Trump auf dem Weg zum Helikopter, der ihn ins Militärkrankenhaus Walter Reed bringt.

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Der Helikopter erreicht das Weiße Haus.

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Einen Monat vor der Wahl kann sich Trump seines wichtigsten Instruments bis auf weiteres nicht bedienen: jener Monologe vor begeisterten Fans, die er so liebt.

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Wird der Wahlkampf auf den Kopf gestellt? Muss US-Präsident Donald Trump womöglich wochenlang pausieren? Wen hat es noch erwischt, sei es im inneren Zirkel der Macht, sei es in den Reihen der Opposition? Drei kurze Twitter-Zeilen, um 0.54 Uhr amerikanischer Ostküstenzeit von Trump in die Welt gesendet, haben sie auf die Spitze getrieben, die akute Verunsicherung, die seit Monaten charakteristisch ist für die Vereinigten Staaten.

Der US-Präsident und seine Frau Melania wurden also positiv auf Sars-CoV-2 getestet. Trumps Leibarzt Sean Conley teilte kurz nach dem Tweet mit, dass er erwarte, dass der Präsident in der Lage sei, seinen Amtspflichten ohne Unterbrechung nachzukommen. Später hieß es, Trump zeige milde Krankheitssymptome, vergleichbar mit einer Erkältung. Trump habe als Behandlung eine einmalige Dosis einer Antikörper-Kombination von Regeneron Pharmaceuticals erhalten.

Am Freitagabend wurde der US-Präsident dann in das Militärkrankenhaus Walter Reed gebracht – eine "Vorsichtsmaßnahme" auf Empfehlung der Ärzte, hieß es. Spekulationen von US-Medien, wonach Trump auch Fieber habe, wurde bislang nicht bestätigt. Der Präsident werde unter anderem mit dem Medikament Remdesivir behandelt, er benötige aber keine Sauerstoffzufuhr, schrieb der Arzt wenige Stunden nachdem Trump mit einem Hubschrauber in die Klinik geflogen worden war. "Es läuft gut, denke ich! Ich danke euch allen. Liebe!!!!", twitterte Trump aus dem Spital.

Trump werde die nächsten Tage von der Klinik aus arbeiten, hieß es. Er habe die Amtsgeschäfte nicht an seinen Vize Mike Pence übergeben. Wie lange der US-Präsident im Krankenhaus bleiben muss, ist bislang unklar. Das Weiße Haus sprach von ein paar Tagen. Laut Robert-Koch-Institut (RKI) wird Remdesivir gemäß Zulassung in der EU über insgesamt fünf bis maximal zehn Tage verabreicht. Eine engmaschige Überwachung sei notwendig.

Contact-Tracing

Aus New Jersey war am Freitag zu erfahren, dass der US-Präsident bereits am Abend vor seinem Corona-Test, während eines Dinners mit Großspendern in seinem Golfclub in Bedminster, auffallend lethargisch wirkte. Rund 100 ihm Wohlgesonnene waren dort versammelt, die meisten New Yorker Geschäftsleute. Wurde der Präsident damit zum Superspreader?

Trumps enge Beraterin Hope Hicks war nur wenige Stunden vor ihrem Vorgesetzten positiv getestet worden. Trotzdem flog der Präsident noch zu besagtem Treffen mit den Großspendern. Trumps Sprecherin Kayleigh McEnany wollte dies nicht kommentieren. Sie sagte nur: "Es wurde befunden, dass es sicher für den Präsidenten ist, dorthin zu reisen".

Aus Trumps Umfeld werden inzwischen immer mehr Infektionen bekannt. In den Tagen vor seinem positiven Corona-Test ist Trump viel gereist, er hielt sich in der Nähe Dutzender Menschen auf. In den Fokus gerät insbesondere eine Veranstaltung im Garten des Weißen Hauses vor einer Woche, als Trump die konservative Juristin Amy Coney Barrett als Kandidatin für den freien Posten am Obersten Gericht der USA vorstellte.

Bei mindestens sechs der Anwesenden fielen seitdem Corona-Tests positiv aus: Neben Trump und seiner Frau Melania sind das die frühere hochrangige Trump-Beraterin Kellyanne Conway – die nach eigenen Angaben am Freitagabend positiv getestet worden war und milde Symptome habe -, sowie die Senatoren Mike Lee und Thom Tillis und der Präsident der katholischen Universität Notre Dame, John Jenkins. Die Nachbesetzung des Richterpostens soll trotzdem planmäßig laufen.

Zudem wurde inzwischen bekannt, dass sich auch Trumps Wahlkampfchef, Bill Stepien, angesteckt hat. Das Wahlkampfteam bestätigte einen entsprechenden Bericht des Magazins "Politico". Stepien habe leichte, grippeähnliche Symptome. Er behalte aus dem Home-Office weiter die Kontrolle über die Kampagne. Auch die republikanische Parteivorsitzende Ronna McDaniel hat sich angesteckt.

Biden und Pence negativ getestet

Mike Pence, der Vize, der das Ruder übernehmen müsste, sollte sich der Zustand seines Chefs verschlechtern, unterzog sich umgehend einem Corona-Test, wie auch Joe Biden, der Rivale, mit dem sich Trump am Dienstag in Cleveland ein wüstes Debattenduell geliefert hatte. Das Ergebnis in beiden Fällen: negativ. Auch die demokratische Vizepräsidentschaftskandidatin Kamala Harris wurde negativ getestet.

Biden verzichtete bei einem Wahlkampfauftritt auf Attacken gegen den Amtsinhaber, spielte aber durchaus auf dessen laxen Umgang mit dem Coronavirus an. Das für Mittwoch geplante TV-Duell zwischen Pence und Harris soll nach bisherigen Planungen stattfinden.

Was Trumps positiver Corona-Test für den Wahlkampf bedeutet, lässt sich in aller Konsequenz noch kaum absehen. Klar ist, Trump kommt in einer Phase außer Tritt, in der er eigentlich alle Register ziehen wollte. In den Umfragen hinter Biden liegend, hatte er gehofft, das Blatt allein dadurch zu wenden, dass er viel, viel öfter vor Publikum auftritt als der Herausforderer, der zwar gerade mit der Bahn durch Pennsylvania und Ohio fuhr, es aber insgesamt deutlich vorsichtiger angehen lässt. Um seine Anhänger zu mobilisieren, hat Trump seit Wochen nahezu täglich auf einer Kundgebung geredet.

Die Botschaft, die von den Auftritten vor Tausenden von Menschen ausging, von denen die wenigsten einen Mund-Nasen-Schutz trugen, war die: Die Pandemie ist so gut wie vorbei, Corona war gestern, der Blick geht nach vorn. Sehr ähnlich drückte Trump selbst es auch am Donnerstag noch aus. Während die Opposition durch Panikmache zu punkten versuche, kehre das Land unbeeindruckt zur Normalität zurück, biege es – in den Worten Trumps – "auf die Zielgerade" ein.

Nun steht nicht nur hinter der Botschaft ein dickes Fragezeichen, vorläufig muss der Amtsinhaber auch auf die von ihm so geliebten Massenveranstaltungen verzichten. Der ebenfalls mit dem Virus infizierte Stepien teilte mit, alle bereits angekündigten Wahlkampfveranstaltungen unter Teilnahme des Präsidenten würden entweder verschoben oder online abgehalten. Bei allen anderen Veranstaltungen werde im Einzelfall entschieden, ob sie stattfinden.

TV-Debatten

Nach den Richtlinien der Seuchenschutzbehörde CDC müssen Infizierte für zwei Wochen in Quarantäne, damit wäre der Zeitrahmen gesetzt. Ob sich der Präsident daran hält, bleibt abzuwarten. Die nächste TV-Debatte, geplant für den 15. Oktober in Miami, steht auf der Kippe.

Wie auch immer, dass Trump mit der Erkrankung politisch Schaden nimmt, liegt auf der Hand. Selbst wenn er das Kapitel gut übersteht, so hat doch das positive Testergebnis das Thema Corona, das er zu gern abhaken würde, einmal mehr in den Mittelpunkt gerückt. Und damit die Flapsigkeit eines Mannes, der die Gefahr lange herunterspielte, obwohl er es besser wusste. Die burschikose Ignoranz eines Machos, der Zeitgenossen, die Regeln beachten, bisweilen als Schwächlinge verspottet.

Offene Fragen

Trump gehört nicht nur wegen seines Alters, sondern auch wegen seines Übergewichts zur Risikogruppe der am meisten Gefährdeten. Müsste er, wie im Frühjahr der britische Premier Boris Johnson, künstlich beatmet werden, würde Pence die Amtsgeschäfte übernehmen. Nach dem 25. Verfassungszusatz, ratifiziert 1967, kann ein Präsident die Macht vorübergehend an seinen Stellvertreter abgeben, wenn er aus medizinischen Gründen außer Gefecht gesetzt ist. Sowohl Ronald Reagan (1985) als auch George W. Bush (2002 und 2007) machten von dem Passus Gebrauch, als sie wegen einer Darmspiegelung in der Klinik lagen. Dass ein Präsident so kurz vor der von ihm angestrebten Wiederwahl einer schweren Krankheit wegen aussetzen muss – den Fall hat es in der US-Geschichte noch nicht gegeben. Was es für Trumps Kandidatur bedeuten würde, sollte er an ein Beatmungsgerät angeschlossen werden, ist unklar. Man würde politisches Neuland beschreiten. (Frank Herrmann aus Washington, red, APA, 3.10.2020)