"Raus aus der Blase" war das Ziel von Cevin (links) und Dominik für das Gespräch im Kaffeehaus – ihre persönlichen Sichtweisen werden sie aber dennoch nicht ändern.

Foto: Christian Fischer
Im Rahmen von "Wien spricht" haben sich Cevin Freitag und Dominik Niesel im Café Prückel getroffen und über Wohnen, Verkehr, Gleichberechtigung und den freien Markt gesprochen.
DER STANDARD

Einen Tee trinken und eine andere Sicht auf die Welt kennenlernen: Das klingt ein bisschen nach Kaffeehauskultur aus vergangenen Jahrhunderten. Die jungen Wiener Cevin Freitag und Dominik Niesel wollen dies aber auch in Zeiten von Filterblasen möglich machen und haben sich dazu im Café Prückel im ersten Wiener Gemeindebezirk getroffen. "Wien spricht" hat sie einander als Gesprächspartner zugeteilt, dabei haben sie im Vorfeld jede Frage zur Wiener Stadtpolitik konträr beantwortet.

Nun sitzen sie einander bei Tee gegenüber, und so viel scheint sie auf den ersten Blick nicht zu trennen: Dominik (26) lebt im 15. Bezirk und studiert im Masterstudium Finance. Cevin (23) wohnt im 2. Bezirk und arbeitet im Leasingmanagement bei einer Bank. Doch schon bei einem kurzen Gedankenaustausch zu Banken und dem Umgang von Konzernen mit Profit und ihren Mitarbeitern fällt auf: Hier prallen zwei Weltanschauungen aufeinander.

Dominik und Cevin, beide im Hemd, spornt das jedoch umso mehr an, sich einmal mit dieser anderen Meinung auseinanderzusetzen. Denn das finden beide spannend: "Dass es jemanden gibt, der Wien oder Österreich ganz anders wahrnimmt als ich."

Repräsentation und Gleichberechtigung

Das beginnt beim Thema Verkehrspolitik: Cevin will den Autoverkehr einschränken, Dominik glaubt hingegen nicht, dass die öffentlichen Verkehrsmittel in Wien überhaupt genug Kapazität für alle haben, die derzeit noch mit dem Auto unterwegs sind.

Etwas hitziger wird es da schon beim Thema Chancengerechtigkeit. Denn während Cevin noch viele Ungerechtigkeiten sieht, glaubt Dominik, dass die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau in Wien de facto erreicht ist. Männer würden ihm zufolge aus biologischen Gründen aggressiver und dominanter auftreten, weswegen es an der Spitze von Hierarchien auch mehr Männer gebe.

"Warum ist das System dann so ausgerichtet, dass Männer profitieren?", fragt Cevin. Und sieht auch ein Problem darin, dass Frauen in Politik und Wirtschaft nicht ausreichend repräsentiert sind. Dominik glaubt wiederum, dass Frauen gar nicht notgedrungen von Frauen repräsentiert werden wollen, denn die Möglichkeit, Frauen zu wählen, hätten sie ja bereits.

Freier Markt versus Staat

Über das ungleiche Bezahlung von Mann und Frau kommen die beiden jungen Männer schließlich auf Systemerhalter-Jobs zu sprechen, die vielfach weiblich geprägt sind. Es ist beiden ein Anliegen, dass diese Menschen, denen im Zuge der Corona-Krise mehr Beachtung geschenkt wurde, in Zukunft besser bezahlt werden.

Doch der Weg zum Ziel unterscheidet sich bei den Diskutanten: Cevin sieht den Staat in der Verantwortung. Er wünscht sich etwa eine Steuer als Ausgleich für den Wegfall von Geringverdiener-Jobs. Sein Gegenüber hingegen glaubt, dass Veränderungen von Unternehmen und Konsumenten ausgehen müssen. "Da kommt der Libertäre in mir raus, ich mag nicht, wenn man versucht, die Leute zu erziehen", meint Dominik.

Dieser Dissens der Gesprächspartner besteht auch beim Thema Wohnungsmarkt. Denn das ist für Cevin ein weiterer Bereich, der nicht funktioniert, wenn der freie Markt alles regelt. "Wien ist zwar leistbarer als andere Metropolen, aber von wirklich leistbarem Wohnraum sind wir noch weit weg." Mieten gehörten seiner Meinung nach gedeckelt, befristete Mietverträge verboten. "Wohnen soll ein Menschenrecht sein", meint der 23-Jährige.

Dominik sieht dies anders. Er denkt, dass Mieten in Wien im Durchschnitt schon sehr günstig sind. Das Problem sei eher, dass alle am liebsten in dieselben Gegenden in der Innenstadt ziehen würden, wo der Platz eben nur begrenzt sei. Zudem sieht er Vermieter in einer ohnehin schon schwierigen Lage. Mieter seien bereits sehr stark geschützt, und es gebe wenige Anreize, zu renovieren oder gar zu vermieten.

"Es gibt kein Recht auf Parkett"

"Du siehst das Hauptproblem darin, dass Mieter aus der Wohnung geworfen werden", versucht sich Dominik schließlich anzunähern. Ja, meint Cevin, vor allem, wenn dies aus ökonomischen Gründen geschehe, etwa nur, um eine Wohngegend aufzuwerten und dann teurer zu vermieten. Schließlich würden Menschen dadurch ihr Zuhause verlieren.

Dominik ist darüber erstaunt, denn durch die Aufwertung des Wohnraums würden ja auch weitere Anreize geschaffen. Im Grunde sei wohl die Frage jene, was man als leistbar definiere, meint der Student. "Aber wir sind uns einig, dass die Wohnsituation in Wien nicht katastrophal ist." Ja, meint Cevin und scherzt: "Und ein Recht auf Parkett gibt es natürlich nicht."

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Auch über das Wahlrecht für Ausländer, Corona-Maßnahmen und die Flüchtlingssituation wird noch diskutiert. Am Ende sind beide zufrieden. Das Gespräch sei "angenehm kontrovers" verlaufen, und dennoch habe man einander aussprechen lassen und respektiert. Und zumindest auf den kleinsten gemeinsamen Nenner sei man sich bei jeder Thematik einig geworden.

Dass sie ihre persönlichen Sichtweisen nach dem Gespräch ändern werden, glauben beide nicht. Dominik meint aber, er werde noch etwas darüber nachdenken, ob er in Bezug auf die Wohnsituation bisher zu analytisch gedacht habe, ohne eine gewisse soziale Ebene zu berücksichtigen. So viel steht für Dominik und Cevin jedenfalls fest: Eine konträre Meinung verhindert nicht, dass auf den gemeinsamen Tee im Café noch ein Bier folgen kann. (Davina Brunnbauer, Video: Christian Fischer, 3.10.2020)