Wien ist einerseits ein Bundesland, vor allem aber die größte Gemeinde Österreichs.
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Die mediale Aufmerksamkeit für die am Sonntag anstehende Wiener Landtags- und Gemeinderatswahl ist enorm. Der ORF etwa lädt alle Spitzenkandidaten in die "Pressestunde" ein, veranstaltet 15 Wahlduelle, obendrauf gibt es umfassende Analysen und Themenabende. Andere Medien tun es ihm gleich.

Warum aber so viel Aufhebens um eine Regionalwahl, bei der absehbar ist, dass es keine dramatischen Machtverschiebungen geben wird?

Vielleicht weil Wien wegen seiner Größe so wichtig ist? Oder hat es als Bundeshauptstadt besondere politische Bedeutung? Oder kann es daran liegen, dass mehr als die Hälfte aller Journalisten in Österreich in Wien arbeiten (siehe Seite 75 in diesem Dokument)? Das alles sind plausible Erklärungen – aber nicht wirklich gute Gründe für den medialen Fokus, den Wahlen in Wien – im Gegensatz zu jenen in anderen Bundesländern – erfahren.

Einen substanziellen Grund gibt es allerdings, warum die Wahlen in Wien wichtiger sind als andere Landtagswahlen. Und dieser Grund liegt genau darin begraben, dass es sich eben nicht nur um Landtagswahlen, sondern auch Gemeinderatswahlen handelt.

Während nämlich die Landtage kaum relevante Gesetzgebungskompetenzen haben, sind die Beschlüsse von Gemeinderäten und Gemeindevorständen (Stadtregierungen) im Alltag sehr unmittelbar wirksam. Zwar sind in Wien Landtag und Gemeinderat personalident, in der Praxis ist aber letzterer viel aktiver.

Die Grafik oben zeigt, wie viele Beschlussanträge in den letzten 20 Jahren im Wiener Gemeinderat und Wiener Landtag zur Abstimmung gekommen sind. Während es im Landtag bestenfalls einige Dutzend waren, gehen die Beschlussanträge im Gemeinderat tief in den dreistelligen Bereich. Zwischen 2017 und 2019 waren es pro Jahr über 400 Anträge. Auch bei anderen Aktivitäten der Abgeordneten (etwa Anfragen) dominiert der Gemeinderat gegenüber dem Landtag.

Wenn die mit Abstand größte Gemeinde Österreichs also am kommenden Sonntag ihren Gemeinderat wählt, dann verdient das durchaus mehr Aufmerksamkeit als eine "herkömmliche" Landtagswahl. Einfach deswegen, weil Gemeindepolitik in der Substanz wichtiger ist als Landespolitik. (Laurenz Ennser-Jedenastik, 8.10.2020)