Der vom Schweizer Ingenieur Peter Steurer gebaute Maschinenmensch Sabor wurde 1952 in Linz vorgeführt.

Foto: United States Information Service (USIS) / ÖNB

Nur keine Panik: "maunchmoe howe des gfüü / de wööd schded fuan untagaung / daun dafaunge me und sog ma / des güt nua fia mii", hielt Ernst Jandl 1991 fest. Ist das Wiener Gemütlichkeit? Das Gedicht Apocalypse Soon beruhigt den Besucherherzschlag im Literaturmuseum der Nationalbibliothek wieder. Die Schau Utopien und Apokalypsen war schon fertig konzipiert, als sie passend zum Titel von der Realität eingeholt wurde und Corona zu grassieren begann.

Der Pandemie wurde mit einer kleinen Bibliothek über Seuchen zur verspäteten Eröffnung nur wenig Platz eingeräumt. Denn an Material herrschte schon zuvor kein Mangel: Überwachung, Klimakrise, Atomwaffen, Kometen, Robotik, Cyborgs – es gibt vieles, wovor man sich fürchten kann. Weil Angst immer Triebfeder der Kunst war, gibt es reichlich Zeugnisse davon.

Saufuß in Schweinlandia

Deshalb sind derzeit sich im Zuge der Pandemie auftuende Diskussionen wie die zum Spannungsfeld von Freiheitsrechten und Sicherheit, zur Überwachung mittels App und zur Einschränkung der Grundrechte in der Schau in vielen Exponaten ohnehin angerissen, sagt Museumschef Bernhard Fetz. Sie sind Konstanten im literarischen Spiel mit Gesellschaftsentwürfen. Geht man also für das, was in den nächsten Monaten noch kommen mag, gestärkt aus der Ausstellung heraus?

Zumindest überraschend gut gelaunt. Das mag an der barocken Karte vom utopischen Schlaraffenland liegen, in die Laster wie Völlerei als Provinzen eingezeichnet sind und Regionen wie Schweinlandia Orte namens Saufuß beheimaten. Grund könnte ebenso Helmut Qualtinger sein, der 1970 in verschiedene launige Rollen schlüpfte, um in die Zukunft Österreichs zu blicken. Es fehlt aber auch nicht an Schwermut wie der Christine Lavants, neben Ingeborg Bachmann und Marlen Haushofer eine der großen Poetinnen des eigenen Untergangs.

Zwei verwandte Seiten

Utopie und Apokalypse werden in der Handvoll Stationen nicht so sehr als Gegensatzpaar gedacht als vielmehr wegen ihrer Gemeinsamkeiten zusammengespannt: weil beide alte Ordnungen überwinden und neue entwerfen, weil sie als Inspiration oder als Mahnung ein Umdenken fordern. Die gedankliche Flughöhe der Videobeiträge von Kathrin Röggla oder Thomas Macho erreicht der übrige Ausstellungsparcours nicht. Dennoch anregend in der Fülle ist er schnell verdaulich auf knappe Inhaltsangaben ausgelegt. Feministische Utopien stehen neben Scifi-Kult von Perry Rhodan.

Viele Apokalypsen und Dystopien sind schließlich in die Weltliteratur eingegangen: George Orwells 1984, Giovanni Boccaccios Decamerone, H. G. Wells Zeitmaschine. Die ÖNB steuert auch eine Lutherbibel mit einer Apokalypsendarstellung von 1534 bei. Es stehen aber auch kuriose Entdeckungen in den Regalen wie Otto Basils Wenn das der Führer wüßte (1966). In dem Roman hat Nazideutschland 1945 den Krieg gewonnen, geht aber in den 1960ern in einem "apokalyptischen Kuddelmuddel" unter. Gerhard Rühm sorgt sich 1988 in seiner Botschaft an die Zukunft darüber, wie man künftige Generationen in "tsentauzänt jarän" vor "atommül-lagärctätän" warnen könnte. Die Antwort ist leider unverständlich und geht vom Autor vorgetragen in einem Stakkato aus Lauten und Trommeln unter, das klingt wie ein letztes Röcheln.

"Feuer großer Utopie flammen in Österreich nicht auf. Dafür wimmelt es von verfaulenden Utopien", stellte der Publizist Friedrich Heer Ende der 1970er fest. Allzu Euphorisches brachte die heimische Literatur zuletzt tatsächlich nicht hervor. Eine genauere Überprüfung scheitert daran, dass die jüngste Literaturgeschichte in der Schau zu kurz kommt. Was schade ist, weil sich in Zukunftsentwürfen immer auch die Gegenwart spiegelt. (Michael Wurmitzer, 8.10.2020)