Marco Dessí und sein jüngstes "Baby", das er für das Traditionshaus Thonet entworfen hat.

Foto: Nathan Murrell

"Die Frage nach der Zukunft der riesigen Möbelmessen wie jener in Mailand oder Köln ist wohl eine der wichtigsten Fragen in unserem Umfeld. Diese Ungewissheit schüttelt die Branche ganz schön durch und stellt sie vor neue Aufgaben und Herausforderungen.

Das bedeutet, es gibt weniger konkrete Vorstellungen, wie ein Produkt in den nächsten Jahren aussehen soll. Uns Designern stellt sich also umso mehr die Aufgabe, dass wir uns intensiv mit dem Produktportfolio der Kunden auseinandersetzen, um die Produktangebote zu ergänzen und sinnvoll zu erweitern.

Die verzweifelte Suche nach ‚der Neuheit‘ hat einige Firmen dazu verleitet, diese Aufmerksamkeit den neuen Entwicklungen nicht mehr zu geben. Ich denke aber, das liegt nicht nur an Corona.

Die Krise hat gewisse Prozesse beschleunigt, Dinge, die vorher schon angeknabbert wurden. Ich kann der jetzigen Situation, zumindest was das betrifft, durchaus etwas Positives abgewinnen.

Ja, die Krise als Chance! Warum nicht? Abgesehen von den großen wirtschaftlichen Verlusten, die Corona für viele Menschen mit sich brachte, kann so eine Bremse auch Dinge aufzeigen und Schrauben, an denen gedreht werden sollte. Ich hoffe, es wird an den richtigen gedreht.

Neue Typologien

Es ist in Zukunft wohl davon auszugehen, dass neue Möbeltypologien in den Vordergrund gespült werden. Durch die Krise, das Homeoffice, Quarantänen etc. haben die eigenen vier Wände eine neue Bedeutung bekommen. Das wird Auswirkungen haben auf die Art, wie wir uns zu Hause begegnen und auf Rituale in unserem Zuhause.

Ich könnte mir vorstellen, dass kleinere Möbelgruppierungen stärker im Kommen sind, ein kleines Comeback des Biedermeier, wenn man so will. Große Reihenbestuhlungen sind derzeit wohl eher kein Thema. Eine Kristallkugel habe ich aber auch nicht zur Hand. In eine solche würden natürlich auch gern die Unternehmen schauen. Es ist also ungewiss, was wir in Zukunft auf den Messen sehen werden. Sofern sie stattfinden.

Der Designer Marco Dessí und sein Stuhl "520", den er für Thonet entworfen hat, fotografiert von Nathan Murrell.
Foto: Nathan Murrell

Qualität und Langlebigkeit

Ich arbeite zurzeit an Projekten mit Unternehmen, die großen Wert auf die Frage legen, wie und wo ein Produkt produziert wird, Firmen, die Qualität und Langlebigkeit in ihrer DNA haben. Ich denke, dass Corona diesbezüglich durchaus mehr Bewusstsein geschaffen hat.

Zumindest was meine Kunden betrifft, die viel Augenmerk auf das handwerkliche Element und die Verarbeitung legen. Diese Kernkompetenzen treten jetzt noch stärker in den Vordergrund.

Um ein Beispiel zu nennen: Mein neuestes Baby, der Stuhl ‚Thonet 520‘, wird zur Gänze in Deutschland gefertigt. Zuvor hatte das Unternehmen auch mit Zulieferern aus Italien gearbeitet.

Schnittstelle

Ich begrüße es sehr, wenn sich die Branche mehr auf Qualität besinnt, auch was die Qualität des Entwurfs betrifft. Das könnte sich auch auf die Zyklen der Produktentwicklung auswirken. Ein Sessel ist nun mal kein Pullover. An meinem ‚520er‘ begann ich bereits Anfang 2018 zu arbeiten. Manche Menschen mögen sich fragen, warum es zwei Jahre dauert, bis so ein Möbel fertig ist.

Aber da hängt unheimlich viel Recherche daran, und wir entscheiden über ein Produkt, das Menschen im besten Falle ein ganzes Leben begleiten wird. Eine wichtige Frage lautete, wie kann ein Polsterstuhl ein unverkennbarer Thonet sein. Wie sieht 2020 ein Polsterstuhl für ein Unternehmen mit 200-jährigem Bestehen aus, ohne nostalgisch zu wirken? Ein Unternehmen, das mit der Bugholztechnologie das moderne Möbel quasi erfunden hat!

Ich bin mit dem Ergebnis sehr zufrieden, denn er zeigt ein schönes Spannungsfeld zwischen Vergangenheit und Tradition einerseits, und andererseits ist er auch zukunftsweisend, was die Schnittstelle zwischen Handwerk und Industrie betrifft.

Warum ein Objekt letztendlich so aussieht, wie es aussieht, ist eine gute Frage. Manche Dinge gehen einem leicht von der Hand, andere muss man sich schwer erarbeiten, und bei manchen weiß man gar nicht, welchen Ursprung sie haben. Den sieht man im besten Fall dem fertigen Produkt an." (Michael Hausenblas, RONDO, 12.10.2020)