Nicht über jede Branche schwappen Kündigungswellen: Pflegeanbieter suchen schon jetzt händeringend nach Personal – und fordern von der Politik einen "Kraftakt".

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Wien – Eben hat Sozialminister Rudolf Anschober den Startschuss für eine Pflegereform gegeben, da deponieren die großen Hilfsorganisationen auch schon ihre Wünsche – mit markigen Worten. Es brauche einen "Kraftakt", um die "Schicksalsfrage" zu lösen, sagt Elisabeth Anselm, Leiterin des Hilfswerks: "Wir haben das Gefühl, die Dramatik der Lage ist noch nicht klar geworden."

Caritas, Diakonie, Hilfswerk, Rotes Kreuz und Volkshilfe meinen damit die Personalnot in der Pflege. Schon jetzt müsse manche Heimstation geschlossen und mancher Kundenwunsch unbefriedigt bleiben, doch die ganz große Lücke drohe wegen der Alterung der Gesellschaft und absehbarer Pensionierungswellen in der Zukunft. Bis 2030 werden laut einer Studie 75.000 zusätzliche Kräfte benötigt. Scheitere die Rekrutierung, warnt Anselm, werde jede Reform "Makulatur bleiben". Die Politik müsse deshalb gleich an mehreren Hebeln ziehen.

  • Anreize für Absolventen: Ob an Schulen oder Unis: Sämtliche Lehrgänge müssten kostenlos sein, fordert Caritas-Präsident Michael Landau, darüber hinaus brauche es eine finanzielle Existenzsicherung.
  • Chancen für Umsteiger: Volkshilfe-Direktor Erich Fenninger hofft auf Menschen, denen Krise oder Digitalisierung den Job gekostet hat, doch viele könnten sich den Umstieg in die Pflege nicht leisten. Neben einer Ausbildungsoffensive brauche es deshalb eine Absicherung, wie es sie bei der Polizei längst gibt: Ordnungshüter in spe bekommen bereits im ersten Ausbildungsjahr ein Gehalt von 1740 Euro im Monat.
  • Pflegekräfte halten: Junge Beschäftigte wollten oft nicht bis zur Pension im Job bleiben, Ältere schieden oft aus gesundheitlichen Gründen aus, sagt Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser und erklärt dies mit Stress und Zeitdruck. Die derzeit pro Land unterschiedlichen Personalschlüssel gehörten so verbessert, dass auf eine Pflegekraft weniger Patienten kommen. Derzeit kämen gerade jene Aktivitäten zu kurz, die Langzeitpflege zu einem erfüllenden Beruf machten: Gespräche mit den Patienten, um Beziehungen aufzubauen. Um den Job attraktiver zu machen, sollten auch spezielle Fachkarrieren ermöglicht werden, wie sie etwa Ärzten offenstehen, sagt Michael Opriesnig, Generalsekretär des Roten Kreuzes – etwa für die psychogeriatrische Pflege.
  • Bessere Bezahlung: "Wir würden von ganzem Herzen gerne mehr zahlen", sagt Moser, doch man könne als gemeinnütziger Träger nur so viel ausgeben, wie die öffentliche Hand gewährt. Es sei unverständlich, dass Kräfte in der Langzeitpflege um 300 bis 500 Euro brutto weniger im Monat verdienten als Krankenschwestern in Spitälern. (Gerald John, 7.10.2020)