Das Tragen von Masken wird in Moskaus Öffis nun polizeilich kontrolliert – und Verstöße werden geahndet.

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"Hurra, wir haben Ferien" – zumindest für Mascha und Sascha aus der Karbyschew-Schule in Moskau hat die neue Corona-Welle einen positiven Nebeneffekt. Moskaus Oberbürgermeister Sergej Sobjanin hat die ersten zwei Oktoberwochen für schulfrei erklärt, um die Ansteckungsrate zu senken. Nun suchen die Eltern der beiden Kinder hastig nach einer Datscha, um aus Moskau zu flüchten.

Pro Tag infizieren sich inzwischen wieder mehr als 8.000 Russinnen und Russen mit dem Virus – doppelt so viele wie noch vor einem Monat. Ein beträchtlicher Teil der Neuansteckungen, täglich mehr als 2.000, wird in Moskau registriert. Damit wird die Hauptstadt heuer zum zweiten Mal zum Epizentrum.

Die neue Ausbreitung war auch Thema einer Regierungssitzung unter virtuellem Vorsitz von Präsident Wladimir Putin. Vizepremier Tatjana Golikowa teilte mit, dass sich die Ausbreitungsgeschwindigkeit fast verdoppelt habe. "Nach Umfragen sagen 80 bis 85 Prozent der Erkrankten, dass die Ursache ihrer Infektion darin liegt, dass sie die Maskenpflicht missachtet oder an Massenveranstaltungen teilgenommen haben." Ihre Aussage dient wohl auch dazu, die Obrigkeit zu entlasten, die aus politischen Motiven – unter anderem zur Abhaltung des Verfassungsreferendums – nach anfänglichem Schock die Gefahr eher kleingeredet hatte. Nun schwenkt sie wieder um.

"Von Tag zu Tag schwieriger"

"Die Lage mit der Zahl an diagnostizierten Covid-19-Erkrankungen und Krankenhauseinweisungen wird von Tag zu Tag schwieriger", räumte Sobjanin ein. Als Reaktion forderte er ältere Menschen auf, zu Hause zu bleiben, und ordnete die automatische Ausgabe von Krankenscheinen für die über 65-Jährigen an. Im Gegensatz zum Frühjahr ist die Maßnahme aber noch freiwillig.

Auf Sobjanins Aufruf an die großen Unternehmen, wieder verstärkt auf Homeoffice zu setzen, haben bereits einige Firmen reagiert. Die Sberbank hat die Hälfte ihrer Mitarbeiter nach Hause geschickt. Der Energieversorger Gazprom hat die Lockerung der Corona-Maßnahmen ebenfalls gestoppt.

Die russische Führung will harte Schritte wie den vollständigen Lockdown im Frühjahr vermeiden, auch um die Wirtschaft nicht völlig abzuwürgen. Aber zugleich schließen die Verantwortlichen härtere Maßnahmen gegen die Verbreitung der Seuche nicht aus.

Im August hatte Putin noch stolz Russlands Vorreiterrolle bei der Entwicklung eines Impfstoffs gepriesen. "Soweit mir bekannt ist, wurde heute erstmals in der Welt ein Impfstoff gegen die neue Corona-Infektion zugelassen", kündigte er damals die Zulassung des russischen Serums Sputnik V an und bemerkte wie nebenbei, dass seine Tochter damit bereits geimpft sei.

Dass sich Russland nun auf eine neue Welle vorbereitet, wirkt aber nur auf den ersten Blick paradox. Zwar hat Moskau als erstes Land weltweit einen Wirkstoff registriert, doch das Serum ist immer noch in der Testphase. Die Impfungen bei Freiwilligen laufen gerade erst an.

40.000 Freiwillige

Immerhin haben sich bereits 40.000 Freiwillige gefunden, die an dem Experiment teilnehmen sollen. Die Entwickler der Vakzine hatten keine Schwierigkeiten, Testpersonen zu finden, viele Russen erhoffen sich durch die Impfung ein Ende der als leidig empfundenen Einschränkungen.

So haben inzwischen gut 5.000 Menschen die erste von zwei notwendigen Spritzen erhalten. Pro Tag können 500 bis 600 Personen geimpft werden. Die zweite Dosis haben allerdings wegen des notwendigen zeitlichen Abstands bisher nur wenige Dutzend Testpersonen bekommen.

Mitte Oktober will das Labor Vektor, das bereits den ersten Impfstoff vorgestellt hat, ein weiteres Serum registrieren lassen. Mit der Massenproduktion und -impfung kann aber erst im November oder Dezember begonnen werden.

Natürlich sind längst nicht alle Russen darauf erpicht, das neue Serum auszuprobieren. Die Impfskepsis im Land ist ohnehin groß, die fehlende Testphase des neuen Wirkstoffs hat nicht unbedingt Vertrauen bei den Bürgern geschürt. Eine Corona-Impfpflicht will die russische Führung vermeiden. Allerdings setzt die Obrigkeit teilweise bestimmte Berufsgruppen wie Lehrer und Ärzte gezielt unter Druck, damit diese sich impfen lassen. (André Ballin aus Moskau, 5.10.2020)