Die sechsminütigen Ausschnitte, die "SZ" und "Spiegel" veröffentlichten, stellen für die meisten Abgeordneten die Quintessenz des Videos dar.

Foto: Süddeutsche Zeitung/Spiegel

Mehr als vier Monate saßen die Mitglieder des Ibiza-Untersuchungsausschusses auf Nadeln: Die Ermittler der Soko Tape hatten das berühmte Ibiza-Video schon am 20. April 2020 beschlagnahmt. Doch in den Ausschuss gelangte es vorerst nicht. Zuvor müsse es transkribiert und auf verfahrensrelevante Stellen geprüft werden, hieß es vonseiten der Ermittler. Mit jeder Woche, die der Ausschuss ohne Video verbrachte, wurde der Unmut der Fraktionen größer, hagelte es weitere Appelle, das Video schnell zu liefern.

Erst Anfang September war es dann so weit: Die Abgeordneten erhielten das Video mit minimalen Schwärzungen. DER STANDARD wollte von den Fraktionsführern nun erfahren, ob sich das Warten gelohnt hat.

Überschaubarer Neuigkeitswert

Die kurze Antwort darauf liefert SPÖ-Fraktionschef Jan Krainer: "Ehrlich gesagt, nein." Man erhalte einen "tieferen Eindruck" vom Verhalten der beiden heimlich gefilmten FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus, "aber keine wirklich neuen Erkenntnisse".

Auch für Neos-Fraktionsführerin Stephanie Krisper ist der Erkenntnisgewinn "überschaubar".

"Das Video ist für unsere Kontrollarbeit unwesentlich", sagt gar die grüne Fraktionsführerin Nina Tomaselli; die ÖVP sieht das ebenso.

Einzig die FPÖ hat Interessantes entdeckt – nämlich dass "während des ganzen Gesprächs immer wieder politische Positionen und vor allem Verhandlungspositionen der Freiheitlichen für eine allfällige Regierungsbeteiligung abgeklopft wurden". Dieses Wissen hätten "politische Mitbewerber vor Koalitionsverhandlungen schon ganz gut brauchen können", sagt FPÖ-Fraktionsführer Christian Hafenecker.

"Will kein Voyeur sein"

Zur Frage der Schwärzungen zeigen sich die Fraktionen hingegen gespalten. Die Grünen wollen sich davon "nicht ablenken" lassen, der türkise Fraktionsführer Wolfgang Gerstl "kein Voyeur" sein: "Falls Inhalte geschwärzt wurden, war das von der Justiz sicher notwendig und richtig." Ganz anders sieht das die SPÖ. Für Krainer ist "besonders überraschend, dass eine grüne Ministerin für die Zensur verantwortlich ist." Die FPÖ denkt, dass bei Schwärzungen "die vielzitierten Persönlichkeitsrechte nicht im Vordergrund gestanden sein können, eher technisches Unvermögen". So wird der Name von Hans Kelsen, Architekt der heimischen Verfassung, geschwärzt; der von angeblichen Kurz-Spendern hingegen nicht.

Die Neos wollen das gesamte Rohmaterial – auch mit Blick auf Chatnachrichten, die von der Justiz als nicht relevant klassifiziert wurden.

Lieber nachlesen statt anschauen

Das Video vollständig angesehen hat sich keiner der Fraktionsführer – das überlassen die meisten ihren Mitarbeitern, noch dazu gibt es ein schriftliches Transkript. Jan Krainer hat "einige Sequenzen" gesehen, Tomaselli selbst nichts, ebenso wenig Gerstl und Krisper.

FPÖ-Fraktionsführer Hafenecker schaute seinem einstigen Parteichef "rund eine Stunde" zu. Für die Grünen ist klar: "Der Erkenntnisschatz liegt in den Akten, die wir einsehen können. Eben weil sechs Minuten Ibiza-Video gereicht haben, um Türkis-Blau aus dem Amt zu fegen."

In der nächsten Woche wird sich der Ausschuss wieder dem Gebaren von Strache zuwenden, nachdem in den vergangenen Sitzungen vor allem die ÖVP im Zentrum stand.

Wie war das mit der Privatklinik?

Thema ist die Causa Prikraf, also der Privatkrankenanstaltenfinanzierungsfonds: Hier geht es um die Frage, warum der damalige Vizekanzler Strache in der Regierung für den Privatklinikenbetreiber Walter Grubmüller lobbyierte. Chatnachrichten zeigen, dass sich Strache intensiv dafür einsetzte, dass Grubmüllers Privatklinik in den Prikraf-Fonds aufgenommen wird. Dadurch konnten medizinische Leistungen über die Krankenkassen abgerechnet werden.

Strache reiste mit Grubmüller in dessen Privatjet, die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft hat deswegen ein eigenes Verfahren eingeleitet. Strache dementiert den Vorwurf der Bestechlichkeit, Grubmüller ebenso. Laut dessen Anwalt sei ihm auch nahegelegt worden, dem ÖVP-nahen Alois-Mock-Institut zu spenden. (Fabian Schmid, 4.10.2020)