Ihre Mannschaft hat sie mehr als halbiert. Jetzt rechnet Bettel-Alm-Wirtin Jennifer Salchenegger durch, ob sie weitere Mitarbeiter kündigen muss, falls die Sperrstunde vorverlegt wird. Mit dem Zickzackkurs bei den Corona-Regeln hat sie wenig Freude.

STANDARD: Haben Sie es zuletzt einmal bereut, Wirtin zu sein?

Salchenegger: Nein. Ich liebe es sehr.

STANDARD: Zum Familienbetrieb gehören vier Standorte mitten in Wien, zum Beispiel im Tourismushotspot Bermudadreieck. Die Rustikaldisko Bettel-Alm ist zu. Gar nicht verzagt?

Salchenegger: Was soll man tun? Aufgeben tut man einen Brief.

STANDARD: Es gab heuer Zeiten für Gastrobetriebe mit null Euro Einkommen. Welche Hilfen es gab, wusste man noch nicht. Wie fühlt sich so etwas an?

Salchenegger: Schiach. Man hat vor dem Shutdown Gerüchte brodeln gehört. Ich habe am Dienstag zu meiner Mama gesagt, sie werden die Nacht zusperren. Sie hat zu mir gesagt: Du bist hysterisch. Ich darauf: Ich bin realistisch. Am Mittwoch hatte ich das erste Meeting mit allen Mitarbeitern. In der Bettelstudent-Gruppe habe ich um die 800 Stornos bekommen, weil das Ronacher zugesperrt hat und wir viele Touristen, Feiern und große Gruppen haben. Da hab ich mir gedacht: Oh mein Gott, es wird ernst.

STANDARD: Ernst ist das Gegenteil von der Stimmung in der Bettel-Alm, wenn sie offen hat. Ihre Familie hat in der Location das Skihüttenflair in die Wiener City gebracht – 2008, als die Finanzkrise ausbrach. Es hat geklappt.

Salchenegger: Der Papa hat immer gesagt, er möchte einmal eine Alm in Wien haben. Das war ein Ausnahmeerfolg. Wir haben die Jungen gehabt, die Wiener gehabt und die, die gefeiert haben.

Auf der Alm ist sie aufgewachsen, jetzt sei sie eine richtige "Stadtingerin", aber immer wie ein Porsche auf der Großglocknerstraße unterwegs, so Salchenegger. Ihr Mann sei der Ruhepool.
Foto: Andy Urban

STANDARD: Vorerst wird es mit Après-Ski-Flair weder auf der Piste noch in der Bettel-Alm was. Ist die Sache fürs Erste tot oder für immer?

Salchenegger: Man muss ganz ehrlich sagen: Was tun die Leute, wenn sie rauschig sind? Schädel zusammenhalten. Da geht es einfach ums Feiern, ums Kommunizieren, ums Lustigsein. Alles das, was jetzt nicht geht. Es ist nicht so, dass unser Geschäftsmodell nicht mehr funktioniert oder dass wir als Geschäftsleute versagt hätten, es ist einfach etwas Größeres. Ich glaube, dass es wieder kommt.

STANDARD: Heuer?

Salchenegger: Nein. Im Frühjahr nächstes Jahr. Ich bin nicht blauäugig, aber trotzdem Optimist.

STANDARD:Die Corona-Regeln werden laufend justiert, auch für die Gastronomie. Es gibt mancherorts frühere Sperrstunde, die vielleicht auch in Wien kommt, in Wien eine Registrierungspflicht, die vielleicht österreichweit kommt. Kennen Sie sich noch aus?

Salchenegger: Ich bin ein sehr gehorsamer Bürger. Aber mittlerweile bin ich schon ein bisserl angefressen. Auch aus privater Sicht, weil ich den ganzen Zirkus in der Schule mitbekomme. Da hatten sie den ganzen Sommer Zeit und wissen nicht, wie sie tun sollen. Sorge und Verantwortung ist eines, aber für Hysterie hab ich kein Verständnis. Auch nicht für diese Spaltung, die jetzt auch in der Gesellschaft funktioniert, für dieses Blockwarttum. Wer sich fürchtet, soll daheim bleiben, soll sich einsperren. Und der andere soll leben.

STANDARD: Womit rechnen Sie noch?

Salchenegger: Meine Vermutung wäre, dass sie nach den Wien-Wahlen zehn Uhr machen, dass sie jetzt die Zahlen so hinbringen, dass die Wintersaison safe ist.

STANDARD: Und dann?

Salchenegger: Wenn die 22-Uhr-Sperrstund kommt, wäre ich schon stinksauer. Weil das noch einmal so viele Betriebe zurückhaut und einfach so viele Jobs kostet. Ich bin natürlich auch wieder am Rechnen. Es fehlen dann wieder 40 bis 60 Beschäftigungsstunden, und ich muss mir wieder überlegen, wen ich kündigen muss. Das muss sich ein jeder überlegen. Ich finde auch die Sinnhaftigkeit nicht gegeben. Was ich gut fände, wäre ein Nachtalkoholverkaufsverbot an Tankstellen, damit da nicht für die ganzen Homepartys eingekauft wird. Bei dieser Tankstelle (am Rudolfskai, Anm.) haben sie das schon verboten.

STANDARD: Das käme natürlich den Wirten entgegen.

Salchenegger: Wer Partys plant, kauft eh im Handel ein. Man muss immer vom dümmsten anzunehmenden Anwender ausgehen. Überall im Leben. Manche Leute checken das nicht. Dazu kommenden die kursierenden Theorien im Internet.

Das Krah Krah im Bermudadreieck. Die Polizei komme schon abends und schaut, sagt Salchenegger: "Aber wenn jetzt ein Gast vergisst, die Maske aufzusetzen, da plädier ich schon auch zu einem Teil auf Eigenverantwortung."
Foto: Imago

STANDARD: Sie meinen die Verschwörungstheoretiker?

Salchenegger: Ja, man muss wirklich informieren und beim am einfachsten Gestrickten anfangen. Gerade hab ich wieder einen Facebook-Post gesehen, ob jemand für ein privates Gartenfest mit 50 Personen einen Foodtruck weiß. Die sind erfinderisch. Ist doch gescheiter, dass für die, die Steuern abführen, die Arbeitsplätze schaffen, Möglichkeiten geschaffen werden.

STANDARD: Wie?

Salchenegger: Ich bin natürlich auch für eine Öffnung der Nacht. Ich finde, dass das unter gewissen Voraussetzungen möglich wäre, wenn man das quasi in einem entschärften Format macht. Weil was die Leute daheim aufführen, ist die andere Sache.

STANDARD: Oder in Clubs oder so, manche Leute sollen nach Bratislava fahren, um Party zu feiern.

Salchenegger: Mit dem Partydampfer. Die Leute wollen feiern. Die Nacht ist ja trotzdem ein Ventil für die Gesellschaft. Man darf auch den Kollateralschaden an den Menschen, an der Psyche nicht vergessen und wie unsere Gesellschaft jetzt auch teilweise von zu viel Angst geleitet wird.

STANDARD: Andererseits hängt uns Ischgl nach. Die haben das nicht hingekriegt. Waren die Wirte zu gierig?

Salchenegger: Nein. Das darf man gar nicht so sagen, weil man das einfach noch nicht gewusst hat zu dem Zeitpunkt. Das hat sich keiner gedacht, und mit der Krankheit ist es ja so, bevor man die ersten Symptome hat, sandelt man schon einen ganzen Haufen Leute an.

STANDARD: Stichwort ganzer Haufen. Es wird viel über mangelnde Treffsicherheit bei den Hilfen geklagt, es wird befürchtet, dass in Wien ein Viertel der Gastro- und Tourismusbetriebe für immer verschwindet. Wird einer von Ihnen darunter sein?

Salchenegger: Sie haben sich mit den Hilfen redlich bemüht. Ich glaube, wir werden es schaffen. Der größte Kostenfaktor ist das Personal, und wir haben kooperative Partner. Aber der Kollateralschaden an der Wirtschaft ist immens. Wir haben normal mit Securitys und Putzfirmen um die 70 Familien, die von unseren Unternehmen leben. Die sind halt jetzt einfach arbeitslos. Wir haben momentan circa dreißig Leute.

STANDARD: Kurzarbeit half nicht?

Salchenegger: Da sind trotzdem die Lohnnebenkosten sehr hoch. Wir haben gleich gesagt, wir können das nicht leisten, weil wir befürchtet haben, dass der Shutdown unter Umständen länger dauert. Aus unternehmerischer Sicht war das die beste Entscheidung, die wir treffen haben können, um unsere Unternehmen und somit auch die künftigen Arbeitsplätze zu schützen.

Sommer in der City. Ganz leer waren die berühmt-berüchtigten Tourismusmeilen Wiens da schon nicht mehr.
Foto: APA/Georg Hochmuth

STANDARD: Sind die Gastronomen jetzt zu einfallslos? Müssen Sie sich nicht neu erfinden?

Salchenegger: Ich sag in der Alm immer: Man muss die Kuh melken, wenn sie eine Milch gibt, und die Kuh melken, die eine Milch gibt. Aber wenn die Kuh keine Milch gibt, was soll ich melken?

STANDARD: Die Wiener, die da sind? Konnten sie das Ausbleiben der Auslandsgäste nicht kompensieren?

Salchenegger: Man muss um den Gast, der da ist, kämpfen. Wir haben viele treue Stammgäste, um die wir irrsinnig dankbar sind. Aber im ersten Bezirk wohnen rund 16.000 Leute. Die, die betuchter sind, sind am Zweitwohnsitz, und die Landler kommen jetzt auch nicht. Wir müssen alle kleinere Brötchen backen.

STANDARD: Die Aufregung um das Rauchverbot nach dem ewigen Hin und Her ist in der Corona-Aufregung verpufft. Wie sieht es denn mit den befürchteten Umsatzeinbrüchen aus?

Salchenegger: Man kann es gar nicht so sagen. Das war voriges Jahr im Oktober. Weihnachten sind die Firmenfeiern, da spürt man das gar nicht so. Jänner, Februar haben sich die Leute relativ gut damit abgefunden. Aber darüber nachzudenken, dafür blieb gar kein Platz, weil dann schon der Shutdown gekommen ist. Von dem redet keiner mehr.

STANDARD: Es hat wohl keiner damit gerechnet, dass es so wild kommt.

Salchenegger: A Packl Haustetschn haben wir gekriegt, ja. (Regina Bruckner, 3.10.2020)