Ein junger Ofczarek und doch ganz eigen und radikaler im Zugang: Der Schauspieler Marcel Heuperman sucht auf der Bühne die Verausgabung, das zeitigt blaue Flecken und heisere Stimme.

Katarina Soskic

Seit seinem 13. Lebensjahr ist Marcel Heuperman auf der Überholspur. Das klingt anstrengend, ist es auch, lässt sich aber gut aushalten und geht auch gar nicht anders bei einem Schauspieler, den schon als Kind eine tiefsitzende Provokationslust antrieb und der heute auf der Bühne eine Elementargewalt ist. Am Ende von Martin Kušejs Intendanz am Residenztheater, von wo Heuperman im Vorjahr ans Burgtheater nach Wien mitübersiedelte, hatte er zwölf Stücke gleichzeitig im Repertoire, fast alles Hauptrollen.

13. Lebensjahr? Da gab er bei Frank Castorf sein Debüt an der Volksbühne. Es konnte eben nicht schnell genug gehen. Wobei klein Marcel da von Castorf noch keine Ahnung hatte. Und doch war der Teenager mit den vernarbten Wangen wie geschaffen für das legendäre Berliner Anarchotheater, in dem sich ausschließlich Schauspielerpersönlichkeiten tummelten. Einsatz: tausend Prozent. Schonung ist langweilig und der Untergang des Theaters, ist Heuperman überzeugt.

Der Mann muss es wissen, kann er doch heute, da er das ideale Popstar-Alter von 25 Jahren erreicht hat, bereits auf stattliche Lehrjahre bei der Regieelite des deutschsprachigen Theaters zurückblicken: Castorf, Michael Thalheimer, Alvis Hermanis, Ulrich Rasche, Andreas Dresen. Nicht zu vergessen das berüchtigte Regieduo Vegard Vinge und Ida Müller, mit dem der Gymnasiast dann 2012 auch schon die Teilnahme am renommierten Berliner Theatertreffen hinter sich brachte. Ein 16-Jähriger träumt nicht vom Theatertreffen, aber davon: täglich um 24 Uhr von den mit keinem Stadttheaterbetrieb der Welt (außer der Volksbühne) kompatiblen, größenwahnsinnigen und bis vier Uhr früh dauernden Hybrid-Theatervorstellungen von Vinge/Müller vom Jugendschutz abgeholt zu werden.

Kunstblut und Gulaschsuppe

Hier war Heuperman – Sohn einer Krankenpflegerin und eines U-Bahn-Fahrers – absolut richtig. Dass es mit der Schulkarriere nichts werden würde, musste auch die Mutter (der Vater starb früh an Krebs) bald einsehen. Das Kind suchte dringend nach entgrenzenden Ausdrucksmöglichkeiten und Freiräumen. Und fand sie im Theater. "Alle laufen nackt durch die Gegend und essen Gulaschsuppe, man geht auf die Bühne, lässt sich mit Kunstblut überschütten und geht wieder ab und dann eine rauchen." Das ist nicht der Durchschnitt im deutschen Theater, aber Usus bei den Lehrmeistern Vinge/Müller.

Mit der Verausgabung hat Marcel Heuperman nie aufgehört. Er will als Schauspieler richtig rackern, auch körperlich. Blaue Flecken, heisere Stimme, kaputt sein wie nach einem Marathon: "Es ist fad, wenn alle so geschont werden. Theater, da steckt man total ein!", sagt er auch heute nach zehn Jahren im Business. Und wenn er nackt durchs Publikum zieht und sich dabei den eigenen Hintern blutig schlägt, wie in Heiner Müller Mauser (Regie: Oliver Frljić), dann ist jener Zustand von "Extremsport" erreicht, den Heuperman haben will und der die entscheidenden, eben nicht vorhersehbaren Momente birgt. "Meine Umarmung an das Publikum ist, dass ich mich immer total aufreiße. Das kommt nicht automatisch gut an; es kann auch sehr verletzend ausgehen", sagt er.

Dabei bleibt dieser große und kräftige Mensch vom Typ eines jungen Nicholas Ofczarek keineswegs festlegbar. Der Körper mag wie ein Kampfpanzer sein, aber einer, in dem jederzeit auch die Zerbrechlichkeit und die bebende Angst durchscheint, etwa als pubertierendes Arbeiterkind (bei Franz Xaver Kroetz), als melancholischer Jungdichter (bei Tschechow), als pädophiler Avatar (bei Jennifer Haley) oder als höfischer Widerling in Schillers Don Karlos, der sich noch im Repertoire des Burgtheaters befindet. Und jetzt spielt er den jungen Hitler aus George Taboris Mein Kampf, Premiere ist heute, Freitag.

Neue Netflix-Serie

Parallel dazu spielt Marcel Heuperman seit drei Monaten auch eine große Rolle in einer neuen Netflix-Serie. Mehr darf noch nicht verraten werden. Auch wenn das Theater die Nummer eins bleibt, so hat ihn auch der Film längst entdeckt. Andreas Dresen engagierte den damals 19-Jährigen für seinen Nachwende-Spielfilm Als wir träumten. Da spielt Heuperman einen zum eiskalten Drogendealer werdenden Außenseiter namens Pitbull aus einer Bubengang. Mit ebenjener interessanten Überlagerung von Brutalität und Zartheit, die ihn als Schauspieler kennzeichnet.

Wie sich bei alldem dann doch eine Schauspielausbildung ausgegangen ist, bleibt ein Rätsel, das nur das Mozarteum in Salzburg, auf das Heuperman sich ein Jahr vor seiner Matura rettete, lüften könnte. Seither wird er die Österreicher nicht mehr los. Hier spielte er in Adrian Goigingers frappierendem Kurzfilm Milliardenmarsch, von hier ging es zum Vorsprechen an Martin Kušejs Residenztheater – eine Arbeitsverbindung, der selbst attraktive Angebote aus Berlin bisher keinen Abbruch tun konnten.

Was macht einer wie Heuperman in zehn Jahren, wenn er 35 und immer noch jung ist? "Das frage ich mich auch", sagt er mit seiner heiteren Caruso-Stimme, die wie aus einer tiefen Höhle tönt. Eher keine Sorgen. Denn mit seinem starken schauspielerischen Profil, das ihn zu einem der markantesten und zugkräftigsten Darsteller des Burgtheaterensembles macht, steht ihm vieles offen. Es kann nur Preise regnen. (Margarete Affenzeller, 9.10.2020)