Die Armut könnte in weiten Teilen der Welt aufgrund der Corona-Pandemie dramatisch zunehmen, wenn die reichen Länder nicht einlenken.

Foto: Imago/HBLnetwork

Corona hat nicht nur die Weltwirtschaft infiziert, als Folge der Virusausbreitung könnten viele Schwellen- und Entwicklungsländer endgültig finanziell im Orkus landen. Das befürchten die Spitzen der internationalen Finanzinstitutionen Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IWF). Kurz vor der nächste Woche beginnenden Herbsttagung, die wegen Corona großteils virtuell stattfinden wird, fordern sie einen Schuldenschnitt für die Ärmsten der Armen.

Die Coronavirus-Pandemie könnte nach Ansicht des Präsidenten der Weltbank, David Malpass, in den ärmsten Ländern eine Schuldenkrise auslösen. Einige Entwicklungsländer befänden sich bereits in einer Abwärtsspirale von schwächerem Wachstum und finanziellen Schwierigkeiten, sagte Malpass in einem Interview mit dem Handelsblatt (Montagsausgabe). Es sei offensichtlich, dass einige Länder nicht in der Lage sind, die aufgenommenen Schulden zurückzuzahlen.

Haircuts nötig

"Wir müssen daher auch den Schuldenstand senken. Dies kann als Schuldenerlass oder -streichung bezeichnet werden", forderte Malpass. "Die enormen Haushaltsdefizite und Schuldenzahlungen überwältigen diese Volkswirtschaften. Außerdem geraten die Banken dort aufgrund schlechter Kredite in Schwierigkeiten." Dies sei kein Neuland. Vergleichbare Schritte seien in früheren Finanzkrisen wie in Lateinamerika und der sogenannten HIPC-Initiative für hochverschuldete Länder in den 1990er-Jahren gemacht worden.

Auch Privatbanken und Investmentfonds seien nun gefragt. "Diese Investoren tun nicht genug und ich bin von ihnen enttäuscht. Außerdem haben sich einige der großen chinesischen Kreditgeber nicht ausreichend engagiert. Die Wirkung der Hilfsmaßnahmen ist daher geringer, als sie sein könnte", sagte der Leiter der Weltbank.

Ungleichheit nimmt weltweit zu

Malpass warnte zudem vor der weltweit steigenden Ungleichheit. Die Corona-Pandemie habe jahrzehntelange Fortschritte bei der Armutsbekämpfung zunichtegemacht und könnte bis 2021 mehr als 150 Millionen Menschen erneut unter die extreme Armutsgrenze drücken. Die Weltbank selbst will bis zu zwölf Milliarden US-Dollar (10,23 Milliarden Euro) bereitstellen, damit Impfstoffe gegen das Coronavirus auch in den ärmeren Ländern verfügbar sind.

Die Covid-19-Pandemie treibt die Verschuldung rund um den Globus in neue Höhen. Im Vergleich zu Ende 2019 werden die durchschnittlichen Schuldenquoten für 2021 in fortgeschrittenen Volkswirtschaften voraussichtlich um 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) steigen, in Schwellenländern um zehn Prozent und in Ländern mit niedrigem Einkommen um etwa sieben Prozent. "Diese Erhöhungen kommen zu den bereits historisch hohen Schulden hinzu", hält IWF-Chefin Kristalina Georgieva in einem Blog-Eintrag fest. Während aber viele fortgeschrittene Volkswirtschaften noch immer in der Lage seien, Kredite aufzunehmen, hätten viele Schwellen- und Entwicklungsländer diese Option nicht.

Reform der internationalen Schuldenarchitektur

Schon vor Corona sei das Risiko einer Schuldenkrise für rund die Hälfte der einkommensschwachen Länder und für mehrere Schwellenländer hoch gewesen. Mit Corona verschärfe sich die Situation dramatisch. Die Verhinderung einer Schuldenkrise könne den Unterschied zwischen einem verlorenen Jahrzehnt und einer raschen Erholung ausmachen, schreibt die IWF-Chefin und fordert die Reform der internationalen Schuldenarchitektur.

Untersuchungen des IWF hätten gezeigt, dass das Warten auf eine Restrukturierung der Schulden bis nach einem Ausfall mit einem stärkeren Rückgang sowohl des BIP als auch der Investitionen, der Kredite des privaten Sektors sowie der Kapitalzuflüsse verbunden sei als eine präventive Umschuldung. (Günther Strobl, 5.10.2020)