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Ein Demonstrant in Hongkong sprüht die Linse einer Überwachungskamera mit Farbe ein.

Foto: Reuters

Der Europäische Gerichtshof hat die anlasslose und pauschale Speicherung von diversen Telekommunikationsdaten für unzulässig erklärt. Ohne konkrete Gefahr für die nationale Sicherheit oder begründetem Verdacht auf schwere Straftaten darf keine Protokollierung erfolgen. Und in Ausnahmefällen dürfen auch nur die Daten der Verdächtigen festgehalten werden.

Es ist nicht das erste Urteil gegen die sogenannte Vorratsdatenspeicherung. Diese ist schon zuvor auf nationaler Eben von mehreren Höchstgerichten – auch in Deutschland und Österreich – gekippt worden. Behörden und Politik hatten ihre Einführung immer wieder damit begründet, dass sie zur Sicherung beitrage und Strafverfolgung erleichtere. Gern angeführt wurde das Argument, dass man so Terroristen besser ausforschen und geplanten Anschlägen auf die Schliche kommen könne. Doch die Daten zeigen ein anderes Bild.

Viele Daten, ...

Ein sehr gutes Beispiel für die Ineffektivität flächendeckender Pauschalüberwachung ist das Telefonüberwachungsprogramm der amerikanischen NSA, das protokollierte, wer mit wem wann und wie lange telefoniert hat. Dieses gehörte zur von Edward Snowden aufgedeckten "Prism"-Initiative und lief von 2008 bis 2019. Über 100 Millionen Dollar kostete es die Steuerzahler. Doch die Sicherheitsbilanz fällt vernichtend aus.

Im vergangenen September urteilte ein Bundesberufungsgericht, dass diese Überwachung illegal war und möglicherweise auch die Verfassung verletze. Der Prozess ist aber auch aufgrund eines anderen Details interessant. Die NSA verwies zur Verteidigung ihrer Praxis nämlich auf den Fall von Basaaly Moalin, der wegen der Finanzierung von Terrorismus – er hatte mehrere tausend Dollar an die Al-Shabaab-Miliz geschickt – verurteilt wurde.

... wenig Aufklärung

Nach Ansicht des Gerichts trug die anlasslose Telefonüberwachung allerdings nichts Substanzielles zu dessen Ausforschung bei. Es waren Ergebnisse traditioneller Ermittlungsarbeit, die für seinen Schuldspruch entscheidend waren. Der Eindruck, den die Behörden öffentlich vermittelt hatten, stehe im Widerspruch zur Aktenlage, erklärte die zuständige Richterin. Die Schlussfolgerung: Das Programm der NSA konnte keinen einzigen Terroranschlag verhindern.

2015 wurde der NSA über einen Beschluss im Kongress die pauschale Sammlung von Vorratsdaten untersagt. Die Telekomanbieter mussten aber nach wie vor Metainformationen speichern und diese Ermittlern nach richterlichem Beschluss aushändigen. 2018 soll die NSA auch diese Anfragen eingestellt haben, ehe das Programm im Folgejahr offiziell beendet wurde.

Auch in Europa nicht erfolgreich

Man muss aber nicht nur in die USA schauen. Ähnliche Erkenntnisse gibt es auch für Europa. Zwischen 2014 und 2017 kam es in Europa zu 13 Terroranschlägen mit islamistischem Hintergrund. 24 Personen wurden gerichtlich verurteilt. Alle von ihnen waren den Behörden bereits bekannt und als gewaltbereit eingestuft, bevor sie zur Tat schritten, dokumentiert der "Spiegel". Auch eine Untersuchung des EU-Parlaments (DOCX) sah keinen Fortschritt in der Aufklärung schwerer Straftaten durch die Einführung der Vorratsdatenspeicherung in verschiedenen Ländern.

Das Argument, dass mehr bzw. pauschale Überwachung zur Prävention beiträgt, sehen Datenschützer und Bürgerrechtler angesichts dieser Bilanz als hinreichend widerlegt an. Damit würde man nicht die Suche nach der Nadel erleichtern, sondern lediglich den Heuhaufen vergrößern, lautet – bildlich gesprochen – das Argument.

Gesichtserkennung bringt Comeback der Debatte

Die Debatte ist auch gerade dabei, sich zu wiederholen. Neben Drohnen ist das neueste Steckenpferd der Sicherheitspolitiker Gesichtserkennung. Das österreichische Innenministerium hat ein entsprechendes System im vergangenen August still und leise vom Test- in den Vollbetrieb überführt. Kritiker laufen allerdings Sturm gegen die automatische Identifikation von Menschen an öffentlichen Plätzen und anderen Orten, an denen Überwachungskameras angebracht sind. Auch hier steht der von offizieller Seite oft proklamierte Beitrag zur Sicherheit und Kriminalitätsbekämpfung in Zweifel.

Gleichzeitig gibt es auch immer wieder Vorstöße zur Aushebelung der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, derer sich immer mehr Messaging-Tools bedienen. Gesetzlich de facto beschlossen wurde eine solche etwa schon in Russland, wo Behörden dazu ermächtigt wurden, von Betreibern Einblicke in Chats zu verlangen. Dies setzt technisch allerdings voraus, dass sie absichtlich eine Hintertür zum Mitlesen einbauen, die von Geheimdiensten und Cyberkriminellen ausgenutzt werden könnte.

Da sich der Dienst Telegram weigerte, dieser Regelung Folge zu leisten, wurden die Internetdienstleister von der Telekombehörde 2018 zu seiner Sperrung verpflichtet. Das Unterfangen scheiterte allerdings so kläglich, dass die Anordnung im vergangenen Juni mangels Wirksamkeit wieder aufgehoben wurde. Offiziell wurde dieser Schritt damit argumentiert, dass der Gründer Pavel Durov sich bereiterklärte, mit den Behörden zur Bekämpfung von Terrorismus und Extremismus zusammenzuarbeiten.

Auch die EU-Kommission plante ursprünglich eine Aufweichung der Verschlüsselung mit dem nächsten Digitalpaket (Digital Services Act). Dieses Vorhaben wurde aber schließlich ad acta gelegt und scheint in aktuellen Entwürfen auch nicht mehr auf. (gpi, 6.10.2020)