Die grüne Nationalratsabgeordnete und ehemalige Forschungskoordinatorin der Historikerkommission, Eva Blimlinger, spricht sich im Gastkommentar für ein Denkmal für Theodor Herzl aus – und eine Umbenennung des Platzes in der Wiener Innenstadt nach ihm.

Vor mehr als zehn Jahren begann die Diskussion um die Umgestaltung des Lueger-Denkmals in Wien. Der damals an der Universität für angewandte Kunst Wien lehrende Martin Krenn initiierte einen "Open Call zur Umgestaltung des Lueger-Denkmals in ein Mahnmal gegen Rassismus und Antisemitismus". Die Wettbewerbsjury wählte den Entwurf von Klemens Wihlidal aus. Er sieht vor, dass die Statue und ein Teil des Sockels um 3,5 Grad nach rechts geneigt werden – also Karl Lueger in eine Schieflage gebracht wird.

Geht nicht, kostet viel zu viel, Bundesdenkmalamt dagegen, sowohl die Pflasterung als auch der Sockel und die Figur sind denkmalgeschützt – "Nein, sicher nicht" wurde vonseiten der Stadt Wien und des damaligen Kulturstadtrats Andreas Mailath-Pokorny verkündet. Die FPÖ und die ÖVP wollten sowieso nicht: Ja, Antisemit, aber doch verdienter, weitsichtiger Bürgermeister, ohne ihn keine II. Wiener Hochquellenleitung, Denkmalstürmerei sei das.

Lange Untätigkeit

Dann passierte jahrelang nichts, hie und da wurde an das Projekt erinnert, da eine Presseaussendung, hie ein Podiumsgespräch zu Antisemitismus und Mahnmälern. 2009 meinte dann der damalige Bürgermeister Michael Häupl, man könne sich eine "erklärende Tafel" vor- stellen. Passiert ist nichts, keine Tafel.

Intensiver diskutiert wurde erst wieder 2012, als der Dr.-Karl-Lueger-Ring endlich in Wiener Universitätsring umbenannt wurde. Der Dr.-Karl-Lueger-Platz heißt noch immer so, denn die SPÖ wollte ja keine "Auslöschung" von Lueger. Damals meinte Mailath-Pokorny in einer Sitzung des Wiener Gemeinderats, er sei grundsätzlich nicht abgeneigt, "dass man hier eine Kontextualisierung macht". Das neue Zauberwort, wenn man nicht entscheiden will, wie und was, dann kontextualisiert man halt. Problem erledigt. "Denkbar wäre etwa, die Erinnerungsstätte mithilfe von Zusatztafeln oder einer künstlerischen Gestaltung zu ergänzen", sagte er.

Ein Projekt für eine solche Intervention hatte es ja schon gegeben, und drei Jahre nach der Ankündigung hätte man vielleicht auch ein Täfelchen anbringen können. Der damalige Kultursprecher der Grünen, Klaus Werner-Lobo, forderte die Umsetzung des Schieflageprojekts: "Wo eine Wille ist, ist auch ein Weg", meinte er. Der Wille fehlte, und der Weg führte schließlich 2016 zu einer "Kontextualisierungstafel".

Einfach zustellen

Und jetzt ist sie wieder da, die Diskussion. Die Jüdischen österreichischen HochschülerInnen fordern: Lueger-Denkmal abreißen! 40 prominente Unterzeichner und Unterzeichnerinnen fordern eine "Veränderung an Platz und Ehrenmal, die unmissverständlich jede Ehrung Luegers verunmöglicht". Ein vielstimmiger Chor, der sich da meldet. Passiert ist bis dato nichts.

Mein Vorschlag: Das wird nichts mehr mit einer künstlerischen Intervention und schon gar nicht mit jener, das Denkmal drei Grad zu kippen. Abreißen würde die antisemitische Geschichte dieser Stadt negieren, auch keine gute Idee. Also was dann? Wie wäre es, wenn man Lueger einfach zustellt, verdeckt, wenn vor dieses Denkmal ein anderes Denkmal hingestellt würde? Wie wäre es zum Beispiel, Lueger hinter einem Denkmal für Theodor Herzl verschwinden zu lassen? Es gibt nämlich keines in Wien, nur sein Grab am Döblinger Friedhof, in dem er nicht mehr liegt, einen Gedenkstein in Edlach an der Rax, wo er 1904 sechs Jahre vor Lueger verstarb, und seit 2004 eine geradezu lächerliche Promenade, die frühere Gartenbaupromenade.

Theodor Herzl (1860–1904), Jurist, Journalist, Literat – und "Vater des Zionismus".
Foto: APA / Zionistisches Archiv Jerusalem

Herzl, der wie Lueger Rechtswissenschaften studierte, wurde 1881 Mitglied der Wiener schlagenden akademischen Burschenschaft Albia. Lueger war Mitglied der katholischen Studentenverbindung K. a. V. Norica Wien im CV. Nicht nur die Albia war antisemitisch, und so legte Herzl schließlich im März 1883, wie es im Jargon der Burschenschafter heißt, "sein Band nieder" und trat somit aus der Burschenschaft aus. 1896 veröffentlichte Herzl das Buch Der Judenstaat und begründete damit den politischen Zionismus verknüpft mit der Forderung nach einem jüdischen Staat. Und wie es dann immer so ist, gibt es den Disput, ob es der Antisemitismus in Österreich oder in Frankreich war, der zu seinem politischen Manifest führte. Da ist einerseits Herzl, der als Korrespondent der Neuen Freien Presse vor allem die Dreyfus-Affäre erlebte und darüber berichtete, und andererseits Herzl, der bereits als Student an der rechtswissenschaftlichen Fakultät den rabiaten Antisemitismus erlebte. Es wird wohl eine Mischung aus beidem gewesen sein, und letztlich ist es für ein Denkmal in Wien unerheblich.

Neuer Wettbewerb

Wer wäre also besser geeignet als Herzl, um endlich das vom Nationalsozialisten Josef Müllner geschaffene Lueger-Denkmal dorthin zu verweisen, wohin es gehört – in den Schatten. Ausgehen würde sich das alles, Platz wäre genug, keine Frage, dort am – wie er dann umzubenennen wäre – Dr.-Theodor-Herzl-Platz. Lueger stand in scharfer Opposition zur liberalen Stimme Österreichs im In- und Ausland, der Neuen Freien Presse, deren Feuilletonist Herzl war. Sie nun gegenüberzustellen wäre eine bisher einmalige Art und Weise, einer historischen Figur einen Antagonisten gegenüberzustellen.

Also, die nächste Stadtregierung, wie immer sie nach dem 11. Oktober aussehen wird, soll so bald wie möglich einen Wettbewerb ausschreiben für die Errichtung eines Denkmals in Erinnerung an Theodor Herzl. Ausschreibungskriterien: Es muss höher sein als das Lueger-Denkmal, es muss breiter sein als das Lueger-Denkmal, und es dürfen alle Materialien verwendet werden. In der ersten Sitzung des Gemeinderats könnte gleich der Beschluss gefasst werden, den Platz in Dr.-Theodor-Herzl-Platz umzubenennen – kostet nicht mal was, dieser erste Schritt. (Eva Blimlinger, 6.10.2020)