Das macht er super, der Friedrich (Merz) – er geht sogar einkaufen. Die Ehefrau vorschicken, die erzählen soll, wie menschlich einer ist, ist auch beliebt.

Foto: imago images/Rene Traut

Ah, der Herbst ist da, die Blätter fallen. Allmählich wird es kühler, die Zugvögel machen sich auf und davon. Da ist es doch schön, wenn Wahlen an- und bevorstehen, da wird immer so schön gemenschelt.

Falls Ihnen das nichts sagt: Menscheln beschreibt einen Vorgang, bei dem in der Politik vor allem männliche Kandidaten als "einer von uns" charakterisiert werden, indem man vorsätzlich in den Panzer aus angeblicher oder tatsächlicher Kompetenz und Berufspolitikerfokus Kerben schlägt, damit das wohlig weiche Licht des "echten Menschen" aus ihnen durchschimmert.

Der Kandidat soll dem normalsterblichen Wahlvolk als nahbar und echt präsentiert werden. Das bietet sich vor allem bei politischen Hardlinern an, deren Wahl in Umfragen alles andere als sicher beschrieben wird, ist aber bei weitem nicht auf diese beschränkt. Robert Habeck ist als Parteivorsitzender der Grünen Deutschlands eigentlich darauf spezialisiert, sich besonders bürger*innennah, verständnisvoll und profeministisch zu inszenieren. Aber so ein Fotoshooting mit Pferden ist da noch mal eine ganz andere Hausnummer.

Bei Habeck funktioniert das als konsequente Fortführung seines Images als authentischer Politkuschelbär, dem die Nettigkeit nur dann abhandenkommt, wenn es beispielsweise in Sachen Umweltzerstörung thematisch zu ernst wird. Wenn Robert Habeck "auch mal anders kann", dann haut er auf den Tisch. Im Gegensatz zu einem Politikertyp wie Heinz-Christian Strache, der dann "ganz anders" ist, wenn er ausnahmsweise mal nicht den harten Hund geben kann.

Strache muss im Wahlkampf gelegentlich als jemand inszeniert werden, der nicht nur "Diese verdammten Ausländer!" schreiend den kompletten Tisch zerlegt, weil ihm der erfolgreiche Macher nach "bsoffne Gschichtn Teil 193" nicht mehr durchgängig abgekauft wird. Also menschelt es. Man liegt am Boden, steht wieder auf. Das kann jedem passieren. Sie kennen das.

Team HC Strache

In Deutschland wird diese Nummer gerade von Friedrich Merz durchgezogen. Merz ist Anfang der Nullerjahre an Angela Merkel gescheitert, 2018 an ihrer Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer, und er möchte immer noch gerne CDU-Vorsitzender und Kanzlerkandidat werden. Die Pfunde, mit denen er dabei immer gewuchert hat, sind seine Wirtschaftskompetenz und seine harte Haltung gegenüber Migrant*innen. Besonders nahbar wirkt im Gegensatz zu Mitbewerbern und Konkurrenten, die Macht "menschlich" verkörpern wollen und meinen, "Hoffnung" zu haben, nicht.

Mit ein paar Millionen auf dem Konto und Privatflugzeugen helfen eben auch keine Mittelschichtsbekundungen.

Deshalb hat das Wahlkampfteam in den Menschelmodus geschaltet – inklusive des in Deutschland dafür üblichen Interviews mit der Zeitschrift "Bunte". Sie erinnern sich vielleicht: Das ist die, die den ehemaligen SPD Verteidigungsminister Rudolf Scharping mit seiner neuen Lebensgefährtin in einem Pool auf Mallorca abgebildet hat. Chefreporter Paul Sahner hielt das damals für eine sagenhaft gute Idee, weil das "für einen Minister so menschlich, so irre" sei. Die deutsche Öffentlichkeit sah das angesichts des heraufziehenden Balkankriegs eher nicht so.

Friedrich Merz wiederum hat seine Frau vorgeschickt. Auch ein sehr beliebter Move. Die soll jetzt mal erzählen, wie menschlich er ist. Weg vom harten Wirtschaftshund, der früher mal gegen den Straftatbestand der Vergewaltigung in der Ehe gestimmt hat und auf Nachfrage, was er denn von einem homosexuellen Kanzler hielte, erklärt, dass das für ihn alles kein Problem sei, "solange es nicht Kinder betrifft", hin zu "einem von uns", der sogar einkaufen geht und seine Hosen bügelt. Wow, einfach wow! Nicht nur ich bin total begeistert.

Man stelle sich vor, was der Merz noch alles "wie wir" macht. Abwaschen, auf Toilette gehen, vielleicht zahlt er sogar seine Steuern wie … gut, dass würde jetzt wirklich zu weit gehen. Am Ende bleibt die Frage, wann es ihm mal jemand sagt. Ihm und den anderen Herren. Dass sie derartige Promo-Bonmots einfach nur lächerlich und weltfremd wirken lassen, weil sie sich damit als Männer outen, die ein normales Leben und faire Aufgabenverteilung maximal antäuschen. Und auch, dass ein Menschelinterview mit der "Bunten" noch nie eine gute Idee war.

2017 sprach der damalige Ministerpräsident des Bundeslandes Schleswig-Holstein vor der anstehenden Wahl mit der "Bunten" über seine neue Beziehung nach 27 Jahren Ehe. Man wollte dem Klatsch zuvorkommen. Torsten Albig sagte damals in Bezug auf seine Exfrau: "Irgendwann entwickelte sich mein Leben schneller als ihres. Wir hatten nur noch ganz wenige Momente, in denen wir uns auf Augenhöhe ausgetauscht haben. Ich war beruflich ständig unterwegs, meine Frau war in der Rolle als Mutter und Managerin unseres Haushalts gefangen."

"Auch mal" ist zu wenig

Albig und sein Team fanden das clever gelöst. Viele andere haben sich hingegen bei der Lektüre gefragt, ob der Mann wirklich nicht rafft, wer da die Mutter und Haushaltsmanagerin in ihrer Rolle gefangen hält und woran es wohl liegen könnte, dass Austausch auf Augenhöhe nicht stattfand. Am Ende stand Albig einfach als einer der Typen da, die ihre Frau, nachdem sie sich für seine Karriere und die gemeinsamen Kinder aufgeopfert haben, gegen eine jüngere, "unbelastetere" austauschen.

Und das ist auch die Quintessenz des Ganzen: Männer, die "auch ganz anders können", kriegen außerhalb dieses "Auchs" wenig bis gar nichts von dem auf die Reihe, was sie gerade zu Promo-Zwecken verkörpern wollen. Wer "auch mal" die Kinder nimmt, nimmt sie zu wenig. Wer "auch mal" putzt und kocht, macht nicht genug im Haushalt.

Es wird Zeit, Männer nicht an ihren ach so strahlendes Ausnahmen zu messen, sondern an dem, was sie tagtäglich in Sachen Kümmern, Verantwortung und Care-Arbeit leisten. Andernfalls wird es, garniert von weiterer gruseliger Eigenwerbung, noch sehr lange viel zu wenig bleiben. (Nils Pickert, 4.10.2020)