Regisseurin Lotte de Beer übernimmt 2022 die Wiener Volksoper.

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Vor ein paar Monaten, mitten im ersten großen Corona-Lockdown, saß Lotte de Beer in Israel fest und nutzte den Stillstand, um ein paar grundsätzliche Gedanken über Musiktheater und Karriere zu wälzen. Und da zeitgleich auch die Suche nach einer neuen Leitung der Wiener Volksoper lief, reifte in der niederländischen Regisseurin der Wunsch, einmal doch auch ein größeres Haus zu leiten.

Diese Schilderungen bezüglich ihres Weges bis zur Volksoper unterstreicht die 1981 Geborene bisweilen mit enthusiastisch geballten Fäusten. Sie erweckt jedoch nicht den Eindruck, jemandem einen Uppercut verpassen zu wollen. Lotte de Beers Gesten geben eher Zeugnis ab von der Begeisterung einer freien Regisseurin, in Wien ab 2022 etwas bewegen zu können.

Die Volksoper kann sich durchaus glücklich schätzen. De Beer hat zwar – wie ihr zukünftiger Vorgänger Robert Meyer bei Amtsantritt auch – noch nie ein großes Haus geleitet. Sie ist jedoch eine der aufstrebenden Regisseurinnen der internationalen Szene und kennt die Strukturen großer Opernhäuser gut. Zusammen mit dem Dirigenten Steven Sloane gründete sie außerdem die Amsterdamer Compagnie Operafront, als deren künstlerische Leiterin sie auch die Suche nach jungem Publikum forcierte.

Brücken bauen

Sie kennt nicht nur die Alltagssorgen des Musiktheaters. Sie hat auch mit Regiemeister Peter Konwitschny zusammengearbeitet und den International Opera Award als Newcomerin gewonnen. Es ging und geht munter weiter: De Beer hat an der Bayerischen Staatsoper inszeniert. Im Frühjahr 2021 wird sie ihre Ästhetik an der Opéra national de Paris bei Verdis Aida erproben.

Am Theater an der Wien konnte man ihren zeitgemäßen, bilderstarken Stil bereits kennenlernen: Bizets Perlenfischer wurden als eine Art Realityshow umgesetzt. Bei Tschaikowskys Die Jungfrau von Orléans wurde die Gotteskriegerin zu einer im Mädchenzimmer halluzinierenden jungen Dame. De Beer geht bei der Ausleuchtung des Werkkerns also durchaus subjektiv vor.

Als Operndirektorin wird sie allerdings womöglich etwas mehr auf die Versöhnung von Opernbrauchtum und Moderne achten. Ihre Worte klingen jedenfalls danach: Sie will auf die "Wienerinnen und Wiener zugehen, Brücken zwischen Innovation und Tradition bauen und gleichzeitig die Welt inspirieren".

Was dies eigentlich bedeutet, bleibt allerdings noch Lotte de Beers gut gehütetes Geheimnis. (Ljubiša Tošić, 6.10.2020)