Frankreichs Präsident Macron hat eine Strategie im Kampf gegen "islamistischen Separatismus" vorgelegt. Muslimische Würdenträger befürchten, dass Frankreichs Muslime damit allesamt als potenzielle Salafisten wahrgenommen werden.

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Wo sind all die Schüler geblieben? Deren 4.000 sind im September im Pariser Banlieue-Departement Seine-Saint-Denis nach den Sommerferien nicht zum Unterricht erschienen. Die Corona-Krise erklärt nicht alles. Radikalislamische Eltern nahmen diese vielmehr laut Kennern zum Vorwand, ihre Sprösslinge zu Hause zu unterrichten oder in eine verdeckte Koranschule zu bringen.

Das Verschwinden der 4.000 Schüler ist einer der vielen Gründe, die Emmanuel Macron zum Handeln bewegt haben. Am Freitag kündigte er im Pariser Vorort Les Mureaux ein ganzes Dispositiv gegen den "islamistischen Separatismus" an. Damit meint der französische Staatschef die Bildung von "Parallelgesellschaften unter Anführung radikaler Ideologen, die bewusst, methodisch und politisch agieren". Zu ihrer Bekämpfung sei ein "republikanisches Aufwachen" nötig, sagte Macron. Es äußert sich in konkreten Maßnahmen:

  1. Der Schulunterricht wird ab drei Jahren obligatorisch. Das ist neu für Frankreich, wo das Recht auf häusliche Bildung bis auf die Monarchie zurückgeht. Aristokratische Familien, aber auch entlegen wohnende Bauern durften ihre Kinder zu Hause ausbilden. Heute missbrauchen salafistische Eltern dieses Recht für ihre eigenen Ausbildungsideen unter ihrer Kontrolle. Macron will diesem von der öffentlichen Schule wegführenden Trend einen Riegel vorschieben.
  2. Auch im öffentlichen Dienst will Macron islamistische Einflussversuche unterbinden. Gemeinden sollen die oftmals tolerierte Absenz von Mädchen im Sportunterricht verhindern. Ein gemeinnütziger Fitnessklub, der Frauen den Zutritt verweigert, verliert seine staatliche Subvention. Auch kulturelle Vereine werden in Zukunft strenger auf die Einhaltung der Geschlechtergleichheit kontrolliert. Nachdem einzelne Gemeinden in Seine-Saint-Denis "konfessionelle Menüs" durchgesetzt hätten, wie Macron sagte, will er auch das nicht mehr zulassen.
  3. Angestellte öffentlicher Verkehrsbetriebe werden bestraft, wenn sie zum Beispiel leicht bekleideten Mädchen den Zutritt in den Bus oder den Zug verwehren oder Frauen das Anlegen des Kopftuchs auferlegen. Die Flughäfen werden besser gegen radikalisierte Angestellte geschützt, nachdem in Paris-Roissy 80 Islamisten geortet wurden.
  4. Ein eigentliches "Anti-Putsch-Dispositiv" (so Macron) soll verhindern, dass Salafisten gemäßigte Moscheeleitungen im Handstreich absetzen. Türkische Islamisten haben sich so mehrfach die Kontrolle über Gebetshäuser im Norden von Paris gesichert. Um einen "Islam der Aufklärung" zu schaffen, will Macron zudem die Anstellung ausländischer Imame ab 2024 untersagen. Der Kultusrat der französischen Muslime (CFCM) soll Prediger in Frankreich ausbilden und dafür ein Diplom und Statut schaffen. Die Moscheen können weiterhin aus dem Ausland finanziert werden, da Frankreich wegen der strikten Trennung von Kirche und Staat nicht selber aktiv werden kann. Macron verlangt aber Transparenz, was die Zuschüsse aus Ländern wie Saudi Arabien, Katar und Türkei betrifft.

Muslimische Würdenträger reagierten skeptisch auf die Ankündigungen. Chems-Eddine Hafiz, der Rektor der Großen Moschee von Paris, die 4.000 Gebetsräume verwaltet, hält das Verbot ausländischer Imame für kontraproduktiv: Da es in Frankreich nicht genug Alternativen gebe, sähen sich Moscheen gezwungen, radikalere Prediger anzuheuern. Auch befürchtet Hafiz, dass die fünf Millionen französischer Muslime – bei einer Gesamteinwohnerzahl von 65 Millionen Franzosen – durch ein solches Maßnahmenpaket allesamt als potenzielle Salafisten oder Jihadisten betrachtet würden.

Auch der führende Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon kritisierte noch während Macrons zweistündiger Ankündigung per Twitter, das geplante Gesetz richte sich allgemein "gegen die Muslime". Das Anti-Separatismus-Gesetz dürfte im Dezember vorgestellt werden und im kommenden Jahr vor das Parlament kommen. (Stefan Brändle, 2.10.2020)