Ein Paar, das keines geworden ist: Marianne (Martina Ebm) und Stefan (Michael Dangl).

Foto: Moritz Schell

Der weibliche Aufopferungswille ist immer wieder enorm. Am Theater in der Josefstadt präsentiert Christopher Hampton mit seiner Stefan-Zweig-Bearbeitung Geheimnis einer Unbekannten ein Gustostückerl dieses Jahrhunderte lang antrainierten Masochismus. Marianne sagt zu Stefan: Ich weiß doch, wie sehr du deine Verantwortungslosigkeit (!) brauchst. – Da mussten im Theater in der Josefstadt viele lachen.

Nachdem Marianne infolge einer kurzen Affäre mit Stefan schwanger geworden war, zog sie das Kind im Alleingang auf, ohne den Kindsvater darüber in Kenntnis zu setzen. Der libertinäre Dichter, so dachte die Frau, kann weder Kind noch Gattin zu Hause gebrauchen. Es sind die 1920er-Jahre, sie wird Prostituierte – euphemistisch: Kurtisane –, damit ihr Sohn im Wohlstand aufwachsen kann und auch einmal so viele Bücher liest wie der Papa.

Diese Bekenntnisse einer Frau, die Stefan Zweig als Novelle abgefasst hat (Brief einer Unbekannten, 1922), überträgt der britische Autor und Regisseur Christopher Hampton in ein Drama der Selbstverleugnung (Übersetzung: Daniel Kehlmann). Am Donnerstag hatte es in der Josefstadt Express-Uraufführung (75 Minuten). Das im Brief nur Berichtete wird nunmehr im Gespräch ausagiert: Dafür kommt – bei Hampton – Marianne (Martina Ebm) zu Stefan (Michael Dangl) auf Besuch.

Formvollendeter Diener

Der Vorhang hebt sich, und die historische Zeit beginnt zu ticken. Marianne betritt eine formvollendete Wiener Altbauwohnung mit hohen Wänden, Stuckdecke, Samtsofa, Edelholzsekretär und einem ebenfalls formvollendeten Diener namens Johann (Michael Schönborn); Bühne: Anna Fleischle.

Das Publikum blickt in die Vergangenheit, in ein Kostümdrama, dessen Inszenierung den literarischen Stoff nostalgisch umhüllt. Geheimnis einer Unbekannten ist die Rückblende in eine konkrete historische Zeit und ihre gesellschaftlichen Usancen, denen sich Ebm und Dangl hingebungsvoll einfügen: schwärmerisch-gefühlvoller Ton von ihr, charmant-kecke Distinguiertheit von ihm. Wobei Dangl den schwierigen Part desjenigen, der auf die späten Bekenntnisse nur achselzuckend reagieren kann, ohne falschen Aktivismus ausfüllt. Der Mann im seidenen Morgenmantel und mit sympathisch verwuscheltem Haar kann sich einfach nicht daran erinnern, mit Marianne je zuvor Kontakt gehabt zu haben, und er kann sich schon gar nicht vorstellen, mit ihr einen Sohn gezeugt zu haben. Bei ihm waren einfach zu viele Frauen zu Gast.

Manische Verliebtheit

Diese entgegengesetzten Positionen machen die Tragik des Stücks aus. Das Drama reproduziert damit auch eine gewiss nicht restlos überwundene, aber doch historisch bedingte geschlechtstypische Dualität: Während der Mann seine gesellschaftlich anerkannte und beruflich womöglich erfolgreiche Stellung hatte, blieb der Frau für gewöhnlich nichts, sie war Begleiterin, ihr Leben vom Gatten abgeleitet.

Mariannes krankhafte Verliebtheit rührt aus ihrer Kindheit, als sie und Stefan einmal Wohnungsnachbarn waren und das träumerische Mädchen nachvollziehbar nichts Interessanteres fand als einen Schriftsteller, der den ganzen Tag gut gelaunt macht, was er will, viele Gästinnen empfängt und oft verreist. Wie besessen hat sie ihn beobachtet und ist, nachdem ihre Familie übersiedeln musste, später zur Stalkerin verkommen. Als solche hat sie ihn später einmal "verführt" (Kindszeugung), ratlos und ohne Erinnerung hebt er die Augenbrauen.

Geheimnis einer Unbekannten ist ein Abend wie in Formalin, die Wiederauferstehung einer abgelaufenen Zeit und ihrer Nöte. Um den musealen Zustand des Abends sachte zu brechen, nimmt Regisseur Hampton eine "unrealistische" Verschiebung vor: Das von Marianne erinnerte Mädchen (sie selbst als Kind: Lara Buchsteiner) streift wie in einer Parallelzeit durch die Zimmer.

Man kann Marianne in ihrer Aufopferungsmanie nur bedauern, zumal sie einen hohen Preis zahlen muss. Das ist der Läuterungsansatz, an dem sich allerdings nichts Zeitgemäßes finden lässt. (Margarete Affenzeller, 2.10.2020)