Frische Luft ist in ausländischen Innenräumen wohl Mangelware.

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Eine "nationale Obsession" nannte der britische Guardian unlängst die Angewohnheit der Deutschen, regelmäßig zu lüften – "sogar im Winter!". Im Artikel wurde etwa erklärt – als sei es eine hochkomplexe Angelegenheit –, was Stoßlüften und Querlüften bedeuten und dass hierzulande Fenster eine "ausgeklügelte Scharniertechnik" haben, mit der es möglich ist, sie in diverse Richtungen zu öffnen – freilich nur aus einem Grund: um die diversen Varianten des Lüftens überhaupt erst möglich zu machen.

In den deutschsprachigen sozialen Medien sorgte der Artikel für großes Gelächter, zu Recht. Man hätte als Leserin oder Leser fast meinen können, man habe einen Text der Tagespresse vor sich. Ob der Verwunderung fing auch ich zu recherchieren an – im Freundeskreis, der teilweise im Ausland lebt oder von dort kommt.

Nicht verbreitet

Und tatsächlich: Vielerorts scheint die hierzulande übliche Praxis, morgens und abends frische Luft in die Wohnräume zu lassen, tatsächlich alles andere als verbreitet zu sein. In französischen Familien, so erfuhr ich, werde kaum je gelüftet, nicht einmal, wenn der Rauch aus dem Kamin das ganze Wohnzimmer erfüllt. "Völlig fremd" sei ihrem Mann, der von dort kommt, diese Angewohnheit gewesen, erzählte eine Freundin. Eine andere, die in London lebt, bestätigte, dass Fenster sich dort oft gar nicht öffnen lassen.

Aber warum? Den Mief, der morgens im Schlafzimmer oder nach einer Doppelstunde im Klassenraum steht, den muss es doch auch anderswo geben? Vermutlich nicht, wurde daraufhin von den Freundinnen spekuliert. Jene mit guten Verbindungen in die USA erzählte: Dort wird einfach alles klimatisiert, ob sommers oder winters. Und jene, die in Paris lebt, berichtete: "Hier ist so schlecht isoliert, dass es sowieso immer zieht. Wer will da noch lüften?" (Bernadette Redl, 9.10.2020)