Die Laufgänge, die die tropische Ameisenart Azteca brevis mithilfe von Pilzen in Cecropia-Bäumen baut, sind ein kleines Universum voller Rätsel.

Foto: Veronika Mayer

Mehr als 13.000 Ameisenarten wurden weltweit bisher beschrieben, wobei die meisten in den Tropen leben. In den Baumkronen Süd- und Mittelamerikas stellen sie bis zu 60 Prozent aller dort umherkrabbelnden Insekten. Dabei ist Nahrung dort oft knapp – ein Umstand, den viele Ameisenarten durch Vergesellschaftungen mit Pflanzen ausgleichen.

Wie sich erst kürzlich herausgestellt hat, sind an vielen solcher Symbiosen auch Pilze beteiligt. Welche Rolle sie dabei spielen, wird derzeit am Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien mit finanzieller Unterstützung durch den Wissenschaftsfonds FWF erforscht.

Eine der bekanntesten und seit mehr als hundert Jahren untersuchten Pflanze-Ameisen-Symbiosen ist die zwischen Bäumen der Gattung Cecropia und Azteca-Ameisen. Die bis zu 15 Meter hohen Bäume haben hohle Stämme, in denen die Ameisen leben. Um ihnen den Eintritt zu erleichtern, gibt es spezielle dünnwandige Stellen, die die Insekten leicht durchbeißen können.

Damit nicht genug, stellen die Bäume ihren Untermietern auch Nahrung zur Verfügung: Sie produzieren eigens zu diesem Zweck winzige rundliche Gebilde, die reich an Proteinen und Fetten sind und nach ihrem deutschen Entdecker Müller’sche Körperchen heißen.

Im Gegenzug wehren die Ameisen Schaden von "ihrem" Baum ab. Dafür patrouillieren immer einige Tiere an der Oberfläche der Pflanze. Setzt sich ein blattfressendes Insekt darauf, schwärmen im einfachsten Fall Arbeiterinnen aus dem Inneren aus und werfen es gemeinsam vom Baum.

Stabile Laufgänge

Deutlich ausgeklügelter macht das die Art Azteca brevis: Wie alle Azteca-Arten ist sie in der Lage, aus zerkautem Pflanzenmaterial einen formbaren Brei herzustellen, der dann mit Pilzen infiziert wird. Die wachsenden Pilzfäden stabilisieren die Gänge, ähnlich wie bei menschlichen Bauten Stahl den Beton verfestigt.

Aus diesem Material baut Azteca brevis Laufgänge entlang der Äste ihrer Wirtspflanze, die gespickt sind mit kleinen, nach außen offenen Kammern. In diesen sitzt jeweils eine Arbeiterin mit gespreizten Mundwerkzeugen, die nur darauf wartet, Eindringlinge dingfest zu machen.

Über das Verhältnis zwischen den Ameisenbäumen und ihren Symbiosepartnern wurde viel gearbeitet, auch von Veronika Mayer vom Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Uni Wien. Erst seit dem Vorjahr jedoch befasst sich die Biologin mit einem bisher wenig beachteten Teil der Cecropia-Azteca-Symbiose, nämlich Pilzen, in diesem Fall Chaetothyriales, auch Schwarze Hefen genannt.

Hauseigene Pilzzucht

Chaetothyriales sind keine besonders sympathischen Organismen: Vertreter der Ordnung bilden schwarze Flecken unter anderem in Kühlschränken, Geschirrspülern und U-Bahn-Schächten, deutlich weniger harmlose tropische Arten können bei Menschen und Tieren schwere Infektionen hervorrufen.

In den Behausungen der Ameisen treten die Pilze in Form dunkler Häufchen in Erscheinung: Die Ameisen verschaffen ihnen günstigen Untergrund, indem sie Gewebe vom Inneren des Stamms abschaben und anhäufen. Auf dieses Substrat bringen sie selbst den Pilz auf. Eine junge Königin, die ihren eigenen Staat gründet, nimmt Pilzmaterial aus der Mutterkolonie mit und etabliert die Schwarze Hefe, noch bevor sie mit der Eiablage beginnt.

Wie Mayer und ihre Mitarbeiter herausfanden, handelt es sich bei den dunklen Häufchen allerdings nicht ausschließlich um Pilze. "Darin leben auch kleine Fadenwürmer, Bakterien und andere Pilze, wie etwa Schimmelpilze", sagt Mayer, "Das ist ein ganzes kleines Universum." Welche Organismen genau dort leben und welche Funktion diese Symbiose hat, ist derzeit Gegenstand mehrerer Doktorarbeiten.

Energiebomben

Was die Vorgänge im Inneren der Flecken angeht, ist eines jetzt schon klar: Die Artengemeinschaft darin baut organisches Material ab und macht es wieder verfügbar; wie Mayer es formuliert: "Das ist wie in einem Komposthaufen." Dazu passt auch, dass die Ameisen ihre zerstückelten Toten auf den Flecken deponieren. Die Frage ist: Wofür werden die so recycelten Stoffe verwendet?

Anders als bei Blattschneiderameisen nämlich, die einen Pilz züchten, von dem sie sich auch ernähren, scheinen die Bewohner der Pilzflecken bei Azteca keinem solchen Zweck zu dienen. Zwar ist denkbar, dass zumindest die Würmer von den Ameisen gefressen werden, aber in drei Wochen Nachschau vor Ort in der österreichischen Forschungsstation La Gamba in Costa Rica konnte Mayer kein einziges Mal ein solches Verhalten beobachten.

Tatsächlich sollten die Azteca-Ameisen Mayers Meinung nach unter gewöhnlichen Umständen nicht an Nahrungsmangel leiden: "Mit 500 Kilokalorien pro 100 Gramm entspricht der Nährwert der Müller’schen Körperchen dem von Schokolade", wie sie ausführt. "Sie enthalten außerdem pflanzliches Glykogen, ein Kohlenhydrat, das bei Pflanzen äußerst selten vorkommt und ein hervorragender Energiespeicher ist."

Diese Energiebomben werden an die Brut verfüttert. Die erwachsenen Arbeiterinnen ernähren sich größtenteils flüssig, unter anderem von den Ausscheidungen der Wollläuse, die als Untermieter in der Ameisenkolonie leben. Mayer vermutet, dass die Ameisen gar keine Beute mehr machen müssen.

Antibiotikaquelle

Vorstellbar wäre für Mayer, dass die "Komposthaufen" ganz spezifische Nährstoffe zur Verfügung stellen. Genetische Untersuchungen haben außerdem ergeben, dass die mit den Ameisen vergesellschafteten Chaetothyriales – im Unterschied zu ihren nahen Verwandten – keine Gene für Enzyme für den Cellulose-Abbau mehr besitzen.

Stattdessen verfügen sie über eine Vielzahl von Genen, die die Bildung sekundärer Inhaltsstoffe bewirken, wie man sie von Antibiotika bildenden Organismen kennt. Die Flecken könnten also eine Art Apotheke darstellen oder auch das Wachstum anderer, schädlicher Pilze hemmen.

Erste Versuche, bei denen Mayer Schwarze Hefen und den an Insekten parasitierenden Pilz Metarhizium gegeneinander anwachsen ließ, ergaben jedenfalls ein verzögertes Wachstum des Insektenkillers.

In Zusammenarbeit mit Andreas Richter und Dagmar Wöbken vom Zentrum für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaft der Uni Wien sollen in den nächsten Jahren weitere molekularbiologische Analysen und Experimente Aufklärung über die Rolle der an der Symbiose beteiligten Organismen bringen. (Susanne Strnadl, 17.10.2020)