Der Schriftsteller Jani Oswald und die Filmemacherin Andrina Mračnikar teilten im Wiener Burgtheater ihre Einschätzung zur Situation der Kärntner Slowenen.

Foto: Lukas Beck

Martin Kušejs Idee von einem "neuen Kärnten" stellt sich nur zusammen mit dem Schrecken des Vergessens ein – nämlich mit der Auslöschung der Erinnerung. Wie Teile einer großen historischen Maschine hätten Kärntner und Kärntner Slowenen einander jahrzehntelang bedingt und geprägt. Er will diese Maschine nun in einen Graben fallen lassen. Weg mit Abwehrkampf, Volksabstimmung und Ortstafelstreit – "plötzlich ist da Platz für etwas Neues". Das Opfern der Vergangenheit und Geschichte – auf beiden Seiten – wäre somit die Grundlage einer neuen Zukunft. Dann würde er die Verzweiflung nicht mehr mit sich herumtragen.

Mit diesem der üblichen Erinnerungskultur widersprechenden Knall bezog der Burgtheaterdirektor und selbst Kärntner Slowene am Sonntag in seinem Haus anlässlich der Veranstaltung Wie viel Zukunft hat unsere Vergangenheit? zum 100. Jahrestag der Kärntner Volksabstimmung am nahenden 10. Oktober Position. Denn alles, was sich wohl an der Situation der Kärntner Slowenen gebessert habe, sei nicht genug. Vielleicht müsste also das Erinnern an sich neu befragt werden.

"Wir sind nicht zu Gast"

Das sollten im Burgtheater Kostproben der Literatur von Kärntner Slowenen und eine Diskussionsrunde leisten. Erstere machten gleich zu Anfang auf Defizite aufmerksam. Peter Handke und Maja Haderlap sind als Kärntner Slowenen bekannte Autoren. Florjan Lipuš wurde 2018 gar mit dem Großen Österreichischen Staatspreis ausgezeichnet. Aber wie vielen Leser ist – trotz engagierter Verlage wie Wieser oder Drava – Jani Oswald ein Begriff, der im Gedicht Na robu / Mitten am Rand schreibt: "Wenn sie mich mit Steinen bewarfen, war ich stark. Wenn sie mich mit Schweigen bedeckten, war ich gelähmt (...) Ich habe nicht gehen gelernt in ihrer Mitte."

Oder das Werk Andrej Kokots, der in Tu ne bom ostal / Hier bleib ich nicht feststellte: "Noch nicht anerkannt die Tatsache unseres Seins." Oder Valentin Polanšek, der in Sosed pri sosedu / Nachbar beim Nachbarn appellierte: "Wir sind nicht zu Gast auf diesem Kärntner Boden (...) Unser die Haue, unser die Schwielen (...) Deshalb ist dies Land unser Heimatland. Deshalb seien wir Nachbarn im gemeinsamen Haus."

Vergessen "geschieht sowieso"

Insofern widersprach Filmemacherin Andrina Mračnikar später in ihrem Beitrag am Podium der Rede des Hausherrn entschieden. Neben Spielfilmen dreht die Kärntner Slowenin seit fast 20 Jahren mit ihrer Familiengeschichte verknüpfte Dokumentarfilme: In Der Kärntner spricht deutsch ließ sie Partisanen und Nazi-Opfer über Germanisierungsdruck und Ortstafelsturm berichten (derzeit zu sehen auf der Website des Burgtheaters). Kušejs "Wir sollten das alles vergessen" entgegnet Mračnikar also, dass sie gegen das Vergessen arbeite, "weil es seit 100 Jahren sowieso mit der slowenischen Kultur geschieht". Im gerade entstehenden Film Vor dem Verschwinden geht es um Gegenwart und Zukunft der Volksgruppe.

Maja Haderlap, die 2011 mit ihrem Roman Engel des Vergessens zur Thematik der Kärntner Slowenen den Bachmannpreis gewann und auch einen berührenden Publikumserfolg landete, bot damit selbst ein Beispiel dafür, dass "Geschichte sich aus Geschichten zusammenstellt". Sie nahm also die Politik in die Pflicht. Geschichtsnarrative nicht Abwehrkämpfergruppen und Heimatvereinen zu überlassen. Denn: "Welche Folgen zieht es nach sich, wenn man Fragen der Heimat nationalistischen Kräften überlässt? Das ist ein Wettbewerb nach unten!"

Denkmäler als Problemfälle

Historiker Oliver Rathkolb zeigte sich seinerseits "entsetzt" über die oft völkisch geprägten Kärntner Denkmäler zur Volksabstimmung – sie gehörten "alle auf den Kopf gestellt". Aber das sei kein Kärntner Problem allein, verwies er auch auf das Lueger-Denkmal in Wien. Andererseits sah er uns heute auf dem Weg zurück ins 19. Jahrhundert, "indem wir mit überkommenem Nationsdiskurs über Flüchtlinge und Wahlrecht diskutieren". Österreich hätte dabei in den vergangenen Jahren eine negative Vorreiterrolle eingenommen. Dass "Volksabstimmungen keine Lösungen sind", schlug schließlich der britische Historiker Robert Knight mit Seitenhieb auf sein Land einen anderen Bogen von 1920 ins Heute. Sie würden nur zu mehr Polarisierung führen. Wie gehe man dann etwa mit der sogenannten "Verliererseite" um?

Die launigste Zukunftsvision entwarf der anwesende Autor Jani Oswald: In seinem Frauendienst berichte der Minnesänger Ulrich von Liechtenstein vor 800 Jahren, wie er nach Kärnten gekommen und dort vom Herzog in Frauenkleidern auf Slowenisch begrüßt worden sei. "Das ist Offenheit." (Michael Wurmitzer, 4.10.2020)