Der anthropogene Klimawandel ist ein wichtiges ökologisches, wirtschaftliches und soziales Phänomen, das die Gegenwart betrifft und die Zukunft beeinflussen wird. Damit Anpassungs- und Vermeidungsstrategien umgesetzt werden können, ist ein besseres Verständnis der Entwicklung von Klima und Umwelt in einer wärmer werdenden Welt von größter Bedeutung.

Die Klima- und Umweltveränderungen der Zukunft genau vorherzusagen ist jedoch eine große Herausforderung, zumal unbekannt ist, wie sich das Verhalten der Menschen politisch entwickeln wird. Um Klimatologinnen und Klimatologen bei der Klimaprognose und politischen Entscheidungstragenden bei der Gestaltung unserer Zukunft zu helfen, bietet die Paläoklimatologie, ein Zweig der Geowissenschaften, wichtige und nützliche Informationen.

Mechanismen des Klimawandels erforschen

Paläoklimatologie befasst sich mit dem Studium des Klimawandels der vorindustriellen und prähistorischen Zeit – also des Klimawandels, der stattfand, bevor er durch menschliche Überlieferungen dokumentiert werden konnte. Es können dabei Zeiträume von einigen Jahren oder Jahrzehnten bis zu Millionen von Jahren betrachtet werden. Die Untersuchung des Klimawandels in der Vergangenheit ermöglicht es, die natürlichen Klimaschwankungen zu verstehen, abzugrenzen und folglich festzustellen, ob der gegenwärtige anthropogene Klimawandel einzigartig und beispiellos ist.

So ist es Wissenschafterinnen und Wissenschaftern auch möglich, die verschiedenen Mechanismen zu erforschen, die den Klimawandel bewirken, festzustellen, wie schnell und stark sich das Klima ändern kann und sowohl das Timing als auch die Ursachen von Kipppunkten im Klimasystem zu verstehen, die zu einer irreversiblen Veränderung des Klimas führen können. Derartige Daten sind speziell in der Entwicklung von Klimamodellen wichtig, um die Genauigkeit von Prognosen für die Zukunft zu verbessern. Die dafür nötigen Daten können aus zahlreichen verschiedenen Quellen bezogen werden, unter anderem aus Tiefseesedimenten, Seesedimenten, Baumringen, Eisbohrkernen und sogar Höhlen.

Höhlen sind Zeitkapseln

Höhlen gehören vermutlich zu den Orten, an die man als Letztes denken würde, wenn man etwas über den Klimawandel erfahren möchte. Diese dunklen, imposanten Löcher im Boden sind jedoch eine äußerst wertvolle Quelle für Informationen zum Paläoklima. Höhlen bleiben oft über Hunderttausende, wenn nicht Millionen von Jahren praktisch unverändert und zeichnen stillschweigend den Wandel der Umwelt und des Klimas auf, der an der Oberfläche stattfindet. Höhlen gibt es in der Arktis, in Bergen, in Wüsten und Regenwäldern. Es gibt sie in dicht besiedelten Ballungszentren und in den abgelegensten Regionen des Planeten. Wenn Höhlen wissenschaftlich untersucht und in den Kontext von Klima-Archiven aus anderen Teilen der Welt gestellt werden, tragen sie somit zum Gesamtbild der Veränderungen bei, die zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit stattfanden.

Gina Moseley und Chris Blakeley betrachten Riesenraureifkristalle in der Crystal Kingdom Cave, einer Höhle in der modernen Permafrostzone.
Foto: Robbie Shone (Shonephotography)

Für die Paläoklimaforschung werden am häufigsten Stalagmiten und sogenannte Flowstones untersucht, wobei als Sammelbegriff Speläotheme gebräuchlich ist. Stalagmiten sind kerzenförmige Mineralablagerungen, die sich aus Wassertropfen bilden, die von der Decke der Höhlenkammer fallen. Flowstones hingegen entstehen nicht aus einzelnen Wassertropfen, sondern aus hauchdünnen, langsam fließenden Wasserschichten. In beiden Fällen trägt das Wasser dabei die chemische Signatur des damaligen Zustands von Klima und Umwelt mit sich. Diese Signatur wird Schicht für Schicht im Speläothem eingefangen. Ändert sich das Klima und die Umwelt, ändert sich auch die chemische Signatur. Durch die Analyse der einzelnen Schichten können Wissenschafterinnen und Wissenschafter in die Vergangenheit blicken und beobachten, wie sich das Klima und die Umwelt über die Zeit verändert haben.

Grönland-Expedition

Seit 2015 habe ich drei Expeditionen in die entlegensten Teile Grönlands geleitet. Während des Höhepunkts des Kalten Krieges 1960 waren in Nordostgrönland mehr oder weniger zufällig Höhlen entdeckt worden, als das US-Militär Vermessungen potenzieller eisfreier Notlandeplätze durchführte. Die dokumentierten Höhlen waren nicht sehr groß, maximal 100 Meter lang, und schienen auch sonst für weitere Erkundungen nicht sehr vielversprechend zu sein. Nicht zuletzt aufgrund des gewaltigen logistischen Aufwands, der betrieben werden muss, um Nordostgrönland zu erreichen, blieben die Höhlen von der wissenschaftlichen Community weitgehend unbemerkt.

Erst einige Jahrzehnte später, 1983, besuchte ein französisches Team wieder die Höhlen. Diesem Team gelang es, einige sehr kleine Speläothemproben zu sammeln. Die eingeschränkten Analysemöglichkeiten dieser Zeit erlaubten es jedoch nicht, wesentliche Schlussfolgerungen aus den Proben zu ziehen. Schließlich fand 2015 die erste Expedition unseres "Greenland Caves Project" statt. In Grönland angekommen, benötigte unser Fünf-Personen-Team ganze fünf Tage, um die Höhlen per Kleinflugzeug, Schlauchboot und schlussendlich zu Fuß zu erreichen. Die Expedition verbrachte dann drei Tage in den Höhlen, wobei zu den zwölf bereits dokumentierten Höhlen noch viele weitere entdeckt wurden, sodass die Anzahl auf insgesamt 26 Höhlen anwuchs.

Das Team lädt am Ende der Expedition des Greenland Caves Project im Jahr 2019 im abgelegenen Nordosten Grönlands Proben und Ausrüstung in ein Kleinflugzeug.
Foto: Robbie Shone (Shonephotography)

Heute kalt und trocken, früher warm und feucht

Es wurden weit mehr Speläotheme vorgefunden, als bis dato bekannt war. Dies war eine wichtige Erkenntnis, da das Klima für die Bildung von Speläothemen zum einen feucht sein muss, um ausreichend Wasser bereitzustellen, zum anderen aber auch warm, damit das Wasser auch im Boden versickern kann. Heutzutage ist Nordostgrönland jedoch trocken und kalt. Für die Bildung von Speläothemen gibt es nicht ausreichend Feuchtigkeit, und der Boden ist ganzjährig gefroren, sodass kein flüssiges Wasser in den Untergrund gelangen kann. Die Existenz so vieler Speläotheme in Nordostgrönland weist also auf mindestens eine Phase in den letzten Millionen Jahren hin, in der es wärmer und feuchter als heute gewesen sein muss.

Diese Beobachtung ist ein wichtiger Befund, da Klima- und Umweltaufzeichnungen aus den Speläothemen Nordostgrönlands Hinweise darauf geben, wie sich diese sensible Region in der Arktis in Zukunft entwickeln könnte. Eine große interdisziplinäre Expedition kehrte 2019 nach Nordostgrönland zurück, um das Gebiet weiter zu erkunden und weitere Proben zu nehmen. Im Rahmen dieser Expedition wurden zwei Canyons voller völlig unerforschter Höhlen entdeckt und zahlreiche weitere Speläothemproben für die Paläoklimaforschung gesammelt. Diese Proben werden in den nächsten Jahren im Rahmen des vom FWF-Start-Preis finanzierten "Nordost Grönland Speleothem Projekt" analysiert. (Gina Moseley, 14.10.2020)