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Ein Ring aus Sternen um Sagittarius A*. Das Schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße hat rund 4,1 Millionen Sonnenmassen.

Illustration: NASA/UMass/D.Wang et al

Der diesjährige Nobelpreis für Physik geht an den Briten Roger Penrose, den Deutschen Reinhard Genzel und die US-Amerikanerin Andrea Ghez für die Erforschung Schwarzer Löcher. Das teilte das Nobelkomitee der Königlich Schwedischen Akademie am Dienstagmittag in Stockholm mit.

Mit einer Hälfte des Preises wird der Mathematiker und theoretische Physiker Roger Penrose (University of Oxford) für seine Arbeiten zur Relativitätstheorie bedacht, aus der er die Entstehung Schwarzer Löcher ableitete. Die andere Hälfte teilen sich der Astrophysiker Reinhard Genzel (Direktor des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik in Garching bei München) und die Astronomin Andrea Ghez (University of California in Los Angeles) für die Entdeckung des Schwarzen Lochs im Zentrum der Milchstraße.

Die Laureaten (von links): Roger Penrose, Andrea Ghez und Reinhard Genzel.
Foto: EPA/PAP / UCLA / MPE

In einer ersten Reaktion auf die Auszeichnung sagte Ghez: "Wir haben keine Ahnung, was in einem Schwarzen Loch vor sich geht, das ist es, was diese Objekte so exotisch macht." Ghez ist nach Marie Curie (1903), Maria Goeppert-Mayer (1963) und Donna Strickland (2018) die vierte Frau, die mit dem Physiknobelpreis ausgezeichnet wird. "Ich hoffe, ich kann andere junge Frauen für die Physik begeistern. Es ist ein Feld mit vielen Freuden, und wenn man sich für Wissenschaft begeistert, gibt es so viel, das man tun kann", sagte die frischgebackene Laureatin am Dienstag.

Wider Einsteins Zweifel

Das Nobelpreiskomitee würdigt damit jahrzehnteübergreifende Forschungsarbeiten, die von der theoretischen Vorhersage bis zur praktischen Bestätigung reichten. Penrose zeigte, dass aus Albert Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie die Entstehung von Schwarzen Löchern folgt. Genzel und Ghez entdeckten, dass ein unsichtbares und extrem massereiches Objekt die Umlaufbahnen der Sterne im Zentrum unserer Galaxie bestimmt. Die einzige derzeit bekannte Erklärung dafür ist ein sogenanntes supermassereiches Schwarzes Loch. Nach derzeitigem Forschungsstand hat dieses Objekt, dem die Bezeichnung Sagittarius A* gegeben wurde, 4,1 Millionen Mal mehr Masse als die Sonne.

Penrose, geboren 1931 in Colchester in Großbritannien, machte sich komplizierte mathematische Methoden zunutze, um den Nachweis zu erbringen, dass sich die mögliche Existenz Schwarzer Löcher aus Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie ergibt. Es handelt sich dabei um Objekte, deren Masse auf ein extrem kleines Volumen konzentriert ist. Dadurch wird so eine starke Gravitation erzeugt, dass nicht einmal Licht diesem Bereich entkommen kann. Einstein selbst dachte nicht, dass Schwarze Löcher tatsächlich existieren.

Naturgesetze außer Kraft

Im Jänner 1965 wies Penrose nach, dass Schwarze Löcher tatsächlich entstehen können, und charakterisierte ihre Eigenschaften. Mathematisch gesprochen befindet sich im Zentrum eines Schwarzen Lochs eine sogenannte Singularität, durch die die uns bekannten Naturgesetze außer Kraft gesetzt werden. Wie die Nobelversammlung in ihrer Erklärung betonte, handelt es sich bei dieser Arbeit um einen der wichtigsten Beiträge zur allgemeinen Relativitätstheorie.

Penrose ist nicht nur als brillanter mathematischer Physiker bekannt, sondern auch als bunter Vogel in der Scientific Community. Neben seinen nun nobelpreisgekrönten Arbeiten zur Relativitätstheorie engagiert er sich auch in der populärwissenschaftlichen Vermittlung von Physik und scheut nicht die Berührung mit völlig anderen Fachrichtungen: So schlug er etwa gemeinsam mit dem Arzt Stuart Hameroff ein Modell zu den quantenphysikalischen Grundlagen des Bewusstseins vor, das bis heute kontrovers diskutiert wird.

Loch im galaktischen Herzen

Die beiden Forschungsgruppen um Genzel und Ghez konzentrierten sich seit Anfang der 1990er-Jahre auf die Region Sagittarius A*. Sie konnten die Umlaufbahnen der hellsten Sterne, die dem Zentrum der Milchstraße am nächsten sind, mit zunehmender Genauigkeit kartieren. Die Messungen beider Gruppen stimmten überein, und beide fanden Hinweise auf ein unsichtbares Objekt von extremer Masse, das die Sterne in seiner Umgebung auf schwindelerregende Geschwindigkeiten bringt.

Genzel und Ghez nutzten die leistungsstärksten Teleskope der Welt und entwickelten neue Methoden, um durch die riesigen Wolken aus interstellarem Gas und Staub bis ins Zentrum der Milchstraße blicken zu können. Das Nobelpreiskomitee würdigte besonders, dass sich die beiden Laureaten langfristiger Forschungsarbeit widmeten, neue, einzigartige Instrumente entwickelten und damit die Grenzen der Technologie erweiterten – etwa wenn es darum ging, den verzerrenden Einfluss der Erdatmosphäre auszugleichen. Ihre Pionierarbeit habe den bisher überzeugendsten Beweis für ein supermassereiches Schwarzes Loch im Zentrum der Milchstraße geliefert.

Entkommen unmöglich

Es war im November 1915, als Albert Einstein seine allgemeine Relativitätstheorie vorstellte. Bis heute ist sie die Basis für unser Verständnis von Raum und Zeit. Sie ist das Fundament für die Erforschung des Universums und hat auch eine alltägliche Anwendungsmöglichkeit: das Navigationssystem GPS.

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Der schwedische theoretische Physiker Ulf Danielsson (rechts) versucht bei der Preisverkündung ein Schwarzes Loch anschaulich zu machen. Neben ihm sitzt Göran Hansson, Generalsekretär der Königlich Schwedischen Akademie.
Foto: AP/Fredrik Sandberg

Die erste Beschreibung eines Schwarzen Lochs erfolgte bereits wenige Wochen nach Bekanntwerden von Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie durch den deutschen Astrophysiker Karl Schwarzschild. Schwarzschild konnte nachweisen, wie massereiche Objekte Raum und Zeit krümmen. Spätere Beiträge zeigten, dass Schwarze Löcher von einem sogenannten Ereignishorizont umgeben sind – bewegt sich ein Objekt oder Lichtstrahl in den Ereignishorizont, wird es vom Schwarzen Loch verschluckt. Aus diesem Grund ist es auch nicht möglich, einen Blick ins Schwarze Loch zu werfen, um zu sehen, was darin vor sich geht.

Umso bemerkenswerter sind die mathematischen Möglichkeiten, die Penrose, teilweise auch in Zusammenarbeit mit dem 2018 verstorbenen Stephen Hawking, entwickelte, um Schwarze Löcher dennoch zu charakterisieren, sowie die experimentellen Methoden, für die Genzel und Ghez geehrt werden, um das Schwarze Loch im Herzen unserer Milchstraße aufzuspüren.

Blick zurück und nach vorne

Die erste Entscheidung der Nobelwoche 2020 war am Montag gefallen: Die US-Amerikaner Harvey J. Alter und Charles M. Rice sowie der Brite Michael Houghton erhielten den Medizinnobelpreis für die Entdeckung des Hepatitis-C-Virus – eine Leistung, die bereits Millionen Menschen zugute gekommen ist.

In der Kategorie Physik hatten im Vorjahr drei Astronomen den Sieg davongetragen: 2019 ging der Physiknobelpreis zur einen Hälfte an den Kanadier James Peebles für theoretische Entdeckungen in der physikalischen Kosmologie und zur anderen Hälfte an die Schweizer Michel Mayor und Didier Queloz für die Entdeckung des ersten Exoplaneten um einen sonnenähnlichen Stern.

Am Mittwoch um 11.45 Uhr werden die Preisträger der letzten wissenschaftlichen Kategorie bekanntgegeben, Chemie. Danach stehen am Donnerstag der Literaturnobelpreis und am Freitag der Friedensnobelpreis an. Das Ende kommt traditionell nächsten Montag mit dem Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften der Schwedischen Reichsbank. Der ist zwar kein eigentlicher Nobelpreis, aber gleich hoch dotiert: nämlich mit zehn Millionen schwedischen Kronen (rund 950.000 Euro), einer Million mehr als im Vorjahr. (trat, dare, jdo, 6.10.2020)