Am Montag öffnete eine Künstlergruppe den Bauzaun um das Karl-Lueger-Denkmal, um die Graffiti wieder sichtbar zu machen.

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Die Graffiti-Schriftzüge wurden mit Beton verewigt.

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Die erste Schicht der "Schandwache" übernehmen Studierende der Jüdischen HochschülerInnenschaft. Sie wollen die Entfernung der Schriftzüge verhindern.

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Mitte Juli wurde das Denkmal siebenmal mit dem Wort "Schande" besprüht.

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Danach wurde die umstrittene Statue eingezäunt. Sie soll laut Behörden bis kurz vor der Wien-Wahl gereinigt werden.

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Zumindest bis zur Wien-Wahl hätte das umstrittene Karl-Lueger-Denkmal im ersten Wiener Gemeindebezirk nicht mehr für Aufregung sorgen sollen: Am Montag kam es zu einer Kunstintervention, bei der zwei der Graffiti-Sprüche mit einem Betonschriftzug quasi verewigt wurden. Allerdings war dies nur von kurzer Dauer. Mitglieder der rechtsextremen Identitären hämmerten die Betonschrift am späten Nachmittag vom Denkmal. Die anwesenden Polizeibeamten schauten bei der Aktion zu und unternahmen nichts, obwohl die von der Künstlergruppe organisierte "Schandwache" seit Mittag als angemeldete Veranstaltung galt.

Auf Nachfrage des STANDARD konnte die Landespolizeidirektion Wien keine genauen Auskünfte über den Tathergang geben. Es werde noch abgeklärt, ob strafrechtlich Relevantes vorliege und ob es sich um eine Spontandemonstration seitens der Identitären gehandelt habe. "Der Schutzbereich sei bei einer Spontandemonstration schwer zu fassen", hieß es zum STANDARD. Außerdem sei noch nicht feststellbar, ob und wann eine Sachbeschädigung feststeht, da das Denkmal ja zuvor schon als beschädigt galt.

"Schandwache" gegen Reinigung

Mitte Juli war die Statue des ehemaligen Wiener Bürgermeisters siebenmal mit dem Wort "Schande" besprüht worden, daraufhin sperrten die Behörden das Denkmal mit einem Bauzaun. Bis zum Freitag vor der Wahl sollen die Graffiti entfernt werden, heißt es noch immer auf einer Ankündigung am Zaun. Die Künstlergruppe rund um Eduard Freudmann versucht mit der "Schandwache" genau das zu verhindern. Mittels einer am Montag ausgerufenen "Schandwache" wird das Denkmal bis auf weiteres vor den Reinigungskräften bewacht.

Bis zu einer "grundlegenden Umgestaltung" sollen die Graffiti am Denkmal bleiben, erklären die Künstlerinnen und Künstler. Eine Entfernung wäre in ihren Augen "ein weiterer Akt des Antisemitismus". Um das zu verhindern, hatten sie am Montagvormittag zwei der Schriftzüge mit gegossenem Beton ergänzt und mit einem speziellen Klebstoff an dem Denkmal angebracht. Diese wurden nun wieder heruntergerissen.

Außerdem wurden die Bauzäune aufgeschoben, um das Denkmal und die Intervention wieder sichtbar zu machen. Johan Hartle, Rektor der Akademie der bildenden Künste, versteht das als eine "Einladung zur Diskussion". Er stellte sich am Montag demonstrativ hinter die Protestaktion.

Streeruwitz: "Operettendenkmal"

Auch die Schriftstellerin Marlene Streeruwitz beteiligte sich an der Aktion. Die Statue sei ein "Operettendenkmal" und wecke "Erinnerungen an ein Wien, das es nie gegeben hat", so Streeruwitz. Sie wünscht sich, dass statt Lueger an dem Platz der Exilliterat Theodor Kramer steht.

Rückendeckung bekommt die Künstlergruppe von der Jüdischen HochschülerInnenschaft, der Sozialistischen Jugend, der Muslimischen Jugend Österreich und dem KZ-Verband. Gin Müller, einer der beteiligten Künstler, fordert weitere Organisationen aus der Zivilgesellschaft auf, sich an der "Schandwache" vor dem Lueger-Denkmal zu beteiligen.

Zusatztafel "nicht genug"

Das Karl-Lueger-Denkmal auf dem gleichnamigen Platz am Wiener Stubentor sorgt regelmäßig für Kontroversen um die Gedenkpolitik der Stadt. Lueger war von 1897 bis 1910 Wiener Bürgermeister und Gründer der Christlich-Sozialen Partei. Er selbst galt als glühender Antisemit und machte diese Ideologie in Österreich salonfähig. Adolf Hitler würdigte Lueger in seinem Buch "Mein Kampf" als den "gewaltigsten deutschen Bürgermeister aller Zeiten".

Umstritten ist Lueger, weil er während seiner Amtszeit auch wichtige Großprojekte realisierte. So ließ er etwa die zweite Wiener Hochquellenwasserleitung errichten und kommunalisierte die Gas- und Elektrizitätsversorgung der Stadt. Im Jahr 1926 wurde das jetzige Denkmal errichtet, 2016 wurde es durch eine kleine Tafel mit dem Hinweis, dass Lueger den Antisemitismus bediente, ergänzt.

Für die Initiatoren der Protestaktion ist diese Zusatztafel nicht genug. Sie sei als "Beipackzettel" zu verstehen, so einer der Künstler zum STANDARD. Das empfindet auch Rektor Hartle so. Diese Tafel nehme die "Heroisierung des Antisemiten Lueger nicht", sagt Hartle. Er und 40 weitere Persönlichkeiten aus Kunst, Kultur und Wissenschaft veröffentlichten am Samstag einen Aufruf, in dem sie eine Veränderung an Platz und Ehrenmal fordern.

Grüne Forderung für Wahl

Der Zeitpunkt der Protestaktion dürfte nicht zufällig gewählt sein. Innerhalb der rot-grünen Koalition ist der Umgang mit dem Denkmal umstritten. Bereits 2012 sprachen sich die Wiener Grünen dafür aus, das Denkmal um 3,5 Grad nach rechts zu kippen. Dies sah ein Entwurf des Künstlers Klemens Wihlidal vor, der 2010 als Sieger eines Wettbewerbs zur Denkmal-Umgestaltung an der Universität für angewandte Kunst hervorging. Die angedachte Schieflage des Denkmals verdeutliche den Umgang der Stadt mit Antisemitismus, hieß es damals.

Geschehen ist bislang nichts. Allerdings findet sich die Forderung nach einer Umgestaltung des Denkmals auch im aktuellen Wahlprogramm der Grünen. Dort heißt es: "Wir setzen uns für eine kritische Auseinandersetzung und Umgestaltung von antisemitischem Gedenken im öffentlichen Raum (zum Beispiel Lueger-Denkmal) ein." Dass in der bisherigen Regierungszeit nichts geschehen ist, erklärt sich Erinnerungssprecher Nikolaus Kunrath mit der "Mutlosigkeit" des SPÖ-Bürgermeisters Michael Ludwig.

Die zuständige Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) befürwortet in einer Stellungnahme "grundsätzlich Kontextualisierungen ambivalenter Persönlichkeiten". Sie fordert einen neuen Partizipationsprozess, da sich in Sachen Gedenkkultur in den letzten Jahren "diskursiv viel getan" habe.

Treffpunkt für Rechtsextreme

Das Lueger-Denkmal gilt auch weiterhin als Treffpunkt für Rechtsextreme. Im September 2019 hielt die Identitäre Bewegung eine Kundgebung vor dem Denkmal ab. Dort hielt auch die FPÖ-Stadtpolitikerin Ursula Stenzel eine Rede, die für viel Kritik sorgte. Erst im März dieses Jahres kam es dort wieder zu einer kleineren Ansammlung der Identitären und der extrem rechten Gruppe Okzident des ehemaligen Pegida-Österreich-Gründers Georg Nagel.

Im April 2019 wollte eine Initiative den Dr.-Karl-Lueger-Platz in Ute-Bock-Platz umbenennen. Die verstorbene Flüchtlingshelferin sollte dadurch geehrt werden. Diesen Plan lehnte die Stadtregierung jedoch ab. Man wolle die Stadtgeschichte nicht auslöschen, hieß es damals aus dem Rathaus. Stattdessen wurde neben der Lueger-Statue eine Installation mit einem Foto Bocks und zwei ihrer Schützlinge für einige Wochen aufgebaut. (Laurin Lorenz, 5.10.2020)