31. Mai 1995: Gilbert Schaller auf dem Weg zu seinem spektakulärsten Sieg. Der Leidtragende wird Pete Sampras heißen.

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Was haben Pete Sampras, Boris Becker und Mats Wilander gemeinsam? Sie sind Legenden, sie standen an der Spitze der Weltrangliste, sie haben eine negative Bilanz gegen Gilbert Schaller. Ein Match, eine Niederlage. Ja, der Steirer war im Tenniszirkus der Neunzigerjahre ein kleiner Favoritenschreck. Schaller wusste, wie er die Großen auf Sand ärgern konnte. "Ich war kein Wunschlos", sagt der 51-Jährige, "ich war eine Gummiwand."

Das Selbstbildnis ist zutreffend. Wer gegen Schaller gewinnen wollte, musste arbeiten, jeden Punkt drei oder vier Mal machen. "Ich war kein begnadeter Techniker, ich hatte keinen tollen Aufschlag, und meine Vorhand war limitiert." Wer dem Ex-Profi heute beim Reden zuhört, könnte annehmen, er hätte regelmäßig Löcher in die Luft geschlagen. Aber zufällig wird man nicht die Nummer 17 der Weltrangliste. Schaller hatte seine Stärken. Die beidhändige Rückhand war eine davon. "Alle Trainer rieten mir, meine Vorhand zu einer Waffe zu machen. Aber das war nicht möglich. Die Vorhand musste nur konstant sein. Ich wollte die Gegner mit meiner Fitness zermürben, ich wollte sie quer über den Platz schicken."

Als Schaller 1995 beim Turnier von Bologna nach einem Sieg gegen Mats Wilander ins Viertelfinale vorstößt, erfährt er die Auslosung für die erste Runde der French Open, sein Gegner auf der roten Asche im Bois de Boulogne heißt Pete Sampras. Der US-Amerikaner ist hinter Andre Agassi als Nummer zwei gesetzt, Paris ist der letzte Grand-Slam-Titel auf seiner To-do-Liste.

Weiße Taube

"Ich bin angereist, um Sampras zu schlagen. Ich wollte nicht nur ein gutes Match abliefern. Ich wollte ihn nach Hause schicken", sagt Schaller 25 Jahre später. Die breite Brust kam nicht von ungefähr. Er hatte in Casablanca sein erstes und einziges ATP-Turnier gewonnen, in Barcelona den amtierenden French-Open-Champion Sergi Bruguera bezwungen und in Monte Carlo nach einem Sieg gegen Michael Stich erst im Viertelfinale gegen Goran Ivanisevic verloren.

Als eine weiße Taube über den Sand des Court Philippe Chatrier spaziert, sieht man Sampras noch lächeln. Nach vier Stunden Spielzeit sollte sich die Miene von Pistol Pete verfinstern. Der 14-fache Grand-Slam-Champion setzt einen Stopp, Schaller erkennt die Situation, stürmt ans Netz und verwandelt seinen ersten Matchball mit einem Passierschlag. Endstand 7:6 (3), 4:6, 6:7 (4), 6:2, 6:4.

Ein Drama in fünf Sätzen: Gilbert Schaller schlägt Pete Sampras.
JabuLICORNE

Schaller hatte den feinfühligen Sampras mit Ausdauer und Konstanz übertrumpft. Studiert man die Statistik der Partie, springt einem der erste Aufschlag ins Gesicht. 80 Prozent brachte der Österreicher über fünf Sätze ins Feld. Ein Ausreißer? Mitnichten. Die Statistik der ATP-Tour spuckt Schaller mit einer Quote von 75,73 Prozent als sichersten Aufschläger seit Beginn der Aufzeichnungen aus.

Das Publikum von Paris war angesichts der Sensation schockiert und fasziniert zugleich. Natürlich hätte man Sampras gerne länger im Turnier gesehen, am Ende aber erhielt Schaller seine verdienten Ovationen. "Sampras war der große Star, seinetwegen sind die Leute gekommen. Trotzdem habe ich die Atmosphäre genossen. Wenn ich mir die Szenen jetzt ansehe, denke ich, ich hätte mich mehr feiern lassen können."

Schaller ist sich in der Stunde seiner größten Leistung treu geblieben. "Ich habe meine Gefühle nie nach außen getragen, ich war eher der schwedische Typ. Aber tief drinnen, als ich mich im Hotel ins Bett gelegt habe, war es ein immenses Hochgefühl." Ein Hochgefühl, das aber nur zwei Tage währen sollte. In der zweiten Runde verliert der Österreicher auf einem unglamourösen Außenplatz gegen Scott Draper, die Nummer 135 der Weltrangliste.

Man soll nicht in alten Wunden bohren, trotzdem muss man über jene Niederlage reden. "Ich hatte bei 6:4, 6:4, 5:4 einen Matchball bei eigenem Aufschlag. Er hat den Return mit vollem Risiko genommen. Wenn er den Ball nicht perfekt trifft, ist das Match vorbei." Aber Draper trifft ihn perfekt, der Australier dreht die Partie und gewinnt mit 8:6 im fünften Satz.

Schaller spricht von der "schlimmsten Niederlage" seiner Karriere. Hat er Draper unterschätzt? "Nein, ich habe jeden Gegner bis zum letzten Punkt respektiert." Kurz darauf sitzt Schaller im Flugzeug, blickt über die Stadt, in der er gerade einen glorreichen Triumph gefeiert hat, und fühlt sich "beschissen". Keine zwei Wochen später steht Thomas Muster als Sieger der French Open fest. Pete Sampras erholt sich gut, er gewinnt Wimbledon und die US Open.

Gilbert Schaller ist dem Tennis treu geblieben.
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Treue Seele

"Ich bin rückblickend mit meiner Karriere sehr zufrieden", sagt Schaller. "Ich war in der Jugend gut dabei, danach ist meine Laufbahn ins Stocken geraten. Man hat nicht an mich geglaubt, der Verband hat bei mir gespart. Aber ich habe alles weggesteckt und als Autodidakt das Beste aus mir rausgeholt." 15.930 US-Dollar erhielt Schaller damals für seinen Sieg in Paris, 2020 kassiert man als Verlierer in der ersten Runde mehr als das Vierfache.

Dem Tennissport ist Schaller nach dem Ende seiner Karriere 1999 treu geblieben. Von 2007 bis 2011 war er Kapitän des österreichischen Davis-Cup-Teams und ÖTV-Sportdirektor. "Meine Leidenschaft ist meine Arbeit. Ich werde nie etwas anderes so gut können, wie im Tennis tätig zu sein." Nach einem Job beim kasachischen Verband wurde Schaller von der in Wien ansässigen Agentur McCartney als Sportdirektor angeworben.

"Meine Aufgabe ist es, Spieler zu scouten, zu beraten und mit manchen zu arbeiten. Ich bin rund zwanzig Wochen im Jahr unterwegs. Der Lockdown war für mich nicht so schlimm, ich bin im Jänner zum zweiten Mal Vater geworden. Es war schön, die ersten Monate miterleben zu können." Der Sohn aus erster Ehe ist siebzehn Jahre alt. Schaller startet noch einmal voll durch: "Ich genieße das Familienleben."

Einer seiner Tennisschützlinge ist die österreichische Nachwuchshoffnung Lukas Krainer. "Er hat Potenzial, kann Fortschritte machen." Ein anderer ist der serbische Doppelspieler Nikola Cacic: "Er war phasenweise in keinem guten Zustand, hat ans Aufhören gedacht. Dann gewann er im Jänner im serbischen Team mit Novak Djokovic den ATP-Cup. Plötzlich sieht die Welt anders aus. Im Tennis kann es sehr schnell gehen. Ich weiß, wovon ich rede." (Philip Bauer, 5.10.2020)