Der Artikel von "Oe24" "Lebensmüder ließ sich von Polizei erschießen" (Symbolfoto) verstößt laut Presserat gegen den Ehrenkodex für die österreichische Presse.

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Wien – Der österreichische Presserat rügt die Tageszeitung "Oe24": Nach Meinung des Senats 1 verstößt der Artikel "Lebensmüder ließ sich von Polizei erschießen" vom 15. Juni 2020 gegen Punkt 12 des Ehrenkodex für die österreichische Presse (Suizidberichterstattung). Darüber informierte das Selbstkontrollorgan der österreichischen Presse am Freitag in einer Aussendung.

Im Artikel wird berichtet, dass sich ein Mann "aufgrund finanzieller Probleme" von der Polizei erschießen habe lassen. Der Mann sei ein Außenseiter gewesen. Er sei zweimal verheiratet gewesen, zudem werden mehrere persönliche Details angeführt. Außerdem wurde seine Abschiedsnachricht im Wortlaut zitiert. Nach ersten Ermittlungen habe sich der Mann von der Polizei erschießen lassen wollen, was "Suicide by Cop" genannt werde.

Schilderungen mit Details

Mehrere Leser wandten sich an den Presserat und kritisierten die Schilderungen zum Suizid. In einer Stellungnahme führte der Rechtsanwalt der Medieninhaberin u.a. aus, dass der Artikel auf wahren Tatsachen beruhen würde und somit von der Meinungsfreiheit gedeckt sei. Darüber hinaus handle es sich beim gegenständlichen Sachverhalt um einen aufsehenerregenden Vorfall von zweifellos überwiegendem öffentlichen Interesse. Schließlich wies der Rechtsanwalt darauf hin, dass man unterhalb der Artikel auf einschlägige Hilfsangebote für potentiell Betroffene verweisen würde.

Der Senat betont, dass die Berichterstattung über Suizide im Allgemeinen große Zurückhaltung gebietet, insbesondere auch wegen der Gefahr der Nachahmung. In der Bekanntgabe der Ursache des Schusswechsels mit der Polizei erkennt der Senat ein öffentliches Interesse, sodass die bloße Meldung über den Suizid und den Tathergang nicht zu beanstanden ist. Allerdings bewertet der Senat die Schilderung der zahlreichen persönlichen Details aus dem Leben des Verstorbenen jedoch als nicht gerechtfertigt.

Spekulation über Suizidmotive

Bezüglich der Suizidmotive wird im Artikel angemerkt, dass familiäre und finanzielle Probleme der Auslöser gewesen sein sollen, oberhalb der Überschrift findet sich der Zusatz "Geldsorgen". In dem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, dass Suizide auf einem multifaktoriellen Geschehen beruhen und vereinfachende Erklärungen daher möglichst zu vermeiden sind, so der Presserat.

Besonders kritisch sei auch das veröffentlichte Zitat, in dem der Betroffene seine Suizidgedanken äußert. Solche Zitate könnten dazu führen, dass sich andere suizidgefährdete Personen mit dem Suizidopfer identifizieren und das Zitat zum Anlass nehmen, selbst den Entschluss zum Suizid zu fassen, argumentiert der Presserat.

Die Medieninhaberin von "Oe24" und "oe24.at" werden aufgefordert, über den Ethikverstoß freiwillig zu berichten. Mittlerweile haben laut Presserat sowohl die Zeitung als auch das Onlinemedium den Presserat anerkannt.

Anderer Fall für Presserat in Ordnung

In einem anderen Fall wegen eines "Suicide by Cop"-Artikels hat der Senat hingegen beschlossen, kein Verfahren einzuleiten. In diesem auf "OE24" erschienenen Artikel wurde über einen Mann berichtet, der sich wegen sechsfachen versuchten Mordes an Polizeibeamten vor Gericht verantworten muss. Der Mann habe geplant, sich von der Polizei erschießen zu lassen, sei damit aber gescheitert. Aufgrund des öffentlichen Interesses war von keinem Verstoß gegen Punkt 12 des Ehrenkodex auszugehen. (red, 2.10.2020)