Was bei der Wien-Wahl vor fünf Jahren das Thema Flüchtlinge war, ist 2020 Corona. Im Wahlkampf dreht sich alles um die Pandemie und die Frage, wie gut die Hauptstadt mit dieser Herausforderung zurechtkommt. Andere Inhalte schaffen es entweder gar nicht aufs Tapet, oder sie werden nur in Zusammenhang mit Covid-19 diskutiert. Aber: Kann man mit einer Gesundheitskrise überhaupt auf Stimmenfang gehen? Wie macht das welche Partei? Und warum taugt Corona als Wahlkampfmunition?

"Es gibt immer irgendein Thema, wo Politiker den Leuten einreden können, dass sie Angst haben sollen, manchmal auch durchaus zu Recht", sagt die Linguistin Ruth Wodak im STANDARD-Gespräch. Vor fünf Jahren erschien ihr Buch The Politics of Fear, in dem es darum geht, welche Bedrohungsszenarien Parteien an die Wand malen, um Stimmen zu lukrieren. Jetzt ist es in einer zweiten, überarbeiten Auflage herausgekommen – mit dem Untertitel: Die schamlose Normalisierung rechtsextremer und rechtspopulistischer Diskurse. Was meint Wodak damit?

Eine Wahl wie nie zuvor: Corona wird sich nicht nur in der Wahlkabine bemerkbar machen, sondern hat auch den Wahlkampf kräftig durchgemischt.
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Rechter Diskurs in der Mitte angekommen

Vieles von dem, was die FPÖ in Sachen Flüchtlingspolitik vor der Wien-Wahl 2015 von sich gegeben habe, sei in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Die ÖVP habe sich in eine nationalkonservative, populistische Partei gewandelt – das gesamte Parteienspektrum sei nach rechts gerutscht. "Übrigens nicht nur in Österreich", sagt Wodak mit Blick Richtung Großbritannien, Ungarn und Polen.

Das merke man auch in der Corona-Krise. Sie werde im Wahlkampf von den Parteien "instrumentalisiert". Wenn etwa vom "Asylantenvirus" gesprochen wird. Oder davon, dass es aus dem Ausland "eingeschleppt" werde, weil man "unpatriotischerweise seinen Urlaub jenseits der Grenze verbracht" hat.

FPÖ-Abgeordnete mit einen Transparent mit der Aufschrift 'Stoppt den Türkis-Grünen Coronawahnsinn' im Rahmen einer Sitzung des Nationalrates.
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Im Lockdown seien rechtspopulistische Parteien mit einer völlig neuen Situation konfrontiert gewesen. Es wurde auf Recht und Ordnung gepocht, Grenzen wurden geschlossen, Polizei war auf der Straße. "Da wurden der FPÖ die Themen weggenommen", sagt Wodak. Die türkis-grüne Regierung fuhr einen "Law and Order"-Kurs, der die Blauen überflüssig machte.

Alles angreifen, alles verteidigen

Doch die nächste Nische war schnell gefunden. Man wetterte gegen die Maßnahmen und Verordnungen von oben – "unterlegt mit vielen Verschwörungstheorien". Alte Feindbilder wurden heraufbeschworen: "Bill Gates, Pharmafirmen, Juden, Reiche, Experten."

Seitens der ÖVP werde Wien in Kontrast gesetzt mit dem restlichen Österreich: "Es wird bei der Bewältigung der Corona-Krise quasi als ,Buhmann‘ dargestellt", erklärt Wodak. Dabei gehe es nicht um eine sachliche Diskussion: "Blümel, Raab, Nehammer und Kurz greifen alles an. Hacker, Hebein, Czernohorszky und Ludwig verteidigen alles."

Einer der "Angreifer" Wiens: Innenminister Karl Nehammer (ÖVP).
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Bei Rot und Grün beobachtet Wodak eine Instrumentalisierung in eine andere Richtung. Sie bringen eher positive Narrative: dass Wien gut dastehe, weltweit die Stadt mit der höchsten Lebensqualität und weltoffen sei. Mit Ausnahme eines Themas, das die Grünen besetzen: "Grün arbeitet auch mit einer Politik der Angst, nämlich in Sachen Klima."

Bei der Bewältigung der Corona-Krise versuchen SPÖ und Grüne in Wien, im positiven Narrativ zu bleiben. Ja, man müsse schneller werden, etwa beim Contact-Tracing, aber bisher sei man gut durch die Krise gekommen, wird vermittelt. Wodak sieht keine "Verteidigung um jeden Preis".

Vertreten das positive Corona-Narrativ: Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) und Birgit Hebein (Grüne).
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Kein fader Wahlkampf dank Corona

Es stünden zwei Erzählungen nebeneinander – die optimistische und die schwarzmalerische. Wodak nimmt eine starke Polarisierung wahr. "Damit werden auch völlig verschiedene Wählergruppen bedient", sagt sie.

Apropos Wählergruppen – aus Sicht der Meinungsforscher gibt die Pandemie etwas her: "Hätte es Corona nicht gegeben, wäre es ein fader Wahlkampf gewesen", sagt etwa Peter Hajek (Public Opinion Strategies).

Dabei habe es zu Beginn der Auseinandersetzung um Wien noch anders ausgesehen. Da sei der türkise Innenminister Karl Nehammer als Angreifer gegen Wien aufgetreten, vor allem was das Corona-Management betrifft. Diese Strategie hätte die ÖVP aber schnell wieder verworfen. "Einerseits, weil die Infektionszahlen in Wien gut waren, und andererseits, weil man gesehen hat, dass Bürgermeister Michael Ludwig sehr gute Werte hat", analysiert Hajek. In der Folge hätte die ÖVP wieder das Integrationsthema getrommelt, Moria lieferte den aktuellen Stoff dafür. "Und als die Corona-Zahlen im Herbst wieder anstiegen, gab es wieder verstärkt Kritik."

Wähler wollen kein Hin und Her

Hajek führt einen weiteren Grund an, wieso es die Rechten dieses Mal schwerer haben im Wahlkampf. Nicht nur wurden sie, wie Wodak sagt, auf der Law-and-Order-Seite überholt. "Es ist schwierig, etwas am Corona-Management der Stadt zu kritisieren, wenn ich andererseits behaupte, dass es die Corona-Krise eigentlich gar nicht gibt", beschreibt der Meinungsforscher die Zwickmühle. Glaubwürdig könne die Partei da nicht agieren.

Obwohl es Thema Nummer eins ist, werde Corona keine Wählermassen mehr verschieben, meint Hajek. "Wenn es keine handfesten Beweise gibt, etwa ob es zu wenig Schutzkleidung gibt, dann ist es ein ewiges Hin und Her, wo der Wähler irgendwann aussteigt – und dann bleibt man bei der Stammpartei." (Lara Hagen, Rosa Winkler-Hermaden, 3.10.2020)