Eigentlich war sie bis vor kurzem kein Fan der Idee, ein Grundeinkommen einzuführen, sagt Barbara Prainsack, Leiterin des Instituts für Politikwissenschaft der Uni Wien, zu Beginn des Gesprächs. Doch dann habe sie umgedacht und war überzeugt genug, um ihr Plädoyer in Buchform zu gießen.

STANDARD: Warum befürworten Sie ein bedingungsloses Grundeinkommen?

Prainsack: Man kann Arbeit nicht länger mit Erwerbsarbeit gleichsetzen. Viele der Institutionen, die Interessen arbeitender Menschen schützen, tun das aber. Aus historisch guten Gründen: Die Errungenschaft der Arbeiterinnenbewegung war es, die Lebensbedingungen der Menschen in Erwerbsarbeit verbessert zu haben. Aber wir müssen Arbeit heute weiter denken, weil wir ansonsten große wirtschaftliche und gesellschaftliche Aspekte gar nicht mehr erfassen können.

STANDARD: Ein paar Beispiele, bitte.

Prainsack: Ein weiter Arbeitsbegriff würde all das umfassen, was wir heute für andere unbezahlt oder bezahlt tun: Das beginnt bei der Pflegearbeit für Angehörige, reicht aber bis zu jemandem, der für seine Nachbarin kocht oder auf die Kinder eines Freundes aufpasst. Das Grundeinkommen würde ich als einen Vertrauensvorschuss sehen. Der Staat sagt: Ich gebe dir das Geld für etwas, das du ohnehin tust oder tun möchtest. Das ist eine Zuwendung für Beiträge, die Menschen leisten, wohl wissend, dass manche Menschen diese Beiträge nicht leisten, entweder weil sie es nicht wollen oder weil sie nicht können.

STANDARD: Was würde ein Grundeinkommen hier genau verändern?

Prainsack: Es würde die Verknüpfung aus Erwerbsarbeit und Einkommen etwas lösen. Ich plädiere für eine existenzsichernde Variante, Menschen würden so viel erhalten, dass sie über der Armutsgrenze leben könnten: Das wären derzeit 1.200 Euro für Erwachsene und 600 Euro für Kinder in Österreich. Dieses Geld soll nicht dazu dienen, alle Grundbedürfnisse am Markt zu befriedigen. Die Daseinsvorsorge wäre weiter staatlich organisiert, auch Bildung und die Gesundheitsversorgung. Ersetzen ließen sich aber die meisten monetären Transferleistungen an Haushalte.

Die Verhandlungsmacht der Erwerbstätigen würde sich verbessern, doch auch Unternehmen könnten profitieren, sagt Barbara Prainsack.
Foto: Corn

STANDARD: Werden nicht viele Menschen aufhören zu arbeiten, wenn jeder 1.200 Euro erhält?

Prainsack: Da lohnt es sich, das Beispiel der Müllabfuhr zu betrachten: Das ist in vielen Orten ein beliebter Beruf, weil er gut bezahlt ist und weil er so organisiert wurde, dass nichts daran demütigend ist. So ähnlich müsste man andere Sektoren umgestalten. Was es mit einem Grundeinkommen nicht mehr geben würde, wären Jobs, die sowohl demütigend und schmutzig als auch schlecht bezahlt sind. Das Toilettenreinigen müsste man automatisieren, was es teilweise schon gibt. Die Dinge, die nicht automatisierbar sind, müssten besser bezahlt werden. Erwerbstätige hätten eine bessere Verhandlungsposition.

STANDARD: Wenn eine Reinigungskraft sagt, ich putze in einem Haushalt nicht mehr für 13 oder 14 Euro die Stunde, sondern nur noch für 30: Würde das nicht zu Verwerfungen führen?

Prainsack: Was wäre daran schlecht?

STANDARD: Viele Familien könnten sich die Reinigungskraft nicht mehr leisten. Auf Frauen würde der Druck steigen, zu Hause zu bleiben.

Prainsack: Das Modell, das Sie skizzieren, gibt es bereits. In Schweden muss jede Reinigungskraft angestellt werden. Das können sich tatsächlich nur reichere Menschen leisten. Wer das nicht kann, muss etwas weniger arbeiten und das Haus selbst reinigen. Das ist keine schlechte Lösung. Dass mehr an Frauen hängenbleiben würde, ist ein berechtigter Einwand in einem Land, in dem es um Geschlechterparität so schlecht bestellt ist wie in Österreich. Das Grundeinkommen birgt frauen- und familienpolitisch Gefahren in sich. Wir haben schon in der Corona-Zeit gesehen, dass unbezahlte Mehrarbeit im Haushalt und die Kinderbetreuung von den Frauen geleistet werden. Der Staat müsste versuchen gegenzusteuern, etwa Frauen Umschulungen für attraktivere Jobs anbieten.

STANDARD: Ein Grundeinkommen bringt Firmen in Bedrängnis: Ein Café, das Kellner schlecht zahlt, weil es nicht mehr einnimmt, wie soll es höhere Löhne zahlen?

Prainsack: Ohne behaupten zu wollen, dass es bei der Umstellung keine Probleme geben würde, muss man auch sehen, dass das Grundeinkommen eine Art Lohnsubvention wäre. Ein Teil des Einkommens käme vom Staat. Das würde dort wie ein Lohnersatz wirken, wo Menschen gern arbeiten. Ich würde behaupten, Menschen wollen prinzipiell in der Gastronomie arbeiten. Aber eben nicht 14 Stunden am Tag, nicht mit Stress, schlechter Bezahlung und rauem Ton. Das Grundeinkommen könnte andererseits Unternehmern zudem Druck nehmen, weil sie ihre Mitarbeiter in schwierigen Zeiten weniger arbeiten lassen könnten.

Demo in Deutschland für ein Grundeinkommen.
Foto: Expedition Grundeinkommen

STANDARD: Gibt es in Österreich nicht schon eine Mindestsicherung, die Härten abfedert?

Prainsack: Die Tatsache, dass ein Grundeinkommen jeder Mensch bekommt, auch Millionäre, und niemanden als Sozialschmarotzer brandmarkt, ist der Unterschied. Wenn man sich die Experimente zum Grundeinkommen ansieht, ob in Finnland oder Ontario, Kanada, ist eine der wichtigen Erkenntnisse: Die psychische und körperliche Gesundheit verbessert sich, weil sich die Betroffenen nicht mehr als Bittsteller fühlen.

STANDARD: Wäre nicht eine große Hürde, dass auch Migranten Anspruch hätten? Das Klima in Österreich ist ohnehin schon ausländerfeindlich.

Prainsack: Was die politische Zustimmung betrifft, ist das ein großes Problem. Wenn Sie mich fragen würden, ob es eine Zuwanderung wegen des Grundeinkommens gäbe, würde ich zurückfragen: Wie soll das gehen? Man kann ja auch schon heute in der EU nicht beliebig den Wohnort wechseln, das geht nur zur Erwerbsarbeitssuche. Wer keine Arbeit hat, muss zurück. Dass dann irgendwer aus Indien oder der Türkei sagt: Die Österreicher haben ein Grundeinkommen, deshalb gehe ich dorthin, würde es nicht geben. Das Grundeinkommen würde die Einwanderungsgesetze nicht aushebeln.

STANDARD: Wenn ein Grundeinkommen all die Zwecke erfüllen soll, wären das ja irre Kosten.

Prainsack: Ich würde keine konkreten Zahlen nennen, weil das ein Präzisionsniveau vorgaukelt, das es nicht gibt. Die Anpassungseffekte lassen sich nicht seriös kalkulieren: Wie wird sich ein Grundeinkommen auf das Konsumverhalten auswirken, wie auf die Erwerbsquote? Ich würde das Grundeinkommen über Einkommensteuern und Vermögenssteuern finanzieren. Was dann noch als Lücke übrig bliebe, könnte in meinen Augen der Staat zuzahlen. Man könnte in Echtzeit-Evaluierung bestimmte Lösungen, die in der Praxis keinen Sinn machen, ausschleifen lassen und neue einführen.

STANDARD: Nun sagen Sie selbst, dass vieles unsicher ist. Mit welchem Argument ließen sich Menschen überzeugen, dass es wert wäre, ein Grundeinkommen einzuführen? Es wäre ein gigantisches Experiment.

Prainsack: Indem man einerseits Angst davor nimmt, dass jene, die jetzt schon kämpfen, noch mehr kämpfen müssen. Steuererhöhungen, die notwendig wären, um das Modell zu finanzieren, sollten ja in erster Linie sehr hohe Einkommen und große Vermögen belasten; und indem man den Menschen klarmacht, dass ein Grundeinkommen mehr Sicherheit bedeutet – gerade in einer Zeit, in der so viel unsicher ist. (András Szigetvari, 7.10.2020)