Die beste Technologie bringe einem nichts, wenn sie nicht mit den anderen Teilen der Streitkräfte abgestimmt werden kann. Integration ist das Schlagwort – mittlerweile auch bei den Militärs dieser Welt, sofern sie denn kampffähig bleiben wollen. Der Militärstratege Franz-Stefan Gady glaubt, dass der Mensch zumindest vorerst noch immer die Entscheidung über Leben und Tod treffen wird. Eine Künstliche Intelligenz (KI) wird wie auf einer digitalen Speisekarte aber verschiedene Handlungsoptionen vorschlagen. Per Videokonferenzschaltung aus jenem Land, wo erst kürzlich eine Space Force gegründet wurde, erklärt Gady warum Weltallkriege dennoch nicht stattfinden werden, das Weltall aber trotzdem militarisiert wird.

STANDARD: Woran arbeiten die Militärs dieser Welt zurzeit?

Franz-Stefan Gady: Die Technologie mit dem größten Potenzial die militärische Kriegsführung in den nächsten Jahrzehnten zu verändern ist die Künstliche Intelligenz. KI ist aber keine Wunderwaffe, sondern eine Art Universaltechnologie. Sprich: es gibt keine speziellen KI-Systeme oder eine KI-Waffe, die eine Revolution einleiten werden. Viel eher geht es darum, wie die Militärs es schaffen, die vielseitigen Möglichkeiten, die KI bietet, in ihre Streitkräfte zu integrieren.

Illustration: Fatih Aydogdu

STANDARD: Aber wo wird sie eingesetzt, die KI?

Gady: Einerseits in der Logistik. Gepaart mit schnellem 3-D-Druck erlaubt das eine dezentrale Organisation am Schlachtfeld. Das schafft Flexibilität. Auch spielt die KI in sogenannte Kampfführungssysteme rein. Man kann sich das wie eine App für den Kommandanten vorstellen. Die KI schlägt ihm anhand der Kapazitäten verschiedene Handlungsoptionen vor, ein digitales Menü quasi. Welcher Cyberangriff könnte den Gegner lahmen, wie viel Artillerieeinsatz macht Sinn oder sollte ich doch den Kampfjet einsetzen oder eine Drohne. Die Mischung aus Robotik und KI ist natürlich auch vielversprechend, eher aber auf den Weltmeeren oder in der Luft als an Land. Diese Killerroboter oder Terminator von denen gerne die Rede ist, werden aber in naher Zukunft wenig Einfluss auf das Kampfgeschehen haben. Wirklich effektiv sind letzten Endes nur jene Systeme, die in guter Abstimmung mit Menschen zusammenarbeiten.

STANDARD: Die KI wählt die Ziele aus und der Soldat betätigt also den Abzug? Auch in Zukunft bleibt also der Mensch in der Schleife?

Gady: Zumindest in Europa kann ich mir das in den nächsten Jahrzehnten nicht anders vorstellen. Ob das in 20 Jahren noch der Fall ist, wage ich aber nicht zu sagen. Natürlich gibt es aber auch heute schon automatische Waffenssysteme, die teils semi-autonom arbeiten.

STANDARD: Das sind aber Defensivwaffen oder?

Gady: Jein. Sogenante "Loitering Munitions", Lenkwaffen, die über längere Zeit über einem Ziel herumkreisen, können jetzt auch schon autonom Ziele bekämpfen.

STANDARD: Werden wir Truppen im Weltall sehen?

Gady: Ich wüsste nicht was der Mehrwert davon sein soll. Das Weltall ist für moderne Kriegsführung einerseits wichtig, weil du enorm effektiv offensive Cyberoperationen durchführen kannst. Diese werden extrem an Bedeutung gewinnen und sind nicht mehr wegzudenken. Andererseits werden Langstrecken-Präzisionswaffen wichtiger. Und da kann man vom Weltall aus vortrefflich Ziele beobachten, finden und erkennen. Das Weltall unterstützt die Militärs also für den Krieg auf der Erde. Diese Weltallgefechte, wie es uns die Popkultur vermitteln möchte, werden so aber nicht stattfinden. Das Primat des Krieges bleibt auf der Erde, im Weltall gewinnst du keinen Krieg.

STANDARD: Wer künftig eine militärische Weltmacht sein will muss trotzdem in allen fünf Domänen präsent sein – Luft, Wasser, Erde, Weltall und Cyber?

Gady: Ja, wobei Cyber als eigene Sphäre ja zu kurz geht. Gerade Cyber durchdringt alle anderen militärischen Dimensionen. Alles ist vernetzt. Und ich sage es noch einmal: Militärisch stark ist der, der es schafft, seine Soldaten bestmöglich zu trainieren und seine Systeme möglichst gut miteinander zu integrieren. Außer jemand findet irgendeine Technologie, die solch eine militärische Revolution einleitet, dass die klassischen militärischen Fähigkeiten obsolet werden.

Illustration: Fatih Aydogdu

STANDARD: Können die superschnellen Überschallraketen so eine Revolution sein?

Gady: Die Geschwindigkeit ist gar nicht so wichtig. Es geht hauptsächlich um deren erratische Flugkurven. Wenn die im Zickzack daherkommen wird es wahnsinnig schwer, deren Kurs zu berechnen, um sie abzuschießen. Ich kann ein Abwehrsystem aber auch mit einigen herkömmlichen Raketen recht schnell überfordern. Überschallraketen sind aber mehr eine evolutionäre als eine revolutionäre Entwicklung. Das sind einfach nur bessere Raketen. Ich glaube deren Einfluss am Schlachtfeld ist minimal. Sie bleiben ob ihrer horrenden Kosten auch eine Nischenkapazität. Vorstellen kann ich mir sie am ehesten zu Beginn von Konflikten, um Kommandokontrollzentren auszuschalten, bevor diese sich ordentlich breit machen konnten – dort, wo noch niemand mit einem Angriff rechnet. In der Militärstrategie spricht man da von Enthauptungsschlägen.

STANDARD: Wie schützt man sich vor Raketenschlägen?

Gady: In Zukunft wird ein einziges großes Raketenabwehrsystem nicht mehr reichen. Da braucht es eine mehrschichtige Verteidigung und da ist wieder Cyber sehr wichtig. Damit kann ich Raketen schon vor dem Start ausschalten. Da wird noch viel passieren und die Europäer sind hier leider gegenüber den USA, China und Russland im Hintertreffen.

STANDARD: Da geht dann das Raketensilo nicht mehr auf, weil sich der Feind ins System eingehackt hat oder was?

Gady: Zum Beispiel, ja. Es gibt keine eindeutigen Beweise, aber man vermutet, dass die USA so schon nordkoreanische Raketenstarts verhinderten. Es ist auch nicht mehr richtig, dass man bestimmte Systeme vom Internet trennen und somit unverwundbar machen könnte. Es ist schwierig, aber durchaus möglich in diese geschlossenen Systeme hineinzukommen – etwa mit Radiowellen.

STANDARD: Wie kann sich ein kleiner Staat in so einer komplizierten und kostspieligen Zukunft noch verteidigen? Nur mehr über Allianzen?

Gady: Für kleine Staaten wie Österreich oder die Schweiz wird es sehr schwierig sich in Zukunft alleine verteidigen zu können. Der Trend geht hin zu Bündnissen und Allianzen, ja. Auch Österreich hat seine Verteidigung ja quasi an die Nato ausgelagert. Schwierig wird es in den nächsten Jahren vor allem die alten Gerätschaften mit den neuen Technologien – mit Drohnen und Cyberfähigkeiten – zu verbinden. Hier liegt auch der Schlüssel zur Kampfkraft von Streitkräften in der Zukunft.

STANDARD: Macht es das Zögern hinsichtlich einer EU-Armee noch schwieriger?

Gady: Das muss gar nicht sein. Wir glauben in Europa immer, dass alle Systeme möglichst nahtlos miteinander arbeiten müssen, dass alle Nato-Standards erfüllen sollen. In der Militärgeschichte war das aber gar nicht zwingend der Fall. Wichtig ist wie gesagt, dass altes und neues Gerät miteinander kann. Sollten sich etwa die Chinesen und Russen zu einer festen militärischen Allianz verbünden, werden auch deren Systeme nicht untereinander austauschbar sein. Die teilen sich etwaige Fronten dann halt einfach untereinander auf. Ohnehin wird die europäische Verteidigung aber eher über die Nato als die EU organisiert werden.

STANDARD: Befinden wir uns bereits in einem Wettrüsten?

Gady: In Friedenszeiten sehen wir vor allem ein Wettrüsten in Sachen Informationskriege. Die Schwächung politischer Institutionen und die Deligimitation von Politik wird weiter vorangetrieben, darin liegt die große Verwundbarkeit demokratischer Systeme. Spaltungen in der Gesellschaft werden ausgenützt. Der Kampf um das Narrativ geht weiter. Ich halte es da wie Tyrion Lannister in "Game of Thrones": "Nichts ist so mächtig wie eine gute Geschichte!"

STANDARD: Aber rein militärisch gesehen?

Gady: Wird es vor allem auch zu einem nuklearen Wettrüsten kommen. Die Rüstungskontrolle liegt im Sterben und viele der Überschallraketen werden auch atomar bestückbar sein. Ganz allgemein driftet die Welt ganz klar auseinander an verschiedene Pole. Befeuert wird das durch den langsamen Rückzug der USA, deren militärische Allmacht wird auch in den kommenden Jahren weiter bröckeln. Gleichzeitig steigt natürlich China weiter auf und wird militärische Ambitionen entwickeln. Bisher betreiben sie halt noch keine militarisierte Außenpolitik. Europas Sicherheitsinteressen werden aber auch in Zukunft noch mit jenen der USA überlappen, weil die Grundprämisse der russischen Außenpolitik vorerst die Schwächung eines geeinten Europas und die Schwächung des transatlantischen Bündnisses bleiben wird. (Fabian Sommavilla, 19.10.2020)