Sind die Maßnamen gegen Corona nur unbegründete Angstmache?

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Parallel zum sinkenden Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung und in die Verhältnismäßigkeit der von ihr gesetzten Regelungen wächst die Kritik von Medizinern am bisherigen und am aktuellen Umgang mit der Pandemie. Zuletzt waren das am Mittwoch Andreas Sönnichsen, Professor für Public Health an der Med-Uni Wien, der Infektiologe Martin Haditsch, der Allgemeinmediziner und Gynäkologe Christian Fiala sowie der Psychoneuroimmunologe Christian Schubert (Med-Uni Innsbruck).

Die Experten kritisierten unter anderem, dass die Corona-Gefahr überzogen dargestellt werde, die Maßnahmen nicht evidenzbasiert seien, und deren Folgen wesentlich gefährlicher seien als das Virus. In einigen Punkten waren sich aber auch die vier Mediziner, deren fachliche und wissenschaftliche Qualifikationen sehr unterschiedlich sind, nicht einig. Was ist dran an ihrer Kritik?

Frage: Stimmt es, dass sich nur ein kleiner Teil der Menschen überhaupt mit dem Coronavirus ansteckt?

Antwort: Ja, aber das liegt vor allem an den gesetzten Maßnahmen. Es ist zwar richtig, dass sich etwa auf dem Kreuzfahrtschiff Diamond Princess, das als Beispiel zitiert wurde, nur 19 Prozent der Passagiere infizierten. Doch erstens gab es auf dem Schiff sehr bald strenge Isolierung, und zweitens zeigen Seroprävalenzstudien von Ischgl bis Manaus, dass sich dort trotz Corona-Maßnahmen zumindest gut 40 Prozent der Bevölkerung infizierten. Allgemein wird davon ausgegangen, dass sich ohne Gegenmaßnahmen bis zu 60 Prozent mit dem neuen Coronavirus anstecken würden – eben bis Herdenimmunität erreicht wird.

Frage: Wird die Gefährlichkeit von Covid-19 aufgrund der Todesopfer, welche die Erkrankung in bestimmten Ländern gefordert hat, massiv überschätzt?

Antwort: Es stimmt, dass man die Sterblichkeit von Infizierten im Frühjahr für sehr viel höher hielt als heute. Der Grund dafür liegt darin, dass die Dunkelziffer viel höher war, als man damals ahnte. Mittlerweile gehen die meisten Behörden, wie etwa die US-Centers für Disease Control and Prevention (CDC), von niedrigeren Werten aus. Es stimmt aber auch, dass es aufgrund von Covid-19 in Österreich – anders als in vielen anderen Ländern – kaum eine Übersterblichkeit gab. Was wiederum vor allem an den hier gesetzten Maßnahmen lag, die nun von den Medizinern ex post kritisiert werden.

Frage: Ist es richtig, dass die Sterblichkeit infizierter Personen extrem gering ist und weiter abnimmt?

Antwort: Da inzwischen ein sehr viel größerer Teil der Infizierten entdeckt wird, sinkt auch die Infektionssterblichkeitsrate (IFR). Die IFR bei Covid-19 hängt stark vom Alter ab: Nach aktuellen Schätzungen der CDC liegt sie bei Kindern und Jugendlichen bei eins zu etwa 33.000, bei 20- bis 49-Jährigen bei eins zu etwa 5.000, bis 69 bei eins zu etwa 200 und bei über 70-Jährigen bei eins zu etwa 18 – und sie steigt mit dem Alter weiter an. Faktum ist auch, dass die IFR von Covid-19 im Vergleich zu einer durchschnittlichen Grippe bei Personen über 35 höher ist – und der Unterschied ebenfalls mit dem Alter ansteigt. Es stimmt aber natürlich auch, dass sich die Behandlungsmöglichkeiten verbessert haben, was die IFR senkt. Für die ebenfalls geäußerte Behauptung, dass Sars-CoV-2 aufgrund von Mutationen schwächer geworden sei, gibt es (noch) keine konkreten Belege.

Frage: Ist die Maskenpflicht zu überdenken, da ein Mund-Nasen-Schutz nur einen Ansteckungsschutz von bestenfalls 20 Prozent bringt?

Masken schützen vor dem Virus. Wie hoch der Schutz ist, ist aber nach wie vor wissenschaftlich umstritten.
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Antwort: Tatsache ist, dass es zum Thema Mund-Nasen-Schutz eine ganze Reihe von Studien gibt, die bis dato noch immer keine ganz eindeutigen Ergebnisse lieferten, wie zuletzt ein in dieser Woche erschienener journalistischer Überblicksartikel im Fachblatt "Nature" zeigt. Es ist entsprechend negatives Rosinenpicken, wenn man nur auf Untersuchungen verweist, die einen geringen Schutz durch Masken behaupten. Eine ganze Reihe anderer Studien kommt auf höhere Zahlen, und unbestritten bleibt, dass Maskentragen Leben rettet. Es stimmt aber natürlich, dass die Qualität der Masken ebenso einen Unterschied macht wie das richtige Benützen.

Frage: Wird in Österreich zu viel getestet?

Antwort: Im Internationalen Vergleich gewiss nicht: In vielen Ländern wird noch mehr getestet als in Österreich. Und angesichts einer positiven Testrate im mittleren einstelligen Prozentbereich ist auch die Kritik unangemessen, dass verhältnismäßig viele falsch positive Ergebnisse produziert würden. Ein offensichtliches Problem ist, dass PCR-Tests (noch) nicht geeignet sind, zwischen Test-Positiven, Infektiösen und Erkrankten zu unterscheiden. Es wird aber gerade an der Definition von Schwellenwerten gearbeitet, um aus PCR-Tests abzuleiten, wie infektiös die positiv getestete Person zum Zeitpunkt des Tests war, was helfen würde.

Frage: Sind die Folgen der Maßnahmen und der behaupteten "Angstmache" gefährlicher als das Virus selbst?

Antwort: Das war eines der Kernargumente der kritischen Mediziner. Diese Behauptung wird sich vermutlich erst in Zukunft beantworten lassen. Tatsache ist, dass in den vergangenen Monaten Personen wegen Corona – und vermutlich auch aus Angst vor einer Infektion – nicht zum Arzt gingen oder zu spät eine Erkrankung meldeten. Hier gegenzusteuern ist sicher richtig. Ob ein Zurückfahren der aktuellen Corona-Maßnahmen tatsächlich beim Angstabbau und gegen gesundheitliche Kollateralschäden helfen würde, darf freilich bezweifelt werden. Denn das würde unweigerlich zu sehr viel mehr Infektionen, mehr Hospitalisierungen und mehr Toten führen. Was erst recht wieder bedeuten würde, dass Covid-19 mehr Aufmerksamkeit erhält und zudem medizinische Ressourcen bindet. (Klaus Taschwer, 8.10.2020)

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