD: Wie verändert dieses Konsumverhalten Ihre Produkte?

Hofmann: Öffentlich-rechtliches Fernsehen hat nach wie vor die Aufgabe, nationales Programm für alle zu machen. Netflix und andere Plattformen gehen da natürlich viel spitzer und konkreter auf die Zielgruppe zu. Sie können sich gewisse Radikalitäten erlauben, weil sie auf Knopfdruck ein weltweites Publikum haben. Das geht beim Öffentlich-Rechtlichen nicht.

STANDARD: Der Serienboom führt zu schrägen Wettläufen: Sky und ARD produzieren über Wirecard, Sie auch. Ärgert Sie das?

Hofmann: Das gab's schon immer. Zu Anne Frank gab es zwei Projekte, zu Romy Schneider ebenfalls mehrere. Es wird zu Wirecard sicherlich drei oder vier Projekte geben. Das ist aber nicht schlimm. Es geht um die Sache und um die Frage, wer hat den Zugang zu den Quellen, wer hat wie recherchiert. Das erleben Sie im Journalismus jeden Tag.

STANDARD: Die Produktionskosten steigen. Betafilm produziert die Serie "German Moon" – eine Folge kostet 2,8 Millionen Euro. Darf man es nicht mehr unter einem gewissen Betrag machen?

Hofmann: Ganz ehrlich, inhaltlich liegen wir schon seit Jahren in dieser Größenordnung. Das Budget von "Unsere Mütter, unsere Väter" lag bei 15 Millionen Euro für drei Teile. Das ist der Betrag, den Sie mittlerweile brauchen, um international konkurrenzfähig zu bleiben. Die Amerikaner geben noch ganz andere Summen aus. Da reden wir über bis zu 20 Millionen Euro pro Folge.

STANDARD: Wie viele Corona-Drehbücher sind in den letzten Monaten über Ihren Tisch gegangen?

Hofmann: Kein einziges, weil die Leute das auch nicht sehen wollen. Der Wunsch geht eher in Richtung schierer Eskapismus. Die große Corona-Serie würde im Moment niemand anschauen, damit können Sie in zehn Jahren kommen. Ich kann mir vorstellen, dass das darüber liegende Thema – das Zusammenleben der Menschen, Einsamkeit, soziale Verantwortung – interessieren kann. Aber der spezielle Corona-Event mit Christian Drosten in der Hauptrolle wird fiktional nicht kommen.

STANDARD: Wir haben eine Zeit hinter uns, in der die Dystopie in Serien allgegenwärtig war. Ist die Lust auf den televisionellen Untergang vorbei?

Hofmann: In der Tat haben wir uns wahnsinnig viel mit dem Untergang beschäftigt. Es lag auch in der Luft, wir leben in einer instabilen Weltlage, die Menschen spüren das. Es werden kluge, differenzierte Erzählungen kommen, aber eben auch der ganz klare Eskapismus – wir wollen wieder Wärme, Heimat und Schönheit. Letzteres halte ich für problematisch, weil das von allen politischen Themen ablenkt.

STANDARD: Und wie ist es mit dem Klimathriller – hat der Chancen?

Hofmann: Das hat er. Wir waren für unsere Dokumentation "Expedition Arktis" bei der weltweit größten Arktis-Expedition dabei. Das habe ich vor drei Jahren angestoßen, da hat noch kein Mensch in der Heftigkeit über den Klimawandel diskutiert, und diese Dokumentation wird auf einem Primetime-Sendeplatz in der ARD im November ausgestrahlt. Man muss drei Jahre vorher spüren, welche großen Themen auf uns zukommen. "Expedition Arktis" ist eine wegweisende Dokumentation.

STANDARD: Bekommen Dokumentationen mehr Bedeutung?

Hofmann: Das ist definitiv der Fall. Der ganze Bereich der High-End-Doku wird wichtiger, und es wird unheimlich viel investiert, die Projekte werden ehrgeiziger. Ich komme aus dem Journalismus und bin ein großer Fan dieser Art von Dokumentationen. Für die Ufa kann ich sagen, dass wir uns in den nächsten Jahren ganz extrem in diese Richtung engagieren werden.

STANDARD: Und welchen Film, welche Serie werden wir in drei Jahren sehen?

Hofmann: Ich bin mir sicher, dass Medizinthemen eine starke Bedeutung bekommen, beispielsweise der ganze Bereich der Krebsforschung. Ich habe vor zwei Jahren ein großes Projekt dazu mit dem Krebsforschungszentrum Heidelberg begonnen und war vor einer Woche in der Charité, um zu überlegen, ob wir die Geschichte des Krankenhauses noch einmal dokumentarisch erzählen. Gesundheit, Medizin, Umgang mit dem Körper und Geist – das wird durch Corona extrem verstärkt. (Doris Priesching, 2.10.2020)

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