Vom Fünfuhrtee zum Ballermann und in den Sixties auch ganz stilvoll: die Kulturtechnik Après-Ski.

Gemeindearchiv

"Eines schönen Abends wurden alle / Gäste des Hotels verrückt, und sie / rannten schlagerbrüllend aus der Halle / in die Dunkelheit und fuhren Ski": In Erich Kästners 1930 entstandenem Gedicht Maskenball im Hochgebirge rächt sich die Natur kurzerhand mit einer Lawine an der wild gewordenen Touristenhorde, aber es ist keineswegs nur der Gast, auf den die Satire des Autors – übrigens selbst begeisterter Winterurlauber – zielt. Und so mündet die Geschichte im böse zugespitzten Pragmatismus einer aufkommenden Tourismusindustrie: "Man begrub die kalten Herrn und Damen. / Und auch etwas Gutes war dabei: / Für die Gäste, die am Mittwoch kamen, / wurden endlich ein paar Zimmer frei."

Als das kleine Lechmuseum in der Vorarlberger Gemeinde Lech am Arlberg vor zwei Jahren eine Schau zur Entwicklung der Skikultur gezeigt hat, wurden pflichtschuldig auch kritische Stimmen dokumentiert. Solche gab es bereits in den 1920er- und 1930er-Jahren, und sie kamen nicht nur von außen, sondern auch von Einheimischen, die sich am Ausbau der alpinen Landschaft zum Freizeitpark für vergnügungssüchtige Städter, aber vor allem auch an deren Umtrieben nach der letzten Talfahrt stießen.

Gefährdetes Kulturgut

Die Kritik am Après-Ski sei "so alt wie das Phänomen selbst", sagt der an der Universität Zürich lehrende Vorarlberger Kulturwissenschafter Bernhard Tschofen. Er schrieb zusammen mit Sabine Dettling das Buch zur Lecher Ausstellung Spuren (Bertolini-Verlag). Das Phänomen Après-Ski beschäftigt ihn aber schon um einiges länger – und er bezeichnet es nicht umsonst als "spezifisch alpenländisches Unterhaltungsformat".

"Um es zynisch zu sagen: Après-Ski gehört auf die Welterbeliste. Es erfüllt im Grunde alle Kriterien eines 'cultural heritage': Es ist einmalig in seiner Bedeutung, es ist mit der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung und der Spezifik des Raums aufs Engste verbunden, es trägt zur Wahrnehmung der ausführenden Gruppe in der Welt bei. Und es ist ein gefährdetes Kulturgut, das jetzt durch das Virus total infrage gestellt wird", sagt Tschofen im STANDARD-Gespräch.

Und er erklärt die Geburt des Après-Ski auch aus der sprichwörtlichen österreichischen Gemütlichkeit heraus: Zwar habe es bereits in der Zwischenkriegszeit auch in Skigebieten in Frankreich oder Italien Fünfuhrtees und andere Vergnügungen gegeben, aber "in keinem anderen Land, allenfalls noch in Südtirol, ist die Verwobenheit zwischen dem Tourismus und der regionalen Alltagskultur und Folklore so stark", so Tschofen. "Das hat viel mit dem spezifisch österreichischen Weg in den Wintertourismus zu tun. Hier entsteht nach dem Ersten Weltkrieg eigentlich ein kleingewerblicher Tourismus, zu dem eine spezifische alpenländische Gemütlichkeit und die Volksmusikbegeisterung und -pflege der 1920er- und 1930er-Jahre gehören. Das wird dann auch zum medialen Exportschlager, zum Beispiel in den Skifilmen von Arnold Fanck und Leni Riefenstahl. Da sitzt dann Lieschen Müller in Berlin im Kinosessel und denkt, da kann man großartig Skifahren, aber es gehört noch etwas anderes dazu, das in diesen Filmen ebenfalls inszeniert wird, nämlich etwas Volkstümlich-Traditionelles, aber gleichwohl auch Modernes."

Ausgelassen mit Sexpuppen

Wie die Auswüchse dieses medialen Exportschlagers heute aussehen, zeigen etwa die zuletzt häufig publizierten Bilder des Tiroler Fotografen Lois Hechenblaikner aus Ischgl. "Da sehen wir Männer mit vermutlich angesehenen Berufen, die mit Sexpuppen herummachen, die sich in einem Ausnahmeraum befinden, in dem Regeln und Ordnungen außer Kraft gesetzt sind. Das ist eigentlich wie Karneval. Dieses Versprechen einer zeitlich begrenzten Ausgelassenheit hat, denke ich, schon früh eine gewisse Rolle gespielt", sagt Tschofen.

Angesichts der Corona-Krise, die Après-Ski zu einem "politischen Thema" gemacht habe, fände er interessant, "wie sehr da an einem Stück des kollektiven Gedächtnisses und auch des Selbstbildes des österreichischen Alpenraums gerüttelt wird. Denn gerade auch die Tatsache, dass so viele kritisch zum Après-Ski stehen, zeigt ja, wie sehr sich das in unser Gedächtnis eingegraben hat." (Ivona Jelčić, 7.10.2020)