Die Begrüßung ist freundlich – hier ein Ellbogen, da ein Fistbump. Man kennt einander. Dominik Wlazny alias Marco Pogo von der Bierpartei, Anna Svec von Links und Martha Bißmann von Soziales Österreich der Zukunft (SÖZ) treten bei der Wahl am 11. Oktober Wien-weit an. Und obwohl sie medial nicht jenes Echo haben wie die bereits im Gemeinderat vertretenen Parteien, wird beim Smalltalk vor dem Interview klar: Auch für Kleinparteien hat es so ein Wahlkampf ganz schön in sich. Deswegen wird auch darum gebeten, die eingeplante Stunde nicht zu überziehen. Alle müssen pünktlich zu den nächsten Terminen – oder in ihren Brotberuf.

STANDARD: In Wählerinnenbefragungen geben viele an, sie würden eh gern eine Kleinpartei wählen, wollen aber ihre Stimme nicht verschenken. Was sagen Sie denen?

Bißmann: In Wien ist eine Stimme für eine Kleinpartei nie eine verlorene Stimme, weil es zwei Wahlen auf einmal sind: Gemeinderats- und Bezirksvertretungswahlen. Wenn man Bezirksräte stellt, geht damit schon Parteienförderung einher. Das gibt einer kleinen Partei die Möglichkeit, ihre Basis schrittweise aufzubauen.

Svec: Ich habe das Gefühl, dass die Aussage in letzter Zeit gar nicht so häufig kommt, weil viele Leute mit dem Status quo unzufrieden sind. Es herrscht derzeit eine politische Stimmung, wo Rot und Grün immer weiter nach rechts driften.

Wlazny: Bierpartei-Wähler sind Überzeugungstäter und nachdem jeder die Bierpartei jenseits von der Absoluten sieht, stellt sich die Frage nach dem Einzug und nach fünf Prozent gar nicht.

Die Kleinparteien im Interview. Dass eine Stimme an sie verschenkt wäre, glauben sie naturgemäß nicht.
Foto: Cremer

STANDARD: Frau Bißmann, Frau Svec – wie geht es Ihnen damit, dass Sie neben einer Satirepartei sitzen?

Wlazny: Wieso? Die FPÖ ist ja gar nicht da!

STANDARD: Nehmen Sie ihn ernst?

Svec: Ich kann den Schmäh von der Bierpartei gut nehmen und finde ihn tatsächlich witzig. Und ich finde es prinzipiell nicht schlecht, die Absurdität davon, wie Politik momentan abläuft, vorzuführen. Gleichzeitig sind wir schon in einer Situation, wo man darum kämpfen muss, dass man 12.000 Leute aus Höllenlagern befreit, wir haben eine Klimakrise und bald 500.000 Arbeitslose. Da finde ich, dass Satire nicht das ist, was diese Situation beantworten wird.

Wlazny: Was die Frau Svec sagt, stimmt natürlich. Ich finde es fürchterlich, als Satirepartei bezeichnet zu werden. Spaß ist mein Stilmittel, um meine Inhalte, die es ja durchwegs gibt, zu transportieren. Und wenn man zur Bierpartei Spaßpartei sagt, dann sagt man bitte in Zukunft zur FPÖ Angstpartei.

STANDARD: In anderen Ländern schaffen es sogenannte Satireparteien durchaus erfolgreich zu reüssieren. In Österreich ist bei maximal einem Prozent Schluss. Was läuft denn da schief?

Wlazny: Na ja, die Volkspartei stellt den Kanzler, also da sind schon viele humoristische Züge dabei. Auch die FPÖ war bei der letzten Wiener Gemeinderatswahl mit 32 Prozent ganz weit vorne, ich warte eigentlich jederzeit aufs neue Kabarettprogramm von Uschi Stenzel mit Maximilian Kraus, ich bin mir sicher, die machen eine ausgedehnte Hallentour im Winter. Und wieso die Bierpartei nicht auch auf 30 Prozent?

"Wenn man zur Bierpartei Spaßpartei sagt, dann sagt man bitte in Zukunft zur FPÖ Angstpartei", sagt Marco Pogo.
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STANDARD: Sie sind bei vielen Themen einer Meinung. Würden Sie der Einschätzung zustimmen, dass Sie alle drei eine Partei links der Mitte vertreten?

Wlazny: Die Bierpartei steht immer in der Mitte, direkt vor dem Zapfhahn, da kommt man am besten hin. Ich denke wir haben alle drei ähnliche, vernünftige, humanistische Ansichten. Es ist sehr schade, dass in Österreich überhaupt darüber debattiert werden muss, ob eine Partei gegen Ausgrenzung, gegen Rassismus und für Menschlichkeit ist.

Svec: Ich werde total oft auf unser Plakat angesprochen, wo zu lesen ist, dass man in Favoriten zehn Jahre kürzer lebt als in Döbling. Weil das bei den Leuten offenbar einen Effekt erzielt zu denken, hey, wirklich, das kann ja nicht sein in einer Stadt, die sich immer rühmt, so eine gute Lebensqualität zu haben. Ich habe das Gefühl, dass bei den Leuten hängen bleibt: Es muss gerechter werden, und das wird es ohne linke Opposition nicht.

Bißmann: Die Ergebnisse der "Wahlkabine" als auch die Zuschreibungen durch Medien sind bei uns auf jeden Fall links. Allerdings haben wir einen relativ hohen Anteil an Kandidatinnen und Kandidaten mit Migrationserbe. Und in dieser Gruppe von Menschen befinden sich auch Menschen, die konservativ-religiös sind und sich selbst nicht als links bezeichnen würden.

STANDARD: Warum steht eigentlich keine Person mit Migrationshintergrund auf Platz eins?

Bißmann: Weil ich eine ganz wichtige Rolle erfülle als Nichtmigrantin – nämlich diese Brückenbaufunktion einzunehmen zwischen den migrantischen und nichtmigrantischen Communitys. Eine reine Migrantenpartei wäre das falsche Signal.

STANDARD: Ihnen wird von einigen eine gewisse Nähe zur türkischen Rechten nachgesagt, Sie wehren sich dagegen und sagen, das kann nicht stimmen, denn auch die AKP übt ja Kritik an der Partei. Woher kommt dieser Konflikt?

Bißmann: Ich weiß es nicht. Ich kenne überhaupt keine Proponenten dieser Organisationen, der UID, die früher UETD hieß, glaube ich, und AKP. Ich kann mir nur vorstellen, dass es etwas mit der Vergangenheit unseres Parteiobmanns zu tun hat, der einmal bei der UETD war und ausgestiegen ist, das ist ein biografischer Makel, den man ihm verzeihen möge. Ich denke, es ist ein gutes Zeichen, wenn wir von linken und rechten Fanatikern angegriffen werden, weil es der Beweis dafür, dass wir unabhängig sind.

"Eine reine Migrantenpartei wäre das falsche Signal", sagt Martha Bißmann.
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STANDARD: Eine Frage an Sie alle: Wie bewerten Sie das Corona-Management in Wien?

Svec: Gerade in der Corona-Krise zeigt sich total viel, was auch davor schon ein Problem war. Wir fordern da – und das ist die Aufgabe einer mutigen linken Kraft –, wer Unterstützung bekommt aus Steuergeldern, darf Menschen nicht kündigen. Dass es für Alleinerziehende, für Familien mit Kindern in total vielen Fällen keine guten Lösungen gegeben hat und dass es auch über den Sommer keine Überlegungen gegeben hat, wie man jetzt vorgeht, ist schlecht. Wenn Leute um den Job zittern und gleichzeitig überlegen, zu Hause zu bleiben, weil das Kind Krankheitssymptome hat – was jetzt im Herbst kein Einzelfall sein wird –, dann braucht es Lösungen. Es gibt genug Geld, und es ginge darum, eine gerechte Verteilung zu schaffen.

Wlazny: Ich glaube, es ist so, wie die Frau Svec das gesagt hat. Das waren ja alles vorher schon richtig prekäre Felder. Viele meiner Freunde sind Musiker, und die wohnen nicht in der Villa in Döbling, sondern schon immer von Monat zu Monat. Natürlich sind alle betroffen: vom Gastronomen bis zum Frisör bis zum Jazzpianisten in der kleinen Cocktailbar. Das, was bei vielen Livemusikern passiert ist, dass es wirklich null ist. Andere können vielleicht 30 Prozent hackeln. Man sollte sich davor hüten, Berufsgruppen gegeneinander auszuspielen, aber auch ins Treffen führen, dass es manchen wirklich reinregnet. Und sie in weiterer Folge ihren Beruf nicht mehr ausüben können.

STANDARD: Wenn Sie von Ihren Inhalten sprechen, geht es meist um Bier oder Musik.

Wlazny: Nein, es geht ja nicht nur um die Musiker, die auf der Bühne stehen, sondern um den Rattenschwanz der Menschen, die dahinter arbeiten. Aber natürlich bewegt sich jede Partei auf ihrem Terrain, wo man auch sattelfest ist. Und das ist das – auch um jetzt dieses Spaßparteiargument zu entkräftigen –, was ich authentisch rüberbringen kann. Und ganz ehrlich, ich bin ein relativer Newcomer in der Politik, und es gibt auch Themen, wo ich ganz einfach sagen müsste, davon weiß ich jetzt nichts. Kennen Sie Tinder? Die erfolgreichsten Profile auf Tinder, das sind die Ärzte, Krankenpfleger, Psychotherapeuten, dann, glaube ich, Musiker, und das Allerletzte ist der Politiker. Warum sollte irgendein Mensch freiwillig Politiker werden, wenn er nicht ganz dringend das Verlangen danach hat, so wie ich?

STANDARD: Journalisten rangieren auch ganz unten.

Wlazny: Ich bin nicht auf Tinder, aber das habe ich gelesen, ja. Das bekräftigt mich in meiner Mission, dass es nicht gscheit ist, Politiker zu sein. Und Journalist halt leider auch nicht.

STANDARD: Zur Frauenquote haben wir bei Ihnen widersprüchliche Angaben gelesen. In der "Wahlkabine" steht, Sie sind dagegen.

Wlazny: Natürlich habe ich gesagt, ich bin dafür. Ich spreche mich auch für geschlechterneutrale Sprache aus. Ich habe auch lange mit der "Wahlkabine" diskutiert, und die haben meine Antwort nicht akzeptiert, weil ich nur eine Frau auf der Liste habe. Die Bierpartei bin ich mit gerade einmal einer Handvoll Leuten, das sind Menschen in meinem Umfeld. Es gibt Frauen in meinem Umfeld, die auch mit mir arbeiten, das hat ganz triviale Gründe, warum die nicht in Wien kandidieren: weil die nicht in Wien wohnen. Dass mir jetzt eine antifeministische Haltung von den Medien unterstellt wird, das ist, mit Verlaub, a Bledsinn.

Svec: Wobei manche Zufälle schon ein bisschen blöd sind. Mit nur einer Frau auf der Liste fällt es vielen Frauen schwer, sich da wiederzufinden.

Wlazny: Stimmt natürlich. Ich habe zum Beispiel die Frau Sargnagel gefragt, ob sie für die Bierpartei kandidieren möchte, und sie hat mir nicht geantwortet.

Bißmann: Wenn die Kandidaten einer Männerpartei alle überzeugte Feministen sind, dann ist das vielleicht gar keine so schlechte Variante.

STANDARD: Frau Svec, Sie sind gegen Tempo 30. Warum denn eigentlich? Das ist doch eine klassisch linke Position.

Svec: Uns geht es vor allem darum, dass man generell eine viel autofreiere Stadt hat. Ein Tempo 30 ist zwar wichtig, da geht es aber mehr um bauliche Gestaltung, und da braucht es breite Forderungen. Es geht aber auch nicht darum zu sagen, es werden die Leute bestraft, die in den Außenbezirken wohnen und vielleicht pendeln müssen, weil die Anbindung dort einfach schlecht ist.

"Es gibt eine extrem politisierte Jugend", sagt Anna Svec und hält das für einen Vorteil für die Links-Partei.
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STANDARD: Linke Bündnisse sind schon oft in Österreich zu einer Wahl angetreten, haben aber nie sehr gut abgeschnitten. Warum ist das so, und warum sollte es diesmal anders sein?

Svec: Ich glaube, dass sich in den letzten Jahren einiges getan hat. Es hat riesige Demos gegen eine rechtsrechte, schwarz-blaue – türkis-blaue – Regierung gegeben, wo zehntausende Leute gesagt haben, sie wollen das so nicht, sie wollen keine rechtsrechte Politik, die Arbeitszeiten verlängert und hetzt und rassistisch spaltet. Sondern sie wollen eine Politik für die Leute, die hier leben, für alle Leute, die hier leben. Es gibt eine extrem politisierte Jugend, die gegen die Klimakatastrophe auf die Straße geht, die gerade erst gegen rassistische Polizeigewalt auf die Straße gegangen ist, es tut sich einiges.

STANDARD: Wir hören da viele Gemeinsamkeiten zwischen Ihnen. Steht es zur Debatte, dass Sie bei der nächsten Wahl zusammen antreten?

Bißmann: Also, ich fänd' das gut.

Svec: Ich finde, das ist persönlich auch ein total gutes Verhältnis. Aber ich denke, dass es schon auch in manchen gar nicht so unwichtigen Punkten Unterschiede gibt. Zum Beispiel fordern wir, dass Schwangerschaftsabbruch raus aus dem Strafgesetzbuch kommt, aber auch, dass er kostenlos sein sollte.

Bißmann: Wir haben da sehr intensiv diskutiert, wir waren dafür, und wir haben dann mit einer Frauenärztin, die bei uns auf der Liste ist, und ihren Kolleginnen gesprochen und sind doch auf den Punkt gekommen, dass es besser wäre, Empfängnisverhütungsmittel komplett gratis zur Verfügung zu stellen.

Svec: Das ist auch wichtig.

Bißmann: Man muss sich anschauen, ob das nicht doch zu Missbrauch führen kann, wenn es gratis ist. Ich persönlich war für Ja, unsere Frauen haben es wirklich sehr intensiv angeregt und diskutiert, also, wir sind da wirklich eh sehr nah dran.

Svec: Wir finden schon, dass es problematisch ist, Frauen, die sich diese Entscheidung oft gar nicht leicht machen, da so zu bevormunden und zu sagen: "He, da gibt's dann eine Missbrauchsgefahr."

Bißmann: Also, der Grund würde kein Knock-out-Kriterium sein, wenn es um künftige Allianzen geht. Das wird man schon ausdiskutieren können. Ich finde, eine linke Partei sollte wirklich für die einfachen Menschen da sein, für die Arbeiterinnen und Arbeiter. Und ihr habt eher in den Bobobezirken Zuspruch.

Es beginnt eine heftige Debatte darüber, ob Links oder SÖZ mehr "Hackler" hinter sich haben. Nach dem Interview distanziert Svec sich auf Facebook erneut dezidiert von Bißmann und schreibt von "klaren politischen Differenzen".

Bißmann: Solange die Linke sich nicht vereint, werden die Rechten davon profitieren, die tun sich viel leichter, sich zu vereinen.

STANDARD: Was ist das Wahlziel?

Wlazny: 5,2 Prozent, wie ein Vollbier.

Bißmann: 5,01, reicht für den Einzug.

Svec: 5,3. Ich muss ja jetzt was Höheres sagen.

Die ausgemachte Stunde wird am Ende natürlich doch überzogen, und auch während des Jackenanziehens wird noch weiterdiskutiert. Etwa über eine Aktion vor dem ORF-Funkhaus. Warum es keine "Babyelefanten-Runde" im TV gibt, verstehen die drei nämlich nicht. "Alles klar, wir hören uns", rufen sich die Kandidaten zum Abschied zu. (Lara Hagen, Gabriele Scherndl, 4.10.202)