Am kommenden Sonntag entscheidet sich die Zukunft der politischen Ehe von Rot-Grün.

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Die Wiener SPÖ liegt eine Woche vor dem Wahltag in den Umfragen gut, erstaunlich gut, jedenfalls über 40 Prozent. Am Management der Corona-Krise und am Umgang mit der Pandemie kann das nicht liegen. Die sind nämlich schlecht, um nicht zu sagen katastrophal. Das sehen offenbar auch die Wienerinnen und Wiener so, wie aus einer Umfrage für den STANDARD hervorgeht. Die Gesundheitshotline 1450 ist ein verlässlicher Quell des Ärgernisses für jeden, der dort strandet. Die Testungen laufen nur schleppend, die Benachrichtigungen sind unzuverlässig, das Contact-Tracing – ein ganz entscheidendes Instrument im Kampf gegen die Entwicklung – funktioniert nicht oder nicht gut genug. Die Wiener Gesundheitsbehörden sind auf die absehbare Entwicklung nicht vorbereitet, da kann der zuständige Gesundheitsstadtrat Peter Hacker noch so lässig die Schuld überall anders suchen.

Wien-Bashing

Dass die ÖVP aus allen Rohren auf die Wiener feuert, macht sie nicht sympathischer. Auch wenn einige Vorwürfe stimmen mögen, das bewusste und überzogene Wien-Bashing ist weder glaubwürdig noch angebracht. Dass alles Migrantische, wo immer es hervorschaut oder vermutet wird, von den ÖVP-Vertretern auch gleich pauschal heruntergemacht wird, mag ebenfalls dem Wahlkampf geschuldet sein, lässt sich mit dem Anstand, den man der Volkspartei einmal zugetraut hat, aber nicht mehr vereinbaren. Das bringt Prozente im rechten Eck, aber diese Charakterlosigkeit macht es vielen christlich-sozialen Stammwählern schwer, so zu wählen, wie sie es immer getan haben.

Für gute 20 Prozent in Wien wird das reichen, und ausgehend vom letzten Ergebnis, als die ÖVP unter die Zehn-Prozent-Marke fiel, kann das natürlich als gewaltiger Erfolg verkauft werden. Ist es aber nicht. Der Preis dafür, dass sich die ÖVP so bedingungslos ins rechte Eck stellt, weil sie dort zur Stunde einen taktischen Vorteil wahrnimmt, wird noch zu zahlen sein, von der ÖVP selbst, aber auch vom Land als Gefüge. Eine solche Polarisierung und ein solches Auseinanderdividieren der Menschen, die hier leben, tun uns allen als Gemeinschaft nicht gut.

Zusammenrücken

Man hätte annehmen können, dass eine Bedrohung wie diese Pandemie, die uns derzeit heimsucht, die Menschen zusammenrücken lässt und dass das auch in der Politik seinen Ausdruck findet. Das ist aber nicht eingetreten. Die Vertreter der Parteien giften sich an wie immer, und Corona wird beinhart zu Wahlkampfzwecken eingesetzt, wo immer die Parteistrategen einen möglichen Vorteil ausmachen.

Das ist Gift für das Vertrauen in die Institutionen und deren Vertreter. Dass man Politikern nicht so ganz traut und ihre Absichten hinterfragt, ist normal, das war immer so. Aber wenn es eine Krise gibt wie die derzeit grassierende Pandemie, wäre es wichtig, Politiker zu haben, die als Vorbilder taugen, die sich verständlich machen können, die halbwegs ehrlich sind und denen wir bei ihren Vorgaben zu folgen bereit sind. Nur gemeinsam und mit einem Mindestmaß an Disziplin und Rücksichtnahme kommen wir aus dieser Krise. Dieses Gemeinsame ist die Politik nicht in der Lage oder willens uns zu spiegeln. Es überwiegen Taktik, Neid und Profilierungssucht Umsicht, Vernunft und Verantwortungsbewusstsein. Das erschwert den Kampf gegen Corona ganz wesentlich – in Wien und im Rest des Landes. (Michael Völker, 5.10.2020)