Die Corona-Pandemie hat auch schwerwiegende psychische Folgen für einen großen Teil der Bevölkerung.

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Die erste repräsentative Studie zu den psychosozialen Folgen der Corona-Krise für Wien liegt vor. Die Ergebnisse sind zum Teil alarmierend: Bei mehr als einem Viertel (27 Prozent) hat sich die psychische Gesundheit während der Pandemie verschlechtert. 15 Prozent gaben an, zuvor keine psychischen Probleme gehabt zu haben. Besonders betroffen sind jene, deren Gesundheit schon zuvor angeschlagen war, für mehr als die Hälfte dieser Gruppe (56 Prozent) hat sich ihre Situation nochmals verschlechtert.

Laut der Studie sind besonders jene gefährdet, die mit dem Coronavirus infiziert waren oder wo ein solcher Verdacht bestand, sowie jene, die von sozioökonomischer Ungleichheit betroffen sind. Überraschend ist jedoch, dass der soziale Zusammenhalt und das Vertrauen in das politische System gestiegen sind.

1.000 Befragte

Die Studie wurde vom Institut Sora und den Psychosozialen Diensten Wien (PSD) im Auftrag der MA 23 durchgeführt. Zwischen 27. April und 17. Mai wurden dafür gut 1.000 Wiener ab 16 Jahren per Telefon oder online befragt.

Die Ergebnisse im Detail: Wer schon vor der Krise eine halbwegs stabile Lebenssituation hatte, ist auch weniger gefährdet. Beispielhaft werden Männer ohne Corona-Erkrankung und mit durchschnittlichem Einkommen und nicht beengten Wohnverhältnissen genannt; diese sind mit einer Wahrscheinlichkeit von sechs Prozent von Verschlechterungen der psychischen Gesundheit betroffen. Gegenbeispiel: Bei Frauen, deren Gesundheit schon zuvor angeschlagen war, deren finanzielle Situation sich verschlechtert hat und die in beengtem Umfeld leben, wurde eine 70-prozentige Wahrscheinlichkeit einer weiteren Verschlechterung festgestellt.

Die Studienautoren nennen zehn Symptome, die konkret eingegrenzt werden konnten. 40 Prozent gaben an, unter Ängstlichkeit gelitten zu haben oder weniger Freude an Tätigkeiten gehabt zu haben. 35 Prozent sprachen von Erschöpfung und Hoffnungslosigkeit, 28 Prozent sorgten sich vor dem Verlust von Kontrolle und ebensoviele berichteten von Einsamkeit. 12 Prozent hatten schwere Konflikte in der Familie, ebensoviele berichteten von Substanzmissbrauch. Sieben Prozent hatten Suizidgedanken.

Doch es gibt Hilfe: Die Stadt Wien hat zum Beispiel unter 01 4000 53000 eine eigene Corona-Sorgenhotline eingerichtet. Laut der Studie kennen 83 Prozent zumindest ein Hilfsangebot. 32 Prozent aller, deren psychische Gesundheit sich während Corona verschlechtert hat, nutzten ein Angebot einer Hilfseinrichtung.

Hilfsbedarf gestiegen

Gestiegen ist hingegen das Vertrauen in das politische System. Das jedoch vor allem bei jenen, die sozioökonomisch besser dastehen. 60 Prozent erkennen einen deutlich stärkeren sozialen Zusammenhalt in ihrem Umfeld. Besonders häufig äußern dies Besitzer von Eigentumswohnungen (72 Prozent) und hochqualifizierte Arbeitnehmer (69 Prozent). Weniger eindeutig ist das Ergebnis bei Geringqualifizierten (41 Prozent) und Arbeitslosen (49 Prozent).

Deutlich gestiegen ist auch das Vertrauen in das Gesundheitssystem, in Experten, die Polizei sowie die Bundesregierung.

Sorgen um Arbeit

Sorgen machen sich die Wiener auf einer allgemeinen Ebene bezüglich der Schere zwischen Arm und Reich (72 Prozent) und um Arbeitsplätze (68 Prozent). Aber auch die Einschränkungen der Grundrechte geben 46 Prozent Anlass zur Beunruhigung. Was die persönliche Situation betrifft, sorgen sich 28 Prozent um die eigene Gesundheit, und 24 Prozent haben Angst vor einer Ansteckung mit Corona. 27 Prozent macht die finanzielle Situation Sorgen, 17 Prozent das Zusammenleben in der Familie.

Der PSD Wien interpretiert die Studienergebnisse dahingehend, dass der weitere Ausbau der Unterstützungsangebote der Stadt wichtig sei. Aber auch die künftigen Entwicklungen will man im Blick behalten, um "vorübergehende und sich verfestigende Begleiterscheinungen der Corona-Pandemie" zu beobachten. In den Fokus gerückt werden müsse aber vor allem der Kampf gegen soziale Ungleichheit, hieß es: "Das Schließen der Risikoschere zwischen Arm und Reich muss daher im Zentrum der Maßnahmen gegen die psychosozialen Folgen der Corona-Pandemie stehen", sagt Georg Psota, Leiter des Psychosozialen Krisenstabs in Wien.

Der Bedarf an Hilfs- und Unterstützungsleistungen ist jedenfalls gestiegen. Allen voran bei den finanziellen Mitteln wird es bei vielen Menschen zunehmend eng: Hier geben 33 Prozent an, Bedarf an Unterstützung zu haben. Besonders gestiegen sei der Bedarf bei jungen Menschen sowie Menschen mit Migrationshintergrund.

Eine vor zwei Wochen präsentierte Studie der Sigmund-Freud-Universität zu den psychischen Folgen der Pandemie ergab ein ähnliches Bild: 40 Prozent der Befragten äußerten dabei Zukunftsängste, 27 Prozent berichteten überhaupt von generalisierter Ängstlichkeit. Experten forderten deshalb die Sicherstellung der psychosozialen Versorgung. (Vanessa Gaigg, 6.10.2020)