EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratschef Charles Michel informieren über die Ergebnisse des ersten Gipfeltags.

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Brüssel/Ankara/Athen – Der Weg für EU-Sanktionen gegen Unterstützer des belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko ist nach einer wochenlangen Blockade frei. Zypern zog in der Nacht auf Freitag beim EU-Gipfel in Brüssel sein Veto gegen die Strafmaßnahmen zurück. Sie sollen laut Ratschef Charles Michel sofort in Kraft treten.

Mit den Sanktionen will die EU zusätzlichen Druck auf die Führung in Belarus aufbauen und ein Zeichen der Solidarität mit den dort lebenden Menschen setzen. In der ehemaligen Sowjetrepublik gibt es seit der Präsidentenwahl vom 9. August Proteste und Streiks gegen Lukaschenko, der bereits 26 Jahre an der Macht ist.

Liste mit 40 Personen

Die EU-Sanktionen sollen nach dem derzeitigen Stand sofort in Kraft treten und 40 Personen treffen, denen eine Beteiligung an Wahlfälschungen oder der gewaltsamen Niederschlagung von friedlichen Protesten vorgeworfen wird. Lukaschenko selbst werde zunächst nicht darunter sein, sagte Michel, denn dies könnte die diplomatischen Bemühungen zur Beilegung des Konflikts erschweren und der EU die Möglichkeit nehmen, ihren Kurs zu verschärfen. Aber das könne sich noch ändern. Die EU handle jetzt gegen jene Akteure in Belarus, die sich "den demokratischen Bewegungen entgegenstellen", sagte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel.

Minsk reagiert prompt mit Vergeltungsmaßnahmen. Das Außenministerium erklärte, es habe eine Liste mit Personen zusammengestellt, denen die Einreise nach Belarus untersagt werde. Die Liste werde nicht veröffentlicht. Zudem müssen die EU-Nachbarländer Polen und Litauen Dutzende Mitarbeiter aus ihren Botschaften in Minsk abziehen. Zudem machte das Ministerium seine Drohung wahr und annullierte mit sofortiger Wirkung alle Akkreditierungen von Auslandskorrespondenten.

Ermutigung zu Widerstand

Die EU-Regierungschefs legten noch nach, sie ermutigten die Menschen in Belarus, die Demonstrationen für einen demokratischen Wandel fortzusetzen. Im Fall eines Erfolgs der Proteste könnte es den Beschlüssen des EU-Gipfels zufolge "einen umfassenden Plan zur wirtschaftlichen Unterstützung eines demokratischen Belarus" geben. Mit den Vorbereitungen möge die EU-Kommission bereits jetzt beginnen.

Lukaschenko hatte zuletzt immer wieder vor einem völligen Zusammenbruch des Staates und seiner Wirtschaft gewarnt, sollte die Revolution Erfolg haben. Die Ex-Sowjetrepublik ist hoch verschuldet und hängt wirtschaftlich und finanziell am Tropf Russlands.

Peitsche und Zuckerbrot für Türkei

Die Sanktionspläne waren von Zypern wochenlang blockiert worden, weil Zypern zugleich neue Sanktionen gegen die Türkei verlangte. Der Gipfel einigte sich nun darauf, dass die EU ihre Sanktionsdrohungen gegen die Türkei aufrechterhält. Im Fall neuer einseitiger Maßnahmen aus Ankara sollen alle möglichen Instrumente und Optionen genutzt werden, heißt es in den Schlussfolgerungen.

Ankara wies die Drohungen umgehend zurück. "Die Sprache der Sanktionen zu verwenden ist nicht konstruktiv", erklärte das türkische Außenministerium am Freitag. Die EU müsse begreifen, dass sie auf diese Weise nichts erreichen werde.

Zugleich verspricht die EU der Türkei unter anderem, die Arbeiten am Ausbau der Zollunion fortzusetzen, wenn sich die Lage dauerhaft beruhigen sollte.

Kurz und von der Leyen erfreut

Nach der Einigung solle umgehend ein schriftliches Verfahren für den formellen Beschluss folgen, sagte Michel. Das sei ein klares Signal der Glaubwürdigkeit der EU. Kommissionschefin Ursula von der Leyen ergänzte, sie sei froh, dass der Weg für die Sanktionen nun endlich frei sei.

Ebenso erfreut zeigte sich Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), dass es "erstmals klare Sanktionsdrohungen in Richtung Türkei" gebe, wenn diese "weiterhin Völkerrecht bricht". Das sei ein "wichtiges Zeichen der Solidarität gegenüber Griechenland und Zypern", sei aber auch notwendig, um der Türkei zu zeigen, dass die EU bereit sei, entschlossen zu reagieren, falls die Türkei ihr Verhalten nicht ändere.

Milliarden Mitte Oktober auf der Agenda

In der Causa Alexej Nawalny ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Die EU-Staaten haben die Vergiftung des Kreml-Kritikers einhellig verurteilt: "Der Gebrauch einer chemischen Waffe stellt einen ernstzunehmenden Bruch internationalen Rechts dar", heißt es in der Abschlusserklärung. Man rufe die russischen Behörden dazu auf, vollständig mit der Organisation für das Verbot von Chemiewaffen zusammenzuarbeiten, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

Beim nächsten Gipfel am 15. und 16. Oktober wird die Vergiftung Nawalnys erneut Thema sein. kündigte Kanzlerin Merkel an. Dann wird es auch bei der EU-Finanzplanung zur Sache gehen. Hier stünden noch schwierige Verhandlungen an – inklusive der Auszahlung des 750 Milliarden Euro schweren Corona-Aufbaufonds. Hier sperren sich Polen und Ungarn, sie wollen eine Junktimierung mit der Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit verhindern. Das Europäische Parlament wiederum fordert mehr Geld. (APA, Reuters, dpa, red, 2.10.2020)