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Kanzler Sebastian Kurz und Russlands Präsident Wladimir Putin schauen dem OMV- und dem Gazprom-Chef beim Vertragsunterzeichnen zu

Foto: Reuters/Sputnik

SPÖ-Fraktionsführer Jan Krainer muss tief bohren. Das passt zum Thema, geht es doch um ein russisches Gasfeld. Vier Mal präzisiert er im Ibiza-Ausschuss seine Fragestellung an OMV-Chef Rainer Seele. "Haben Sie sich im Zusammenhang mit dem Betrieb dieses Gasfelds, an dem die OMV beteiligt ist, aktiv an Löger, Kurz oder Schmid gewandt?", fragt Krainer. Die Antwort von Seele ist kurz und bündig: "Nein." Krainer gibt ihm eine neue Chance: "Sie haben vorher eine Steuer in Russland erwähnt, die das Juschno-Russkoje-Gasfeld betrifft." Hat Seele diesbezüglich mit Kanzler Sebastian Kurz, Finanzminister Hartwig Löger oder Öbag-Chef Thomas Schmid (alle ÖVP) gesprochen? "Die Steuerprobleme in Russland können wir bestimmt nicht in Österreich lösen."

Und, später: "Wir führen lediglich Gespräche mit dem russischen Finanzministerium."

Doch Akten, die STANDARD, Profil und ORF-ZiB2 vorliegen, erzählen eine andere, um nicht zu sagen: eine gegenteilige Geschichte. Sie zeigen, dass die OMV bei hochrangigen türkisen Regierungsmitgliedern lobbyiert hat. Ziel war es, eine Ausnahme von der neuen russischen Bodenschatzsteuer zu erwirken. Diese bescherte der OMV laut internen Kalkulationen einen "finanziellen Nachteil im dreistelligen Millionen-Euro-Bereich".

E-Mail erwähnt Gespräche

In einer E-Mail an Thomas Schmid, den damals frisch gekürten Chef der Staatsholding Öbag, spricht eine hochrangige OMV-Mitarbeiterin von Gesprächen dazu, die zwischen Bundeskanzler Sebastian Kurz, Finanzminister Hartwig Löger, Schmid und Seele stattfanden: "Lieber Thomas, wie zwischen HBK, HBM Löger, Dir und Rainer Seele besprochen haben wir einen Entwurf erstellt für eine gemeinsame Erklärung zwischen Österreich und Russland. Zweck des Dokuments: die Mineral Extraction Tax für uns in Russland zu deckeln."

Eine leitende Mitarbeiterin von OMV-Chef Seele erwähnt am 3. April 2019 in einer E-Mail also jene Gespräche, die Seele mehr als ein Jahr später im U-Ausschuss unter Wahrheitspflicht dementierte. Hat er wissentlich gelogen, wäre das ein strafbares Vergehen – es gilt die Unschuldsvermutung.

Aber auch das Finanzministerium (BMF) hat – ebenso wie sein Ressortchef Gernot Blümel (ÖVP) vor dem U-Ausschuss – Erinnerungslücken. "Das BMF hat diesbezüglich keine Verhandlungen geführt. Daher gibt es auch keine gemeinsame Absichtserklärung", antwortet Ministeriumsprecher Johannes Pasquali auf eine Anfrage.

Auch hier erzählt die Aktenlage etwas anderes. Im Kabinett Löger geht Mitte Mai 2019 die finale Version eines Abkommens zwischen Österreich und Russland ein. Die Unterzeichnung ist für Anfang Juni im russischen St. Petersburg geplant, das Ibiza-Video samt Regierungsende lässt diese Pläne platzen. In der Übergangsregierung führt der ÖVP-nahe Finanzminister Eduard Müller diese Pläne allerdings fort. Es existiert ein Briefverkehr mit dem russischen Energieministerium, das schreibt, man sei bereit, "die besten Tätigkeitsbedingungen für die ausländischen Investoren in Russland zu schaffen".

Das Finanzministerium bittet die Öbag, einen Antwortentwurf zu schreiben. Im November 2019 empfiehlt die Staatsholding, den österreichischen Botschafter in Moskau ins russische Energieministerium zu schicken. Im Dezember 2019 unterschreibt Müller dann einen offiziellen Antwortbrief.

"Wir hoffen auf Gespräche"

Darin heißt es: "Wir hoffen sehr, dass die russische Regierung ehestmöglich Gespräche zur Unterzeichnung der bilateralen Erklärung (...) aufnimmt, damit die großen steuerlichen Herausforderungen für die OMV (...) vermindert und damit die Attraktivität des Investitionsstandortes Russland für die OMV gestärkt werden kann."

Hier sei die Antwort des Finanzministeriums an STANDARD , Profil und ZiB2 wiederholt: "Das BMF hat diesbezüglich keine Verhandlungen geführt."

Die OMV selbst will gar nichts sagen: "Ich bitte Sie um Verständnis, dass wir dieses Thema nicht kommentieren." Im Kanzleramt verweist man darauf, dass das Finanzministerium wohl der Adressat von E-Mails war und ergänzt: "Wenn es im Interesse der Allgemeinheit ist und dem Standort Österreich hilft, setzen wir uns gerne für Unternehmen im Ausland ein."

Das ist das Merkwürdige an dieser Geschichte: Eigentlich könnten das Finanzministerium und die OMV genau wie das Kanzleramt darauf verweisen, dass man mit einem Abkommen auch dem heimischen Steuerzahler Geld spart. Denn Gewinne der OMV kommen auch der Republik zugute, die ja über die Öbag mit 31,5 Prozent am Energiekonzern beteiligt ist. Durch Seeles Antworten im U-Ausschuss und die Replik des Finanzministeriums, die der Aktenlage widersprechen, entsteht aber der Eindruck eines "Geheimprojekts". Übrigens nicht zum ersten Mal: Schon bei anderen Projekten wie der geplanten Teilprivatisierung des Bundesrechenzentrums ("Projekt Edelstein"), angedachten Glücksspielnovellen oder Privatisierungsgedanken zur staatlichen Immobilienfirma ARE mauerte das Finanzministerium. Was die österreichische Gegenleistung für Steuererleichterungen für die OMV gewesen wäre, geht aus den Dokumenten übrigens nicht hervor. (Fabian Schmid, Jan Michael Marchart, 2.10.2020)