Parteien, die sich berechtigte Hoffnungen auf eine Regierungsbeteiligung in Wien machen, haben längst ihre Vorstellungen für mögliche Verhandlungen nach der Wien-Wahl am kommenden Sonntag festgelegt. Die ÖVP rechnet sich offenbar gute Chancen aus, denn ein Papier, das von der Wirtschaftskammer Wien ausgearbeitet wurde und als inoffizielles Regierungsprogramm der Wiener ÖVP gehandelt wird, ist sehr umfangreich. Der Entwurf mit dem Titel "Recovery – Der Weg zurück an die Spitze", der dem STANDARD vorliegt, zeigt, dass die Stadttürkisen und die SPÖ inhaltlich über weite Strecken nicht weit auseinanderliegen. Spannend wird es im letzten Kapitel "Einzelmaßnahmen", in denen eigene ÖVP-Forderungen zusammengefasst sind:
- Demo-Zonen Wirtschaftskammer und ÖVP sind seit längerem die zahlreichen Demonstrationen in Wien ein Dorn im Auge, weil sie Shoppingmeilen und den Stadtverkehr beeinträchtigen. Deshalb werden fixe Demozonen wie etwa am Schwarzenbergplatz vorgeschlagen. Der weitläufige Platz zwischen der Ringstraße und dem Hochstrahlbrunnen beim Heldendenkmal für die Rote Armee (sogenanntes Russendenkmal) sei für bis zu 4000 Demoteilnehmer geeignet, heißt es. Die hochfrequentierten Straßen rundherum müssten aber unberührt bleiben.
"Sprachlich einwandfrei"
- Fünf-Sterne-Taxis Ein wenig kurios erscheint der Vorschlag einer neuen Taxikategorie 5S, was für fünf Sterne steht. Geforderte Kriterien: "schön, sauber, sicher, schnell, sprachlich einwandfrei".
- Pendler Neben der schon vor längerem vorgestellten Idee eines Drei-Zonen-Parkmodells (Innere Stadt, innerhalb des Gürtels, außerhalb des Gürtels), das auch den Pendlerverkehr in die Stadt reduzieren soll, schlägt die Wirtschaftskammer vor, dass einpendelnde Arbeitnehmer einen Tag in der Woche zu Hause bleiben sollen – also im Homeoffice. Das würde bei einer Fünf-Tage-Woche rund zehn Prozent weniger Autofahrten bedeuten.
- Tourismuszonen Unter diesem Schlagwort möchte die Stadt-ÖVP eine neue Initiative für die Ausweitung von Öffnungszeiten an Sonntagen setzen. Damit sich der Tourismus nach der Coronavirus-Krise wieder erholen könne, sei es notwendig, dass Gäste an Sonntagen nicht vor verschlossenen Geschäftstüren stünden – zumindest in eigens definierten Tourismuszonen. Als Beispiele werden der gesamte erste Bezirk, die innere Mariahilfer Straße sowie das Hietzinger Platzl genannt.
ÖVP pocht auf Wien-Bonus der SPÖ
- Vergaberecht Die ÖVP will die SPÖ anlässlich deren "Wien-Bonus" beim Wort nehmen und klein- und mittelständische Unternehmen (KMU) bei der Vergabe von Aufträgen der Stadt forcieren. Um den hiesigen Unternehmen ein größeres Stück vom Fünf-Milliarden-Euro-Kuchen (im Jahr 2019) zu sichern, sollen im Vergaberecht bestimmte Lockerungen vorgenommen werden. Dazu gehört unter anderem "mehr Großzügigkeit bei Eignungsvoraussetzungen von Bietern".
- Verwaltungsstrafrecht Ein Damoklesschwert über Unternehmern ist aus Sicht der ÖVP-nahen Wirtschaftskammer das sogenannte Kumulationsprinzip im Verwaltungsstrafrecht. Beispiel: Ein Meldeverstoß durch einen Unternehmer, der sich auf mehrere Arbeitnehmer bezieht, wird auch pro Arbeitnehmer bestraft. Gerade für Corona-geschwächte Unternehmer könne sich das vernichtend auswirken. Forderung: Reduzierung auf eine einmalige Strafe.
- Steuern Die Wirtschaftskammer Wien drängt auf Begünstigungen und Vereinfachungen für Betriebe. Allzu kontrovers dürften die Punkte nicht sein, obwohl einige davon mit der Stadt-SPÖ nicht unter einen Hut gehen. Der Grund: Wien hat nicht viel mitzureden, da es sich überwiegend um Bundeskompetenzen handelt. Die Kammer spricht sich beispielsweise gegen die Einführung von Vermögens- und Ökosteuern aus – vor allem wenn sie Betriebe belasten würden. Bei Umweltsteuern will man nur im europäischen Gleichklang Schritte setzen.
- Sanierungen Das Programm enthält auch eine Forderung von Wiens Kammerchef Walter Ruck, der Unternehmen in Schwierigkeiten besser vor Gläubigern schützen will. Nach dem Vorbild des US-Schutzschirmverfahrens (Chapter 11) sollen Betriebe zur Sanierung für bis zu fünf Jahre keine Forderungen begleichen müssen. Die Schieflage des Unternehmens soll nicht öffentlich werden. (Katharina Mittelstaedt, Michael Simoner, Andreas Schnauder, 7.10.2020)
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