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Die Spanische Treppe in Rom, einmal anders.

Foto: AP Photo/Gregorio Borgia

Die Szene hatte Symbolwert: Am Dienstag informierte Italiens Gesundheitsminister Roberto Speranza das Parlament über die Situation an der Covid-Front und über die neuen Maßnahmen, mit denen die Regierung die von den Experten schon lange befürchtete zweite Ansteckungswelle im Herbst zu verhindern will. Doch über Speranzas Vorschläge konnte die Abgeordnetenkammer nicht abstimmen: Sie war nicht beschlussfähig, es waren zu wenige Parlamentarier im Saal. Allein aufseiten der Regierungskoalition befanden sich über 40 "Onorevoli" zu Hause in Quarantäne. Auch im Senat wackelt die Regierungsmehrheit derzeit Covid-bedingt.

Die wichtigste von Speranza angekündigte Maßnahme tritt trotzdem bereits am Donnerstag in Kraft, per Notrecht: Ab sofort müssen im ganzen Land wieder Gesichtsmasken getragen werden, auch im Freien – nämlich immer dann, wenn nicht genügend Abstand zu anderen Personen eingehalten werden kann. Bei Verstößen drohen saftige Bußgelder von 400 bis 1.000 Euro. Bisher galt die Maskenpflicht nur für geschlossene Räume: Läden, Supermärkte, öffentliche Verkehrsmittel, Post- und Bankgebäude. Als weitere Maßnahme will die Regierung von Premier Giuseppe Conte den noch immer geltenden nationalen Notstand erneut verlängern, um im Bedarfsfall schnell und unter Umgehung der üblichen demokratischen Prozeduren zusätzliche Schutzmaßnahmen erlassen zu können.

Nach wie vor Musterknabe

Der hohe Corona-Durchseuchungsgrad des Parlaments ist zum Glück nicht repräsentativ für die Situation im Rest des Landes. Insgesamt sind die Fallzahlen immer noch vergleichsweise niedrig; Italien gilt nach seinem harten und langen Lockdown von März bis Anfang Juni zusammen mit Deutschland nach wie vor als Europas Musterknabe. In den letzten Wochen wurden täglich 2.000 und 2.800 neue Fälle verzeichnet; das sind dreimal weniger als im gleich großen Frankreich. Aber: Italien hatte nach dem Lockdown auch schon sehr viel tiefere Zahlen erlebt. "Unser Land hält der zweiten Welle bisher gut stand, aber wir sollten uns keine Illusionen machen und die Wachsamkeit und die Disziplin weiterhin hochhalten", betonte Gesundheitsminister Speranza im Parlament.

Die Einführung einer allgemeinen Maskenpflicht im Freien bei insgesamt niedrigen Fallzahlen mag in vielen Nachbarländern als übervorsichtig eingestuft werden – aber Italien ist noch immer traumatisiert von der ersten Welle, die über 30.000 Tote gefordert hatte. Die Bilder der hoffnungslos überfüllten Intensivstationen und der Militär-Lkws, die in Bergamo die Särge der Toten abtransportierten, sind in den Köpfen immer noch präsent und wirken in großen Teilen der Bevölkerung nach. Entsprechend diszipliniert halten sich die allermeisten seit Monaten an die verordneten Schutzmaßnahmen.

Nun auch der Süden betroffen

Sorgen bereitet den Behörden derzeit vor allem der Umstand, dass sich das Coronavirus nun im Unterschied zur ersten Welle auch im Süden ausbreitet. Mit 395 neuen Infizierten (am Dienstag) verzeichnet nun die Region Kampanien mit der Hauptstadt Neapel die höchsten Fallzahlen des Landes; die Lombardei, wo zwischen März und Juni mehr als die Hälfte aller Fälle und aller Toten registriert worden waren, liegt mit 350 Neuansteckungen nur noch auf Platz zwei. Das Problem: Die Gesundheitssysteme Süditaliens sind weitaus weniger gut gerüstet als jene des Nordens – und wären bei einer rapiden Ausbreitung des Coronavirus schnell überfordert.

Um dies zu verhindern, hat Kampaniens Regionalpräsident Vincenzo De Luca bereits die Schließung aller Bars und Restaurants ab 23 Uhr verfügt – eine Maßnahme, die in den nächsten Wochen auch landesweit wiedereingeführt werden könnte. Auch in Sizilien und in Apulien ist die Entwicklung besorgniserregend; in der Hafen- und Stahlstadt Taranto musste am Dienstag eine Schule geschlossen werden, weil 18 Schülerinnen und Schüler positiv getestet worden waren. Weitgehend unbedenklich sind die Fallzahlen nur noch in den ärmsten Regionen des Südens, Kalabrien und Basilicata. (Dominik Straub aus Rom, 6.10.2020)