Integrationsministerin Susanne Raab will, dass die Staatsbürgerschaft am Ende einer erfolgreichen Integration steht. SPÖ, Grüne und Neos wollen die Hürden für die Einbürgerung senken.

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Wien – In Österreich ist das Wahlrecht an die Staatsbürgerschaft gekoppelt. So viel ist bekannt. Gerade in Großstädten wie Wien, in denen viele Ausländer leben und arbeiten, führt das aber oft zu einem Dilemma: So darf in Wien etwa eine halbe Million Einwohner, fast ein Drittel der Wiener Bevölkerung, nicht wählen und ist damit von demokratischer Mitbestimmung ausgeschlossen. Von Migrationsforschern und NGOs wie SOS Mitmensch wird deshalb seit längerem gefordert, dass auch Ausländer an Wahlen teilnehmen dürfen.

Drei Tage vor der Wien-Wahl am Sonntag äußerte sich Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) nun ablehnend zu dem Vorschlag. "Ich möchte dem Wahlrecht für Nichtösterreicherinnen und Nichtösterreicher ein für alle Mal eine Absage erteilen. Das wäre auch aus Integrationssicht der falsche Weg", sagte sie am Donnerstag in einer Stellungnahme an den STANDARD und weitere Medien. Die österreichische Staatsbürgerschaft sei ein hohes Gut, und mit ihr seien Rechte und Pflichten verbunden. "Das Wahlrecht ist ein solches Recht und aus gutem Grund grundsätzlich an die Staatsbürgerschaft gekoppelt, die am Ende einer erfolgreichen Integration steht", erklärte die Ministerin.

Restriktives Einbürgerungsrecht

Tatsächlich besitzt Österreich im internationalen Vergleich ein relativ restriktives Einbürgerungsrecht. Für den Erwerb der Staatsbürgerschaft braucht es unter anderem einen mindestens zehnjährigen rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalt in Österreich, Unbescholtenheit, Deutschkenntnisse und einen hinreichend gesicherten Lebensunterhalt. Auch einen Test über die Geschichte Österreichs und des jeweiligen Bundeslandes müssen Einbürgerungswillige absolvieren.

EU-Bürger dürfen zwar ohne die Staatsbürgerschaft an der Wahl der Wiener Bezirksvertretungen teilnehmen. Bei der politisch deutlich wichtigeren Gemeinderatswahl sind aber auch sie ausgeschlossen.

SPÖ, Neos wollen Hürden abbauen

Neben der ÖVP lehnt freilich auch die FPÖ ein Ausländerwahlrecht seit jeher kategorisch ab. Andere Parteien sehen dies differenzierter. So sprachen sich in der Vergangenheit etwa einzelne SPÖ-Funktionäre für ein Wahlrecht für Nichtösterreicher auf kommunaler Ebene aus. Ein generelles Ausländerwahlrecht wurde zuletzt vom Wiener Bürgermeister Michael Ludwig abgelehnt. Die Wiener SPÖ spricht sich in ihrem Wahlprogramm allerdings dafür aus, vor allem finanzielle Hürden für die Staatsbürgerschaft zu senken, konkret die Landesabgabe – alles andere muss aber auf Bundesebene beschlossen werden. Auch die Bundes-SPÖ ist ganz auf Linie von Ludwig. Das Wahlrecht sei nun mal an die Staatsbürgerschaft gekoppelt, eine Änderung wolle man nicht initiieren. Den Wiener Vorschlag, die Landesgebühren zu senken, unterstützt man aber. "Derzeit halten hohe finanzielle Hürden viele vom Erlangen einer Staatsbürgerschaft ab. Diese Hürden sollen verkleinert werden", meint die Pressesprecherin von Parteichefin Pamela Rendi-Wagner zum STANDARD.

Als "vollkommen zukunftsvergessen und berechnend" bezeichnete Neos-Integrationssprecher Yannick Shetty am Donnerstag in einer Aussendung Raabs Aussagen. Die Neos setzten bundesweit sich dafür ein, dass EU-Bürger in Österreich an allen Wahlen teilnehmen dürfen und fordern wie die SPÖ die Senkung der Hürden für den Staatsbürgerschaftserwerb. Die Wiener Neos fordern zudem in ihrem Wahlprogramm, dass auch Doppelstaatsbürgerschaften möglich sein sollen – derzeit muss die bisherige Staatsbürgerschaft nämlich zurückgelegt werden.

Grüne für "Wahlrecht für alle"

Bleiben eigentlich nur noch die Grünen. Die sind auch die Einzigen, die sich ganz klar für ein "Wahlrecht für alle" aussprechen. "Alle, die in Wien leben, haben das Recht zu wählen", heißt es im grünen Wahlprogramm für die Wien-Wahl. Man wolle damit verhindern, dass sich Menschen "im schlimmsten Fall" von der Gesellschaft, in der sie leben, abwenden, wenn sie nicht wählen dürfen.

Wie sich die Teilhabe von Nichtösterreichern in der Praxis auswirken könnte, führt seit Jahren nicht repräsentativ die "Pass-Egal-Wahl" von SOS Mitmensch vor. Dabei handelt es sich um eine symbolische Wahl für Menschen ohne österreichischen Pass. Mittels Briefwahl, mobilen Wahlkabinen und Kooperationsstandorten nahmen bei der heurigen Aktion 1.546 Menschen teil, ein Rekord, so SOS Mitmensch. Hinzu kamen mehr als 1.000 Solidaritätsstimmen von Österreichern. Bei der Wahl gewann die SPÖ den ersten Platz mit 38,44 Prozent. Den zweiten Platz machten die Grünen mit 33,55 Prozent, gefolgt vom Bündnis Links (inklusive KPÖ) mit 12,09 Prozent.

"Unvollständige Wahl"

ÖVP, FPÖ, Neos, Team HC, Bierpartei und Soziales Österreich der Zukunft (SÖZ) scheiterten dabei allesamt an der Fünf-Prozent-Hürde für den Einzug in den Wiener Landtag. "Die offizielle Wien-Wahl, an der ein Drittel der Bevölkerung im Wahlalter nicht teilnehmen darf, ist eine unvollständige Wahl", so Gerlinde Affenzeller, Geschäftsführerin von SOS Mitmensch. Die "Pass-Egal-Wahl" zeige, dass es erhebliches Interesse an politischer Beteiligung von Menschen ohne österreichischen Pass gibt. Daher müsse die Tür zur demokratischen Beteiligung für die Betroffenen geöffnet werden. (Davina Brunnbauer, Laurin Lorenz, 8.10.2020)